Die Beweise mehren sich: Vaginal-operative Geburt ist für den Beckenboden am schlimmsten

Petra Plaum

Interessenkonflikte

16. März 2015

Es bleiben kaum noch  Zweifel: Der Beckenboden trägt bei vaginalen und vaginal-operativen Geburten mehr Schäden davon als nach Kaiserschnitt. Nach einer natürlichen Entbindung müssen Frauen häufiger mit Urininkontinenz oder einem Organprolaps rechnen als Kaiserschnittmütter. Am schädlichsten für den Beckenboden ist eine vaginal-operative Entbindung mittels Zange oder Saugglocke.

Zu diesen Ergebnis gelangt die Forschergruppe um Ingrid Volløyhaug vom Department of Laboratory Medicine, Children’s and Women’s Health der Norwegian University of Science and Technology in ihrer Publikation im British Journal of Obstetrics and Gynaecology [1].

Dr. Ulrike Matthes

Die Daten wurden sehr lange nach den Geburten erhoben und dokumentieren damit auch Schäden, die erst mit zunehmendem Alter zutage treten. Für die Untersuchung hat das norwegische Team 3.115 Frauen 15 bis 23 Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes befragt, 1.641 haben geantwortet. Von ihnen berichteten 46,9%, harninkontinent zu sein, 10,9% klagten über eine Prolapssymptomatik oder waren deswegen chirurgisch behandelt worden, eine Stuhlinkontinenz wurde von 9,1% angegeben.

 „Die Daten aus Norwegen sind vermutlich mit denen aus Deutschland vergleichbar“, beurteilt Dr. Ulrike Matthes, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe am Sana-Klinikum Offenbach, die Aussagekraft der Studie. Dass es im Vergleich zur natürlichen Geburt nach Sectio seltener, nach vaginal-operativen Entbindungen häufiger zu Dysfunktionen des Beckenbodens komme, gelte auch hierzulande.

„Daraus sollte man allerdings nicht ableiten, dass der Kaiserschnitt protektiv wirkt“, warnt Matthes. In einem Kommentar zur Studie merkt auch Dr. Rebecca Rogers vom Health Sciences Center der University of New Mexico an, dass es bei manchen Studienteilnehmerinnen, die nie vaginal entbunden hatten, trotzdem zu Beckenorganprolaps und Inkontinenz gekommen sei [2].

 
Unter allen Frauen wird sich die Prävalenz der Urininkontinenz bei 20 Prozent bewegen. Dr. Ulrike Matthes
 

Matthes betont, dass Mütter durchaus die Möglichkeit hätten, negative Auswirkungen von Schwangerschaft und Geburt auf den Beckenboden abzumildern. „Eine Beckenbodentherapie führt in 60 Prozent der Fälle zur Besserung der Symptome“, sagt Matthes, die auch stellvertretende Koordinatorin des Beckenbodenzentrums ihrer Klinik ist.

Halbiertes Prolapsrisiko nach Kaiserschnitt

Die norwegischen Wissenschaftler glichen die Angaben der Patientinnen rund um die Entbindung mit den Krankenhaus-Akten und mit den Informationen zu Folgegeburten aus dem Norwegian Medical Birth Registry ab. Zur Erfassung eines Prolaps oder der Inkontinenz diente eine Kurzfassung des Pelvic Floor Distress Inventory (PFDI-20), der etwa erfragt, ob die Teilnehmerinnen eine sichtbare oder fühlbare Vorwölbung im Vaginalbereich als Zeichen eines Prolaps bemerkten, ob sie häufig das Gefühl haben, die Blase nicht vollständig entleeren zu können oder ob Stuhl oder Harn unkontrolliert abgehen. Den Fragebogen erhielten Frauen, die in den Jahren 1990 bis 1997 ihr erstes Kind an der Universitätsklinik in Trondheim zur Welt gebracht hatten.  

