Weggegangen – Platz vergangen? Karriereknick nach Elternzeit an Uniklinik

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

6. März 2015

Eine Elternzeit kann einen Karriereknick für Ärzte und anderes Gesundheitspersonal in Kliniken bedeuten. Sie kommen zurück und müssen feststellen, dass ihnen ihr Aufgabenbereich abhandengekommen ist.

Dies ergibt sich aus einer quantitativen Umfrage an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die Studie, an der 406 aus der Elternzeit zurückgekehrte Beschäftigte, davon 91 Ärzte, teilnahmen, ist in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift publiziert worden [1].

 
Bei denjenigen, die eine Elternzeit genommen hatten, war die Fluktuationsrate doppelt so hoch. Dr. Carsten Engelmann
 

Fluktuation nach Elternzeit doppelt so hoch

Immerhin 58% der Akademiker erwogen nach der Rückkehr einen Arbeitgeberwechsel, 17% der Führungskräfte verloren ihre leitenden Positionen nach der Elternzeit. 51,4% aller Befragten konstatierten „signifikante Änderungen“ ihres Tätigkeitsprofils, 21% verloren gar alle oder nahezu alle ihre früheren Funktionen, berichten Dr. Carsten Engelmann und seine Kollegen.

Nach der Rückkehr sahen sich zudem viele Mitarbeiter in Tätigkeitsfelder gedrängt, in denen sie weniger „Macht“ und „Einfluss“ hatten. Bei Führungskräften verschlechterten sich diese Parameter und zukünftige Karriereaussichten nach der Elternzeit signifikant stärker als bei jenen, die weniger begehrte Jobs ohne spezielle Karriereaussichten hatten.

Die Konsequenz: „Bei denjenigen, die eine Elternzeit genommen hatten, war die Fluktuationsrate doppelt so hoch“, so Erstautor Engelmann gegenüber Medscape Deutschland, vormals MHH – heute Chefarzt der Kinderchirurgie am Klinikum Brandenburg. Engelmann und seine Kollegen hatten dazu auch die Personalabteilungsdatenbank von über 8.800 Beschäftigen an der MHH analysiert. Während die normale Fluktuation dort bei rund 19,7% liegt, beträgt sie nach der Elternzeit 39%.

Für die Pflege gelten andere Regeln als für das ärztliche Personal

Grundsätzlich seien diese beschriebenen Trends richtig, sagt auch Dr. Andrea Rothe von der Stabstelle betriebliche Gleichbehandlung des Städtischen Klinikums München. „Wenn Ärztinnen und Ärzte Elternzeit nehmen, dann sinken ihre Karrierechancen erheblich. Besonders unter den Ärztinnen machen viele ihre Facharztausbildung fertig und wechseln dann in die Praxis, weil hier der Nachtdienst entfällt und auch die Teilzeit leichter zu arrangieren ist.“

Die Gleichbehandlungsbeauftragte findet es zwar gut, dass das Thema Elternzeit untersucht wird. Doch die Studie sei an einigen Stellen zu undifferenziert, weil die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht konsequent berücksichtigt würden.

 
Häufig fühlen sich Vorgesetzte unangenehm berührt, wenn geschätzte Mitarbeiter, die sie viele Jahre gefördert haben, plötzlich das Team verlassen. Dr. Carsten Engelmann
 

„Für die Pflege kann ich aus meiner praktischen Erfahrung diese Trends nicht bestätigen“, betont Rothe. „Aufgrund des Pflegenotstands sind Kliniken um jede Pflegekraft dankbar, die wiederkommt.“ In dieser traditionellen Frauendomäne werde mit dem Thema Elternzeit viel selbstverständlicher umgegangen als im ärztlichen Bereich.

„Das Thema Elternzeit ist nicht in erster Linie ein Frauen- oder Männerthema, sondern es geht vielmehr um die Konkurrenz, um Handlungsspielräume und Entscheidungsfreiheit“, betont Engelmann gegenüber Medscape Deutschland. Getrennte Daten für Männer und Frauen fänden sich im Online-Supplement. Insgesamt habe bisher noch niemand solche Daten zur Elternzeit so umfassend quantitativ erhoben.

Elternzeit ist bei Vorgesetzten hochemotional besetzt

Er und seine Kollegen haben auch 63 Abteilungsleiter an der MHH befragt, wie sie die Ankündigung der Elternzeit aufgenommen haben. Das Thema Elternzeit löste bei den Vorgesetzten starke Emotionen aus. Die erfragte Intensität lag im Mittel bei 4 Punkten auf einer Skala von 1 = gar nicht bis 5 = sehr stark. „Häufig fühlen sich Vorgesetzte unangenehm berührt, wenn geschätzte Mitarbeiter, die sie viele Jahre gefördert haben, plötzlich das Team verlassen“, weiß Engelmann aus der Praxis.

Anders als ihre Mitarbeiter nahmen Abteilungsleiter Auswirkungen von Elternzeit negativ wahr: Während die Mitarbeiter ihren Fachwissensverlust (auf einer Skala von 1= gar nicht und 5 = sehr stark) als gering beurteilten (im Mittel 2,2), schätzten ihn die Vorgesetzten eher als größer ein (3,6).

