Das Versorgungsstärkungsgesetz im Bundestag: „Hier wird ein Koalitionsvertrag zum Gesetz erhoben“

Christian Beneker

Interessenkonflikte

9. März 2015

Für ihre Kampagnen gegen das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) bezog die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) im Deutschen Bundestag ordentlich Prügel. Seit Monaten macht die KBV gegen das Gesetzesvorhaben mobil. Bisher ohne Erfolg. Die Koalition folgt weiter strikt dem Koalitionsvertrag. In der ersten Lesung des Gesetzes verteidigten die Politiker der großen Koalition die neuen Regelungen strikt. „Hier wird ein Koalitionsvertrag zum Gesetz erhoben", kritisiert Hermann Dr. Jörg Hermann, Vorstandsvorsitzender der KV Bremen, gegenüber zu Medscape Deutschland.

Annette Widmann-Mauz, parlamentarische Staatssekretärin für Gesundheit, die für den erkrankten Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sprach, erinnerte die Ärzte an ihren Versorgungsauftrag. Zu der KBV-Kampagne ‚Wir arbeiten für Ihr Leben gern‘ erklärte sie: wenn der Satz kein PR-Gag sein solle, dann bedeute das, dass Ärzte „zumindest dort arbeiten, wo die Patienten leben." Nähe solle zu keinem Fremdwort werden.

„Stellen Sie sich vor, sie gehen zum Arzt und er ist nicht mehr da“

Die Politiker stehen außerdem zu dem – bereits im Vorfeld von Ärzteseite heftig kritisierten – Gebot für die Kassenärztlichen Vereinigungen, Arztsitze in überversorgten Gebieten aufzukaufen, wenn der Versorgungsgrad 110 Prozent überschreitet. Damit, so will es das Gesetz unter anderem, sollen die Niederlassungswilligen weg von den überversorgten Regionen hin in die unterversorgten Gebiete auf dem Land oder in den Vorstädten dirigiert werden. Ebenso warben die Redner für die von den KVen ungeliebten Terminvermittlungsstellen.

Den jüngsten Slogan der KBV-Kampagne „Stellen Sie sich vor, sie gehen zum Arzt und er ist nicht mehr da", begrüßte Widmann-Mauz indessen als treffende Problembeschreibung. Ebenso wie Jens Spahn von der CDU oder Sabine Dittmar von der SPD betonte auch die Staatssekretärin, dass eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung nötig sei.

 
Die Ärzte ziehen sich nicht zurück, sondern sie wandern ab, genauso wie andere Leute im arbeitsfähigen Alter strukturschwache Gebiete verlassen. Dr. Jörg Hermann
 

Die KV-Seite der Auseinandersetzung zweifelt jedoch, ob die Forderung nach einer gleichmäßigen Verteilung von Ärzten unbedingt aufrechterhalten werden kann und deutet die Probleme vollkommen anders. Hermann äußerte gegenüber Medscape Deutschland die Befürchtung, dass man die wohnortnahe Versorgung als grundsätzliche Maßgabe eher in Frage stellen müsse: „Die Ärzte ziehen sich nicht zurück, sondern sie wandern ab, genauso wie andere Leute im arbeitsfähigen Alter strukturschwache Gebiete verlassen."

Im Übrigen sei es weder immer der Wunsch der Patienten noch ihr Alltag, den Arzt stets in der Nachbarschaft zu finden. „Die Patienten gehen dahin, wohin sie möchten und nicht unbedingt zum nächsten Arzt. Sie folgen ihren Trampelpfaden, die sie zum Beispiel zu den großen Einkaufszentren führen. Dort gehen sie dann auch zu ihrem Arzt", meint Hermann. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die KV Hamburg, die genau diese Patientengewohnheiten in der Hansestadt festgestellt haben.

