Frankfurt – „Ein Medikament, das sein Ziel nicht findet, kann auch nicht wirken“, sagte Prof. Dr. Raja Atreya. „Erst wenn die Angriffspunkte beim Patienten nachgewiesen worden sind, wird behandelt. Beim Einsatz einiger Krebsmedikamente geht man ähnlich vor. Wir wenden dieses Prinzip bei Morbus Crohn an“, erklärte der diesjährige Preisträger des Paul Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Nachwuchspreises (wie Medscape Deutschland berichtete) [1].

Prof. Dr. Raja Atreya
Der Internist, Oberarzt am Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg, hat ein neuartiges Diagnostikum entwickelt, mit dem sich das Therapieansprechen bei M. Crohn vorhersagen lässt – um damit Patienten unnötige Therapien zu ersparen. Denn rund die Hälfte der mit einem Tumornekrosefaktor(TNF)-Antagonisten behandelten Crohn-Patienten profitiert nicht von dieser Therapie. Die Patienten riskieren allerdings Nebenwirkungen wie Infektionen, Abwehrreaktionen oder ein möglicherweise erhöhtes Krebsrisiko. Zudem sei die Therapie mit TNF-Antagonisten sehr teuer, sie kostet rund 25.000 Euro im Jahr, erklärte Atreya.
Fluoreszierender Antikörper als Marker in situ
Im Gespräch mit Medscape Deutschland erläuterte der 1975 in Darmstadt geborene Preisträger, dass er zunächst Grundlagenforschung betrieben habe. Denn erst musste das Zielmolekül gefunden werden: Atreya identifizierte membranständiges TNF als denjenigen Liganden, der eine entscheidende Rolle für die Wirkungsweise des Antikörpers und für die Erhaltung der Entzündungsaktivität von M. Crohn spielt.
Atreya verwendete zwar einen zugelassenen Anti-TNF-Antikörper, hat ihn aber mit Fluoreszenzfarbstoff markiert und damit verändert, so dass eine Zulassung beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) notwendig war. „Wir haben nur minimalste Konzentrationen des Farbstoffs – im Nanogramm-Bereich – verwendet. Es traten in der Studie keine Diagnostika-bedingten Nebenwirkungen auf“, versicherte Atreya.
Der fluoreszierende TNF-Antagonist wird während einer Darmspiegelung auf entzündete Stellen gesprüht. „Der entscheidende Fortschritt in der Arbeit von Herrn Atreya ist die lokale Applikation eines fluoreszierenden Antikörpers auf endoskopisch sichtbar entzündete Regionen“, sagte Prof. Dr. Jürgen Schölmerich vom Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt in seiner Laudatio. Der Antikörper bindet dann an die membrangebundenen TNF-Moleküle. Dann können die fluoreszierenden Zellen gezählt werden, die dieses Entzündungsmolekül auf der Oberfläche tragen.
Dazu verwendet Atreya ein konfokales Laserendomikroskop. Damit ist eine molekulare Bildgebung in vivo möglich. „Mit Laserlicht und dem eingebauten Mikroskop kann man die extrazelluläre Matrix und zelluläre Strukturen darstellen“, erklärte Atreya im Gespräch mit Medscape Deutschland. Er zählte die „leuchtenden“ Zellen – dort haben fluoreszierende Antikörper ihr Zielmolekül, membrangebundenes TNF (mTNF) gefunden – und stellte fest, dass die Anzahl dieser markierten Zellen mit dem Ansprechen auf die Anti-TNF-Therapie korreliert.

Fehlendes Therapie-Ansprechen in 92 Prozent der Fälle vorhersagbar
Die Ergebnisse dieser Phase-1/2a-Studie mit 25 Patienten publizierten Atreya und seine Kollegen 2014 in Nature Medicine [2]. Von 25 Patienten sprachen 13 auf die Therapie mit dem TNF-Antagonisten Adalimumab an. 11 von 12 Patienten, bei denen viele mTNF-positive Zellen gesichtet wurden, profitierten von der Therapie, aber nur 2 von 13 mit wenigen der mTNF-positiven Zellen.
„Das bedeutet, dass sich hier ein Therapieansprechen in 85% und ein fehlendes Ansprechen in 92% voraussagen ließ“, sagte Schölmerich. „Auch nach einem Jahr zeigte sich ein anhaltender klinischer Effekt“, ergänzte Atreya. „Das molekulare Imaging mit fluoreszierenden Antikörpern in vivo könnte als prädiktiver Biomarker für das Ansprechen auf eine Biologika-Therapie verwendet werden“, so sein Fazit der Ergebnisse.
Als nächstes plant Atreya, die Methode auch bei Patienten mit Colitis ulcerosa zu testen. Außerdem sei es nun sehr wichtig, „die Daten der Pilotstudie in einer größeren, möglichst multizentrischen Studie zu validieren“.
Der Mediziner will künftig bei anderen Anti-TNF-Antikörpern oder Antikörpern gegen Adhäsionsmoleküle untersuchen, ob es hier ebenfalls Zielmoleküle gibt, die sich als Prädiktoren für ein Therapieansprechen eignen. Einer dieser Anti-Adhäsionsmolekül-Antikörper ist Vedolizumab, ein Integrin-Antagonist, der seit letztem Jahr zur Therapie von M. Crohn und C. ulcerosa zugelassen ist.
Erfolgsrezept: Translationale Forschung
Ein wichtiges Prinzip in Atreyas Arbeit ist die translationale Forschung: „Meiner festen Überzeugung nach braucht es forschende Ärzte, die gleichzeitig auch in der Patientenversorgung tätig sind“, betonte der Mediziner in seiner Dankesrede: „Nur dieses Konstrukt ermöglicht es, Erfahrungen in der Behandlung von Patienten in die klinische Forschung einzubringen und für die klinische Praxis relevante Fragen zu stellen. Patientenorientierte Forschung und ärztliche Tätigkeit gehören zusammen.“
Ein konkretes Beispiel für translationale Forschung sei die klinische Etablierung von Biomarkern, nicht nur zur Diagnose, sondern auch als Prädiktoren für das Ansprechen von Therapien. „Nicht nur um Patienten nicht unnötig zu belasten, sondern auch weil immer mehr Antikörper – im hochpreisigen Bereich – zugelassen werden, könnte sich die Notwendigkeit ergeben, solche Biomarker zu fordern“, meinte Atreya. „Denn bis jetzt verfahren wir beim Einsatz eines Medikaments meist nach dem Prinzip ‚trial and error‘.“
Schölmerich stellte in seiner Laudatio Überlegungen an, wohin die Entwicklungen Atreyas führen könnten: „Das benutzte Prinzip lässt sich natürlich für andere entzündliche Erkrankungen wie beispielsweise der Gelenke oder auch der Haut nutzen. Es kann auch der Charakterisierung von bösartigen Schleimhautläsionen und deren molekularer Signaturen als Grundlage einer gezielten Therapie dienen. Voraussetzung ist, dass die entsprechenden Moleküle bekannt und entsprechende Antikörper verfügbar sind.“ Bevor das Verfahren aber breit angewendet werden kann, müssten die Daten der Pilotstudie nun in größeren Untersuchungen bestätigt und regulatorische Fragen geklärt werden.
REFERENZEN:
2. Atreya R, et al: Nature Medicine 2014;20:313-318
Diesen Artikel so zitieren: Wann wirken TNF-Antagonisten bei M. Crohn? Wenn der Darm im Fluoreszenz-Test leuchtet - Medscape - 20. Mär 2015.
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