Auffällige Zytokine zur frühen Diagnostik
Insgesamt zeigten sich kaum größere Unterschiede der Spiegel der inflammatorischen Zytokine zwischen allen Patienten und der Kontrollgruppe. Als die Wissenschaftler jedoch die Patienten in 2 Gruppen teilten – jene, die seit höchstens 3 Jahren und jene, die mehr als 3 Jahre unter ME/CFS-Symptomen litten –, fanden sie signifikante Unterschiede zwischen den Patientengruppen und den Kontrollgruppen, vor und auch nach Bereinigung um Faktoren wie Alter und Geschlecht.
Alles in allem hatten die Patienten, die seit kurzem erkrankt waren, erhöhte Level sowohl der proinflammatorischen als auch der antiinflammatorischen Zytokine. Betroffen waren z.B. die proinflammatorischen Interleukine IL-1a (p = 0,0178), IL-8 (p = 0,0112), IL-12p40 (p = 0,0009), IL-17A (p = 0,0243) und TNF-alpha (p = 0,0261) sowie die antiinflammatorischen Zytokine IL-1RA (p = 0,0105), IL-4 (p = 0,0028) und IL-13 (p = 0,0198). Die Konzentration von 2 der 51 Zytokine waren bei dieser Teilnehmergruppe vermindert: CD40 Ligand (p = 0,0037) und Platelet Derived Growth Factor BB (p = 0,0004).
Ein ähnliches Muster zeigte sich, als die Forscher die seit kurzem Erkrankten mit den länger Erkrankten verglichen: 2 proinflammatorische Zytokine lagen bei den seit kurzem Erkrankten in deutlich höherer Konzentration vor, nämlich Interferon gamma (Odds Ratio (OR): 104,77) und IL-12p40 (OR: 1,50).
Hornig und ihre Kollegen betonen, dass die deutliche Assoziation der Erkrankung mit Interferon gamma in der frühen Phase zu einem viralen Trigger oder einer Störung der regulatorischen Netzwerke des Immunsystems passen könnte. Interferon gamma kann die Homöostase der Immunzellen stören, was den Menschen anfälliger für bestimmte Autoimmunreaktionen macht.
Netzwerkdiagramme der Interzytokin-Beziehungen zeigten einen weiteren Unterschied zwischen der Patientengruppe in einem frühen Stadium der ME/CFS einerseits und sowohl der Patienten in einem späten Stadium als auch der Kontrollgruppe andererseits: CD40 war hier nicht nur in verminderter Konzentration vorhanden, sondern seine Aktivität war auch mit der von nur 5 anderen Zytokinen verknüpft. Bei den länger erkrankten Patienten sowie der Kontrollgruppe bestanden hingegen Korrelationen zwischen der Aktivität von CD40 und der vieler anderer Zytokine.
Was sich jetzt abzeichnet und welche Fragen bleiben
„Das Vorhandensein eines spezifischen Immunprofils früh im Verlauf der ME/CFS hat wichtige Auswirkungen auf den Diagnoseprozess“, nennen Hornig und Kollegen eine Besonderheit ihrer Studie. „Wir konnten eine unverwechselbare Immunsignatur bestimmen, die von der der gesunden Kontrollgruppe abwich. Die Aufnahme dieser Immunmarker in klinische Befunde wird Ärzten in besserem Maße Rahmenbedingungen vorgeben, um leichter die Diagnose ME/CFS zu stellen und möglicherweise früher als bisher andere Leiden ausschließen zu können.“
Die Entdeckung des sowohl verminderten als auch dissoziierten CD40 sei faszinierend, heben die Autoren hervor und weisen darauf hin, dass, obwohl dieses Transmembranprotein unentbehrlich unter anderem für die B-Zellen-Reifung ist, übermäßig hohe Level mit unerwünschten neurovaskulären Ereignissen, milder kognitiver Beeinträchtigung und Alzheimer in Verbindung gebracht werden.
Darüber hinaus, ergänzen die Wissenschaftler, wird die grundlegende CD40L-Defizienz mit sowohl einer Anfälligkeit für wiederkehrende Infekte als auch neurokognitivem Abbau in Verbindung gebracht. Dies konnte bisher weder durch die Anwesenheit eines bekannten Pathogens noch durch klare Anzeichen einer Enzephalitis erklärt werden.
Veränderungen der Zytokine korrelierten im Rahmen der Studie enger mit der Dauer der Erkrankung als mit der allgemeinen Schwere der Erkrankung. „Das zeigt, dass die Immunopathologie der ME/CFS nicht statisch ist“, schreiben die Autoren.
Der Grund für den Mangel eines besonderen Immunprofils jener Patientengruppe, die länger erkrankt war, ist Hornig und ihrem Team noch nicht bekannt. Es könnte eine Art Erschöpfungs-Phänomen sein, ähnliche Prozesse beinhalten wie bei Typ-2-Diabetes-Patienten, deren Bauchspeicheldrüse nach einiger Zeit die Insulin-Produktion einstellt. „Wir können nur spekulieren“, merken Hornig und Kollegen dazu an.
Sie ergänzen: „Weil dieses Muster der Störungen des Immunsystems nur die seit kurzem erkrankten, nicht aber die seit langem erkrankten Patienten betrifft, drängt sich der Verdacht auf, dass sowohl die Dysregulation der Interaktionen der Immunzellen als auch die Gelegenheiten zur Intervention transient sein könnten.“ Mit Therapien, die das Zusammenspiel der Zytokine und andere Auffälligkeiten frühzeitig beeinflussen, deuten die Wissenschaftler an, könnte vielleicht das Fortschreiten der Krankheit verhindert werden. Bisher erleben ganze 6 bis 12% der Patienten eine Remission – und nur ein Bruchteil (laut einer Studie aus Norwegen 20%) kann weiter einen Beruf ausüben.
Prof. Dr. William Schaffner von der Vanderbilt University in Nashville, USA, und Experte für Infektionserkrankungen und Impfungen, erklärt gegenüber Medscape Medical News: „Diese Krankheit war bisher sehr schwer zu diagnostizieren (…). Was ich an dieser Studie schätze, ist, dass die Autoren nach dem Licht am Ende des Tunnels suchen. Sie fangen nicht mit der Ätiologie an, sondern mit der Bestimmung der Pathophysiologie. Und es sieht in dieser Studie so aus, als hätten wir es mit einem biphasischen Phänomen zu tun, es gibt ein Früher und ein Später, mit unterschiedlichen immunologischen Kriterien. Die Studie ist interessant, provokativ und ich denke, dass sie zu einer Hypothese führt, die mindestens mit den klinischen Beobachtungen übereinstimmt. Und die Studie ist replizierbar.“
Diese Replikation, empfiehlt er, sollten andere Wissenschaftler übernehmen, die „Patientengruppen mit CFS sowie ähnliche, dazu passend ausgewählte Kontrollgruppen rekrutieren und genauso präzise vorgehen, wie es im Rahmen dieser Studie erfolgt ist. Ich vermute, dass die Ergebnisse robust und kohärent genug sind, um eine finanzielle Förderung nach sich zu ziehen, sei es von privaten oder staatlichen Quellen.“
Dieser Artikel wurde von Petra Plaum aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Hornig M, et al: Science Advances 2015;1(1):e1400121
Diesen Artikel so zitieren: Von wegen psychosomatisch: Auffällige Zytokine als Biomarker des Chronischen Erschöpfungssyndroms - Medscape - 20. Mär 2015.
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