„Wie alle anderen wollen auch die Ärztinnen und Ärzte dort leben, wo sich ihre Familien wohl fühlen.“

 
Da wird der Wunscharzt zum Wunschtermin versprochen. Diese Versprechen können die Servicestellen nicht halten. Mark Barjenbruch
 

Auch Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KV Niedersachsen, sagte: „Wie alle anderen wollen auch die Ärztinnen und Ärzte dort leben, wo sich ihre Familien wohl fühlen." Und das sei nun einmal dort, wo es eine funktionierende Infrastruktur, Läden, Schulen und Nahverkehr gebe. „Wenn junge Ärzte auf dem Land arbeiten, dann haben sie gerne ihre Praxis auch in der Provinz, leben aber im städtischen Umfeld und pendeln zur Arbeit", so Barjenbruch zu Medscape Deutschland.

Dr. Wolfgang Krombholz, Vorstandsvorsitzender der KV Bayern, kritisierte, die Bedarfsplanung sei nicht mehr aktuell. „Es wäre viel sinnvoller, sich den echten, aktuellen Bedarf vor Ort anzusehen und dann mit allen Beteiligten gemeinsam sinnvolle Lösungen zu finden", so Krombholz. „Uns allen ist klar, dass ein Aufkauf von bis zu 4.600 Praxen in Bayern verheerende Folgen für die Patientenversorgung hätte."

 
Diverse Patientenumfragen zeigen, dass die Terminvergabe in Bayerns Praxen gut und schnell klappt. Dr. Wolfgang Krombholz
 

Die Staatssekretärin Widmann-Mauz hatte in ihrer Rede dagegen gesagt, es sei „blanker Unsinn" zu behaupten, dass die KVen massenhaft Praxen würden schließen müssen. Denn es gehe erstens um den Aufkauf des Sitzes, wenn ein Arzt ohnedies ausscheidet und zweitens müsse stets auch die lokale Situation mitbedacht werden. Tatsächlich dürfte den KVn vor allem der Umstand sauer aufstoßen, dass sie mit der Aufkaufregel einen Teil ihrer Autonomie verlieren.

Servicestellen? Überflüssig aber nicht zu stoppen

Prof. Dr. Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, sagte in der Bundestagsdebatte, das VSG verdiene seinen Namen, weil es das Bewährte besser mache. Das gelte auch für die Terminservicestellen, die nach dem Buchstaben des neuen Gesetzes von den KVen eingerichtet werden sollen.

Niedersachsens KV-Vorstandsvorsitzender Barjenbruch hält die Servicestellen dagegen für Mogelpackungen, zu teuer und letztlich unrealistisch. „Da wird der Wunscharzt zum Wunschtermin versprochen", so Barjenbruch. „Diese Versprechen können die Servicestellen nicht halten."

 
Die Terminvermittlungsstellen waren in den Koalitionsverhandlungen ein Kompromiss … Sie werden voraussichtlich beschlossen werden. Mark Barjenbruch
 

Zudem müsste etwa die KV Niedersachsen für Millionen Euro 62 Stellen finanzieren, um den voraussichtlichen Service-Bedarf zu befriedigen. Widmann-Mauz dagegen glaubt nicht, dass die Patienten von den KVen den Wunscharzt zum Wunschtermin erwarten. Bei den meisten überwiege der Wunsch, überhaupt einen Arzt zu sehen, so Widmann-Mauz am Donnerstag im Bundestag: „Und das verstehen wir auch unter Wahlfreiheit, dass der Patient diese Möglichkeit hat."

Für Krombholz sollen die Terminservicestellen schlicht einen Bedarf abarbeiten, den es gar nicht gibt. „Diverse Patientenumfragen zeigen, dass die Terminvergabe in Bayerns Praxen gut und schnell klappt", so Krombholz. Servicestelle? Überflüssig. Barjenbruch aus Niedersachsen sieht denn auch kaum Chancen, dass das Gesetz noch gestoppt werden könnte. „Die Terminvermittlungsstellen waren in den Koalitionsverhandlungen ein Kompromiss zwischen SPD und CDU, um die Bürgerversicherung abzuwenden", so Barjenbruch. „Sie werden voraussichtlich beschlossen werden."

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....