Nach einer Kaiserschnittentbindung fanden sich im Vergleich zur vaginalen Geburt weniger als halb so oft Hinweise für einen Prolaps (bereinigte Odds Ratio: 0,42; 95%-Konfidenzintervall: 0,21-0,86) und auch deutlich seltener für eine Urininkontinenz (OR: 0,65; 95%-KI: 0,46-0,92). Das höchste Risiko für eine Beckenbodenschädigung war mit vaginal-operativen Entbindungen assoziiert, sowohl für das Kriterium Prolaps  (OR: 1,73; 95%-KI: 1,21-2,48) als auch für eine Fäkalinkontinenz (OR: 1,96; 95%-KI: 1,26-3,06 – jeweils verglichen mit natürlicher vaginaler Geburt ohne instrumentelle Assistenz).

Matthes betont, dass eine Einteilung in Stadien des Prolapses wünschenswert gewesen wäre, diese erfolgte in der norwegischen Studie jedoch nicht. Sie war auch nicht prospektiv und bietet keine urogynäkologische Untersuchung zur objektiven Erfassung der Beschwerdebilder. Folglich beruhen die Aussagen auf den subjektiven Angaben der Frauen. Matthes vermutet, dass eine solche Untersuchung in Deutschland ähnliche Ergebnisse gehabt hätte. „Die Ethnien, Lifestylefaktoren, der Anteil an Schnitt- und vaginal-operativen Entbindungen – all das entspricht in Norwegen dem, was wir hier auch haben“, bestätigt die Frauenärztin.

Zange- und Saugglocke gehen mit sehr hohem Inkontinenzrisiko einher

Da viele der Studienteilnehmerinnen nicht nur ein Kind zur Welt brachten (der Durchschnitt lag bei 2,28 Kindern und 2,24 Geburten) und da einige mehrere Geburtsmodi erlebt hatten, wurde jede Teilnehmerin derjenigen Gruppe zugeteilt, die potentiell das höchste Risiko für Dysfunktionen des Beckenbodens mit sich brachte.

Schlussendlich waren so 257 Frauen, die niemals vaginal entbunden hatten, in der Sectio-Gruppe und jeweils 692 Frauen in den Gruppen „normale vaginale Entbindung“ und „vaginal-operative Entbindung“. Letztere waren damit stark überrepräsentiert, verdeutlicht Volløyhaug. Denn insgesamt ist die Rate an vaginal-operativen Entbindungen in Norwegen wie auch in Deutschland deutlich niedriger – die Entbindung mit Forzeps betrifft in Norwegen etwa 3% der Gebärenden, eine Vakuumextraktion 3 bis 5% von diesem Gesamtkollektiv.

In Deutschland ist allerdings die Verteilung zwischen Zange und Glocke völlig anders. Laut Bayerischer Perinatalerhebung waren vaginal-operative Entbindungen im Jahr 2006 bei 8,8% der Geburten notwendig, 2013 bei 7,6%. Die meisten davon, gut 96%, waren Saugglockenentbindungen.

Die aktuelle Studie belegt damit im Einklang mit früheren Studien einmal mehr und diesmal für einen langen Nachbeobachtungszeitraum, dass eine vaginal-operative Entbindung für den Beckenboden die größte Belastung darstellt. Nach diesem Geburtsmodus war nicht nur die Urininkontinenz mit 48,8% am häufigsten. Über den Prolaps von einem oder mehreren Organen des kleinen Beckens – etwa Darmschlingen, die sich in die Vaginalwand vorwölben – klagten 14,9% nach Zange oder Saugglocke (4,5% nach Sectio und 9,2% der Frauen nach normaler vaginaler Entbindung). Das gilt auch für die Fäkalinkontinenz, unter der nach instrumenteller Entbindung 12,1% zu leiden hatten (6,1% nach normaler vaginaler Geburt und 8,9% nach Sectio).

 
Dass die Autoren die beiden Gruppen Forzeps und Vakuum verglichen haben, ist eine Stärke der Studie. Dr. Ulrike Matthes
 

Prävention von Beckenbodenschäden

„Dass die Autoren die beiden Gruppen Forzeps und Vakuum verglichen haben, ist eine Stärke der Studie“, lobt Matthes. Denn hier bietet die Studie ein überraschendes Ergebnis: Zwischen Zangen- und Saugglockengeburten konnten nämlich keine Risikounterschiede festgestellt werden.

