Alterstraumatologie: Wie bleibt der Patient nach dem Schenkelhalsbruch selbständig?

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

10. März 2015

Nach einer Femur-Fraktur sterben unter den über 70-jährigen Patienten zwischen 18% und 33% im ersten Jahr nach dem Sturz. Rund 42% der Überlebenden sind nicht mehr so mobil wie zuvor und 35% von ihnen können nicht mehr alleine gehen. Ein Fünftel bewältigt den Einkauf nicht mehr selbständig und ebenfalls ein Fünftel kommt innerhalb von einem Jahr nach der Fraktur in eine Langzeit-Pflegeeinrichtung.

Das berichten Dr. Anders Prestmo und seine Kollegen von der Medizinischen Fakultät der Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim/Norwegen in einer Studie zur ortho-geriatrischen Behandlung von mehr als 400 Patienten im Lancet [1]. Ihre Studie zeigt jedoch auch, dass sich dagegen etwas tun lässt: Die Mobilität der nach einem Oberschenkelhalsbruch im interdisziplinären Team zusammen mit Geriatern behandelten Patienten war nach 4 Monaten signifikant besser als jene in der traditionell, also ausschließlich von Orthopäden versorgten Gruppe.

Prof. Dr. Ulrich C. Liener

„Das ist eine extrem aufwändige, hervorragende Studie“, kommentiert Prof. Dr. Ulrich C. Liener, Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an den Vinzenz von Paul Kliniken des Marienhospitals in Stuttgart. Liener ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Alterstraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und sieht ähnliche Probleme für ältere Patienten mit solchen Frakturen auch hierzulande. Er fordert deshalb: „Es ist höchste Zeit, die Weichen für neue Behandlungsstrategien zu stellen.“

Femur-Frakturen sind so häufig wie teuer

Seit dem Jahr 2000 ist die Anzahl von Femur-Frakturen in Deutschland um 20% von 145.000 auf 173.000 im Jahr 2013 gestiegen. Bereits im Jahr 2009 waren 125.000 der Patienten mit einem solchen Knochenbruch 70 Jahre und älter. Ein Schenkelhalsbruch ist inzwischen der häufigste Grund für eine Klinikeinweisung bei über 85-jährigen Frauen, erläutert der Unfallchirurg. Eine solche Fraktur kostet mit akut-stationärer Behandlung und Rehabilitation rund 20.000 Euro. Zusammen mit den Folgekosten belaufen sich die Ausgaben jährlich auf geschätzte 2,5 Milliarden Euro in Deutschland.

Besonders problematisch: „Diese Patienten haben alle eine Osteoporose und viele Komorbiditäten“, betont Liener. Neben der Akutversorgung des Bruchs und der Sekundärprophylaxe der Osteoporose zur Vermeidung weiterer Frakturen dürfen die  Begleiterkrankungen keineswegs vernachlässigt werden. Die älteren Patienten sind nicht nur überdurchschnittlich gebrechlich und anfällig für weitere Stürze, sie haben zudem kognitive Defizite, Depressionen, internistische Begleiterkrankungen wie Herz- und Niereninsuffizienz, sie sind mangel- und fehlernährt oder haben Ulcera.

Therapeutisches Team: Gesamtbild des Patienten ist entscheidend

 
Oberstes Ziel des ganzheitlichen Konzepts ist es, dass diese alten Patienten nach der Fraktur wieder in ihr häusliches Umfeld entlassen werden können. Prof. Dr. Ulrich C. Liener
 

Um dieser vulnerablen Patientengruppe besser Rechnung zu tragen, hat sich am Marienhospital in Stuttgart eine „ganzheitliche“ Behandlungsstrategie von Orthopäden und Geriatern etabliert. Die Klinik gehörte zu den ersten 10 Alterstraumatologie-Zentren, die von der DGU im Rahmen eines Pilotprojektes zertifiziert worden sind.

Das war im Jahr 2013. Inzwischen haben sich über 100 Krankenhäuser zur Zertifizierung angemeldet, freut sich Liener. „Die gemeinsame Behandlung der Patienten durch Unfallchirurgen bzw. Orthopäden und Geriater funktioniert genauso gut an Krankenhäusern auf dem Land, in der Stadt und an Universitätskliniken“, betont er.