Interesse an Elternzeit sinkt nach der ersten

Weitere Ergebnisse der Studie: Operativ arbeitende Ärzte gehen seltener in die Elternzeit als ihre konservativ arbeitenden Kollegen (20% versus 80%). Und Fachärzte (63%) nehmen Elternzeit häufiger in Anspruch als Ärzte in der Weiterbildung.

„Kein Wunder“, sagt Rothe. Denn die Facharztausbildung falle in der Regel in ein Alter, in dem Eltern spätestens mit der Familiengründung beginnen. Dass Chirurgen seltener Elternzeit nehmen, könne zum einen daran liegen, dass weniger Frauen in dieser Männerdomäne vertreten seien. Chirurginnen seien zudem nach der Schwangerschaft daran interessiert, schnell wieder zurückzukehren, damit sie ihre Weiterbildung bzw. Facharztausbildung beenden können. Schließlich geht ihnen viel Zeit verloren, weil sie häufig schon ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Schwangerschaft nicht mehr zum Skalpell greifen dürfen.

Insgesamt beurteilten Frauen ihre Karriereaussichten pessimistischer als Männer, vor allem, wenn sie vor der Elternzeit eine Führungsposition innehatten, so Engelmann: Je höher die frühere Position war, desto geringer konnten sie auch den Wunsch nach Teilzeit umsetzen. Die Begründung der Vorgesetzten hierfür sei, dass eine Teilzeit-Tätigkeit aufgrund mangelnder Flexibiliät und erhöhtem Organisationsaufwand nicht möglich sei, wie 41% der Betroffenen als Antwort auf eine offene Frage angegeben hatten.

Schlechte Erfahrungen nach einer Elternzeit haben auch Auswirkungen auf zukünftiges Verhalten: 12% aller Befragten gaben an, keine Elternzeit mehr einzuplanen. 25% würden verkürzen wollen. Der Anteil derer, die sich eine längere Elternzeit wünschten, fiel von 42% bei der ersten Elternzeit auf 24% für weitere Elternzeiten ab. Insgesamt würden aber 90% aller Nicht-Akademiker eine zweite Elternzeit nehmen, bei Ärzten waren es 80%.

Engelmann und Mitautoren verglichen die Fluktuationsraten auch mit anderen Ländern, so mit denen von 2 Universitätskliniken in der Schweiz und in Norwegen. Die Fluktuation nach Elternschaft war in einer Züricher Klinik nur halb so groß wie an der MHH. In der norwegischen Uni-Klinik übertraf der Anteil der männlichen Elternzeit-Ärzte in der Gesamtbelegschaft den Anteil aller Mediziner in Elternzeit an der MHH. „Dies zeigt, dass wir uns von der guten klinischen Praxis in anderen Ländern etwas abgucken können. Die Fluktuation ist wahrscheinlich geringer, weil die Bedingungen besser sind“, meint Rothe.

 

Tatsächlich werden die Elternzeitstellen aus Kostengründen oft nicht konsequent nachbesetzt. Dr. Andrea Rothe
 

Empfehlung: Elternzeit verbindlich regeln

„Gute klinische Praxis wäre es, die Elternzeit und die Vertreterregelungen zu managen und Vereinbarungen mit der Klinik zu treffen“, betont Engelmann. Doch bei 15% der Rückkehrer bestand gar keine Regelung, für 1 Drittel wurde ein Vertreter eingestellt, beim Rest übernahmen die Kollegen deren Aufgaben mit.

17% aller Rückkehrer erhielten ihren alten Verantwortungsbereich nicht zurück, weil dieser nach der Elternzeit vom Kollegen besetzt blieb. Bei 30% bestand lediglich eine mündliche Rückkehrvereinbarung und nur für 7% gab es eine schriftliche Vereinbarung.

Dass es keine Vertretungsregel gebe, sei ein ständiges Ärgernis für die Abteilungen, bestätigte auch Rothe. „Tatsächlich werden die Elternzeitstellen aus Kostengründen oft nicht konsequent nachbesetzt.“ Die Arbeit bleibe dann meist an den anderen hängen.

Abschließend geben Engelmann und seine Kollegen 4 Empfehlungen, wie die Elternzeit verbindlich geregelt werden kann:

  • 1) Es sollte der Status quo eines Mitarbeiters vor der Elternzeit klar dokumentiert werden.

  • 2) Die Niederlegung einer Rückkehrvereinbarung, die das Tätigkeitsfeld festlegt, ist ratsam.

  • 3) Es bedarf einer klaren Vertretungsregelung.

  • 4) Es sollten auch Mittel umgewidmet werden, um die durch Teilzeit bedingten Erschwernisse in den Abteilungen, zum Beispiel die Organisation von Schichtdienst, zeitbegrenzt zu kompensieren.

 

REFERENZEN:

1. Engelmann C, et al: Dtsch med Wochenschr. 2015;140(04):e28-e35

 

Kommentar

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