Dringend gebraucht, aber nicht in Sicht: Der Facharzt für Schmerzmedizin

Gerda Kneifel

Interessenkonflikte

12. März 2015

Frankfurt/Main – Auf dem größten deutschen Schmerzkongress, dem Schmerz- und Palliativtag 2015, wurde kein Blatt vor den Mund genommen: Die desaströse Situation der Schmerzpatienten in Deutschland war das Thema – und die bislang gescheiterte Einführung eines neuen Facharztes für Schmerzmedizin, den die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e.V. und die Deutsche Schmerzliga seit Jahren fordern. Dass es funktionieren kann, zeigen die Iren, die 2014 ein eigenes Fachgebiet eingerichtet haben.

In der Eröffnungsrede von PD Dr. Michael Überall, Medizinischer Direktor am Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie (IFNAP) und Präsident der Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga e.V., schwang denn auch Hoffnungslosigkeit mit: „Es gibt in Deutschland rund 23 Millionen Schmerzpatienten und ihre Zahl nimmt praktisch jährlich zu. Wir schaffen es nicht, den Patienten eine Zukunft zu geben und auch die Schmerzmedizin selbst hat in Deutschland keine Zukunft. Wir folgen ökonomischen und strukturellen Zwängen.“

 
Wir schaffen es nicht, den Patienten eine Zukunft zu geben und auch die Schmerzmedizin selbst hat in Deutschland keine Zukunft. PD Dr. Michael Überall
 

Das Symposium „Wieviel Schmerzmedizin kann, wieviel Schmerzmedizin muss unsere Gesellschaft sich leisten?“ zeigte allerdings nicht nur auf, woran es in Deutschland mangelt, sondern auch, wie man es besser machen kann. Denn im Einzelnen tut sich viel in der Schmerzmedizin.

Dramatische Unterversorgung in Deutschland

Von den 23 Millionen Schmerzpatienten leiden 2,2 Millionen unter der sogenannten Schmerzkrankheit, bei der schwerste chronische Schmerzen mit psychischen Beeinträchtigungen einhergehen. Das können – als Auslöser oder Folge der Schmerzen – Depressionen, Traumata, Angst oder auch das schmerzbedingte Psychosyndrom sein.

Ihnen gegenüber stehen 1.066 ambulant tätige, in Schmerzmedizin weitergebildete Vertragsärzte. „Und von ihnen arbeiten bundesweit gerade einmal rund 430 Ärzte in Vollzeit als Schmerzmediziner“, betonte Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Leitender Arzt des Schmerz- und Palliativzentrums Göppingen sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) e.V. „Da hat man keine Chance auf eine angemessene stationäre Versorgung in einem Schmerzzentrum, weshalb wir eine adäquate wohnortnahe ambulante Versorgung schaffen müssen.“

 
Es bleibt dem Zufall überlassen, ob die Patienten versorgt werden oder nicht. Damit produziert unser Gesundheitssystem chronisch Schmerzkranke. Dr. Gerhard Müller-Schwefe
 

Angesichts des Mangels an Schmerztherapeuten keine leichte Aufgabe. Eine bessere Versorgung hänge jedoch nicht nur von mehr und besser schmerzmedizinisch ausgebildeten Ärzten ab, sondern auch von einer Bedarfsplanung für Schmerzmedizin durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Die allerdings stellen Bedarfe nur für bestehende Fachgebiete auf.

Ohne Facharzt für Schmerzmedizin also wird es keine Bedarfsplanung und damit keine Klarheit darüber geben, wie viele Schmerztherapeuten eigentlich benötigt werden. Die definierten Qualitätsstandards für die ambulante schmerztherapeutische Versorgung ließen sich mit dem derzeitigen Stand der Dinge jedenfalls nicht einhalten, so das Credo der Schmerzmediziner in Frankfurt. „Es bleibt dem Zufall überlassen, ob die Patienten versorgt werden oder nicht“, kritisierte Müller-Schwefe. „Damit produziert unser Gesundheitssystem chronisch Schmerzkranke.“

Dabei könne man auch die modernen, interdisziplinär arbeitenden Zentren nicht als Lösung des Problems betrachten. „Multimodalität ist derzeit das Zauberwort. Aber gerade für die 2,2 Millionen schwerst Schmerzkranken sind sie keine Lösung. Es ist ein zu hoher Zeitaufwand, wenn sich eine ganze Reihe von Fachgebiets-Spezialisten um einen Patienten kümmert. Jeder benötigt eine Stunde für die Anamnese, dann setzen sie sich alle zusammen und diskutieren die Therapie. Und wenn die abgeändert werden muss, müssen sie sich wieder treffen“, erläuterte Müller-Schwefe die Probleme im Alltag.

 
 Das Besitzdenken einzelner Fachgebiete ist derzeit größer als das Interesse an den Bedürfnissen der Patienten – insbesondere bei den Anästhesisten. Dr. Gerhard Müller-Schwefe
 

Eigener Facharzt Schmerzmediziner gefordert

Die Einführung eines neuen Fachgebietes Schmerzmedizin fordern die DGS und die Deutsche Schmerzliga schon seit Jahren. Der neue Facharzt soll jedoch kein neuer „Fachgebiets-Spezialist“ werden, sondern ein Allrounder, der Diagnose und Therapie auf verschiedenen Fachgebieten beherrscht. Er muss neurologische genauso wie funktionelle, psychologische und psychiatrische Untersuchungen durchführen können und Gesprächstechniken beherrschen, etwa um Verhaltensmodifikationen zu erreichen. Und nicht zuletzt muss er die unterschiedlichen Befunde interpretieren und die Ursachen therapieren können. Hierfür schwebt den Veranstaltern des Schmerzkongresses ein 5-jähriges Curriculum vor.

Zwar bietet die DGS seit Ende der 1990er Jahre das Curriculum „Spezielle Schmerztherapie“, eine 80-stündige Zusatz-Weiterbildung, die zum Tragen der Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ berechtigt. Doch das reicht nach Ansicht von Überall und Müller-Schwefe nicht aus. „Die 1.066 Ärzte, die sich in Spezieller Schmerztherapie ein Jahr lang weitergebildet haben, führen ihre Zusatzbezeichnung nur „als Anhängsel einer anderen Fachrichtung“, monierte der Präsident der DGS. „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, kann aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein, zumal eine zunehmende Zahl von Schmerzkranken eine Odyssee von einem zum nächsten an ihr spezielles Fachgebiet gebundenen ‚Speziellen Schmerztherapeuten‘ hinter sich haben.“

Der Grund für die eklatante Misslage? Der Präsident der DGS nahm kein Blatt vor den Mund: „Das Besitzdenken einzelner Fachgebiete ist derzeit größer als das Interesse an den Bedürfnissen der Patienten – insbesondere bei den Anästhesisten.“ Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hatte sich nach anfänglichem Interesse an einem neuen Facharzt doch dazu entschieden, die Behandlung von Schmerzen als Aufgabe von Anästhesisten zu definieren.

Kommentar

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