Postoperativ ist die gemeinsame Behandlung in einem therapeutischen Team aus Unfallchirurgen, Geriatern sowie Mitarbeitern des Sozialdienstes, der Pflege und Physiotherapie ohnehin die Regel. Idealerweise wird der Patient aber bereits präoperativ vom Unfallchirurgen und Geriater gemeinsam gesehen, um zum Beispiel eine Niereninsuffizienz oder kardiale Begleiterkrankungen bereits vor der Operation mit zu berücksichtigen, Ernährungsdefizite rasch auszugleichen und für die nötige Delirprophylaxe zu sorgen.  

Keine Utopie: Der Patient sollte wieder nach Hause können

„Oberstes Ziel des ganzheitlichen Konzepts ist es, dass diese alten Patienten nach der Fraktur wieder in ihr häusliches Umfeld entlassen werden können“, betont Liener. Der Vorteil sei, dass im Team sinnvoll abgewogen werden kann, welche Therapie Priorität hat: „Wir nehmen zum Beispiel lieber einen höheren Blutdruck in Kauf, weil wir wissen, dass sich bei einem niedrigeren Blutdruck das Sturzrisiko erhöht und die Rate an Frakturen durch Stürze zunimmt“, erklärt der Alterstraumatologe.

Dass solche Konzepte erfolgreich sind und Kosten sparen können, bestätigt die jüngste Studie aus Trondheim eindrucksvoll nicht nur durch die besseren Mobilitätsraten 4 Monate nach Behandlung im interdisziplinären Team. Beispielsweise konnten die Patienten in der ortho-geriatrisch betreuten Gruppe vor allem schneller gehen, und von einem Stuhl aufstehen, ihr Standvermögen war ebenfalls besser als nach herkömmlicher Behandlung.

 
Wir nehmen zum Beispiel lieber einen höheren Blutdruck in Kauf, weil wir wissen, dass sich bei einem niedrigeren Blutdruck das Sturzrisiko erhöht. Prof. Dr. Ulrich C. Liener
 

Immerhin 25% (n = 47) aus dieser Gruppe konnten unmittelbar zurück in ihre häusliche Umgebung entlassen werden. In der Kontrollgruppe waren dies nur 11% (n = 20). „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die ganzheitliche geriatrische Pflege weniger kostet und effektiver ist“, resümieren die Studienautoren daher. Das gelte selbst unter dem Gesichtspunkt, dass das ganzheitliche Konzept die Verweildauer geringfügig verlängert hat.

Welche Patienten profitieren am meisten?

„Die Ressourcen sind knapp im Gesundheitswesen. Die Allokation wird sich daher danach richten, wo wir am meisten bewirken können“, betont auch Liener den ökonomischen Benefit. „Deshalb ist es entscheidend, diejenigen Patienten mit Femur-Fraktur zu identifizieren, die noch rehabilitiert werden können“, hält er fest.

 
Deshalb ist es entscheidend, diejenigen Patienten mit Femur-Fraktur zu identifizieren, die noch rehabilitiert werden können. Prof. Dr. Ulrich C. Liener
 

Am meisten ließe sich bei den Patienten bewirken, die noch zu Hause selbstbestimmt leben können, etwa mit Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes. Nicht mehr rehabilitationsfähig seien häufig Hochbetagte aus Pflegeheimen, die nicht mehr kooperationsfähig seien und schon vor der Fraktur nur noch wenige Meter gehen konnten oder bereits im Rollstuhl saßen. „Sie sind schon vorher in einem sehr schlechten funktionellen Zustand und erleiden in der letzten Lebensphase einen Bruch. Die Engländer sprechen hier von einem ,last event in a fading life‘“, beschreibt es Liener. So erkläre sich auch die in der Studie gefundene Sterberate zwischen 18 und 33%.

Aber selbst an diesem Punkt nützte die ortho-geriatrische Behandlung noch. Denn neben der Verbesserung der Mobilität war auch die  Mortalität reduziert, wenngleich dieser Trend nicht signifikant war. Die Mortalität in der ortho-geriatrischen Gruppe betrug nach 12 Monaten 15% (30 Patienten von 198) und 18% in der rein orthopädisch behandelten Gruppe (37 von 199 Patienten). In der ortho-geriatrischen Gruppe gab es zudem insgesamt weniger Komplikationen, Delirien und Infekte.

 

REFERENZEN:

1. Prestmo A, et al: Lancet (online) 5.Februar 2015

 

Kommentar

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