Die Saugglocke galt jedoch bislang aufgrund der Ergebnisse früherer Studien als das für den Beckenboden weniger schädliche Verfahren, heißt es in der Arbeit. Nicht zuletzt deshalb wird es auch in Deutschland favorisiert, so die Begründung in der Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). „Die Entscheidung „Zange oder Vakuum“ ist durch die höhere Rate von mütterlichen Verletzungen sowie deren Langzeitauswirkungen bei Anwendung der Zange beeinflusst worden“, heißt es darin.

Positiv bewertet die Beckenbodenspezialistin auch, dass die Autoren einmal mehr von der Entbindung unabhängige Risikofaktoren herausgearbeitet haben. Für Symptome des Beckenorganvorfalls sind dies chronischer Husten und Übergewicht, für Urininkontinenz Übergewicht und (allerdings hier nicht signifikant) Parität und hohes Geburtsgewicht des Kindes. Was die Stuhlinkontinenz angeht, so verdoppelt Rauchen das Risiko, ein Dammriss 3. oder 4. Grades ist sogar noch problematischer (OR: 2,62). 

Dass der Kaiserschnitt dem Beckenorganvorfall und der Inkontinenz nicht zwingend vorbeuge, möchte Matthes bei der Beratung der Schwangeren berücksichtigt sehen. Das verminderte Risiko für Beckenbodenschäden sei natürlich in die Waagschale zu werfen, wenn andere Gründe für eine Sectio sprechen – z. B. ein Missverhältnis der kindlichen Größe zum mütterlichen Becken, die Kindslage oder der ausdrückliche Wunsch der Mutter, per Kaiserschnitt zu entbinden. Doch es gelte immer, alle Risiken abzuwägen; jene der Operation, der Narbenbildung und der längeren Liegedauer nach Kaiserschnitt seien keinesfalls klein zu reden. In ihrem Kommentar zur Studie merkt Rogers an, dass die Herausforderung für Gynäkologen fortan darin bestehe, jene Frauen zu identifizieren, die das höchste Risiko für Schäden am Beckenboden aufweisen und sie bestmöglich zu beraten und zu betreuen.

Was lässt sich tun, wenn der Beckenboden schwächelt?

 
Außerdem ist eine leichte Senkung völlig normal. Dr. Ulrike Matthes
 

Matthes berichtet, dass an ihrer Klinik die Hochrisikopatientinnen für Beckenorganvorfall und Inkontinenz – zum Beispiel nach Dammriss mit Darmbeteiligung – rasch Experten zugeführt und umfassend nachbetreut werden. Mit Elektrostimulation und Biofeedback lasse sich oft eine Besserung erzielen. Für alle Mütter unabhängig vom Geburtsmodus gelte: „Aus diesen Themen sollten keine Tabuthemen werden. Aus diesem Grund bieten wir seit Jahren eine urogynäkologische Sprechstunde in unserem Hause an, um bereits bei den jüngeren Frauen etwaige Probleme frühzeitig und konsequent physiotherapeutisch in den Griff zu bekommen", ergänzt Matthes.

Kollegen legt sie ans Herz, werdende und junge Mütter darauf hinzuweisen, dass sich schon mit veränderten Alltagsgewohnheiten, z. B. weniger Trinken abends oder regelmäßigeren Gängen zur Toilette, eine Inkontinenz bessern könne. Dass Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Bewegung, aber auch Rauchen und das Tragen schwerer Lasten einen Einfluss darauf haben, ob der Beckenboden Schaden nimmt oder seine Aufgabe bis ins hohe Alter zuverlässig erledigt, komme auch noch zu selten zur Sprache, gibt sie zu bedenken. Nicht zu vergessen: „Außerdem ist eine leichte Senkung völlig normal.“  Diese müsse häufig gar nicht behandelt werden.

 

REFERENZEN:

1. Volløyhaug I, et al: Brit J Obstet Gynaec. (online) 16. Februar  2015

2. Rogers R: Brit J Obstet Gynaec. (online) 18. Februar  2015

 

Kommentar

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