Ethikrat: Hirntod vor Organentnahme – doch was ist alles zum Organerhalt erlaubt?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

27. Februar 2015

Voraussetzung für eine Organspende ist und bleibt der Hirntod. Das hat der Deutsche Ethikrat jetzt bekräftigt [1]. Als Entnahmekriterium für eine postmortale Organspende genüge ein Herzstillstand nicht, betonte das Gremium in seiner 170 Seiten umfassenden Stellungnahme.

Einig war sich der Deutsche Ethikrat zwar darin, dass der Hirntod die entscheidende Voraussetzung für eine Organentnahme bleibt. Umstritten ist allerdings innerhalb dieses Gremiums, ob der Hirntod auch für den Tod eines Menschen das geeignete Kriterium ist. Für Zweifel sorgen nicht zuletzt die Erkenntnisse des US-Neurologen Alan Shewmon, der zahlreiche Fälle beschrieb, in denen Hirntote in intensivmedizinischer Pflege noch jahrelang zu leben schienen, bevor es zum Herztod kam.

 
Fundamentale Bewertungs-unterschiede bestehen in der Frage, ob ein Mensch mit irreversiblem Hirnversagen auch in organismischer Hinsicht schon als tot zu bezeichnen ist. Minderheitsvotum Deutscher Ethikrat
 

So sieht eine Minderheit im Ethikrat denn auch im irreversiblen Hirnversagen nicht den Tod des Menschen begründet. Wörtlich heißt es: „Fundamentale Bewertungsunterschiede bestehen in der Frage, ob ein Mensch mit irreversiblem Hirnversagen auch in organismischer Hinsicht schon als tot zu bezeichnen ist. Wo ist die Schwelle anzusetzen, jenseits derer die Integration des Körpers zu einer biologischen Einheit aufgehoben ist?“

Auch nach dem Ausfall der Hirnfunktionen besitze der menschliche Körper noch gewisse Steuerungsfunktionen. Das zeigten etwa Reaktionen auf Schmerzreize und die Tatsache, dass eine für tot erklärte Schwangere dennoch ein lebendes Kind in sich tragen könne.

Entsprechend hält die Minderheit des Ethikrates auch die Dead-Donor-Rule für „nicht zwingend“. Diese besagt, dass eine Organentnahme nur zulässig ist, wenn der Tod des Spenders festgestellt ist. Der Hirntod genügt der Minderheit mithin als Kriterium für die Organentnahme, es muss nicht zuvor auch noch der Tod des Spenders festgestellt werden.

Die große Mehrheit im Ethikrat erkennt jedoch den Hirntod auch als sicheres Todeszeichen an und hält deshalb auch an der Dead-Donor-Rule fest. Das Gehirn sei das zentrale Koordinierungsorgan des Menschen. Durch einen irreversiblen Ausfall aller Gehirnfunktionen würden auch die mentale Aktivität, die Empfindung und jedes eigenständige Verhalten sowie die Kommunikation mit der Umwelt erlöschen.

Mehrheitlich kommt der Ethikrat daher zu dem Schluss, dass man dann nicht mehr von einem lebendigen Menschen sprechen könne. Die Mehrheit im Gremium hält daher an der Ansicht fest, dass eine Organspende nur zulässig ist, wenn der Tod des möglichen Organspenders festgestellt ist.

Ethikrat: Ärztekammern sollen in der Hirntoddiagnostik fortbilden

Der Ethikrat fordert die Bundesärztekammer dazu auf, die Methoden der Hirndiagnostik den Erkenntnissen der Wissenschaft kontinuierlich anzupassen und ihre Anwendung in der Praxis sicherzustellen. Das Gremium regt auch an, die wissenschaftliche Forschung im Zusammenhang mit Hirntoddiagnostik und Organspende zu fördern.

„Die Durchführung der Hirntoddiagnostik erfordert eine hohe medizinische Fachkompetenz der untersuchenden Ärzte, die nach der gesetzlichen Vorgabe den Spender unabhängig voneinander untersuchen müssen und nicht an der Transplantation beteiligt sein dürfen“, heißt es in der Stellungnahme. Die Ärztekammern sollten die dafür erforderlichen Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sicherstellen und die zuständigen Stellen dafür sorgen, dass fachkompetente Ärzte für die Hirntoddiagnostik flächendeckend und zeitnah zur Verfügung stehen.

Genau daran scheint es eklatant zu fehlen, wie Prof. Dr. Gundolf Gubernatis vor wenigen Tagen in einem Interview mit Medscape Deutschland gerügt hat. Gubernatis, Transplantationsmediziner aus Wilhelmshaven, bekräftigt darin, dass er momentan seine Organe wohl nicht spenden würde.

Der Grund: Das vorgeschriebene Mindestniveau an Wissen und Erfahrung zur Hirntoddiagnostik ist ihm zu gering. Der Arzt, der den Hirntod feststellt, müsse nach den Richtlinien der Bundesärztekammer weder Facharzt sein, noch muss er eine solche Untersuchung je gesehen oder unter Anleitung selbst vorgenommen haben, moniert Gubernatis. Er müsse nicht einmal die Regeln der Bundesärztekammer nachweislich zur Kenntnis genommen haben.

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) sowie die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) begrüßen in einer Stellungnahme die Empfehlungen ausdrücklich. Sie bekräftigen darin aber auch ihre Forderung, dass mindestens ein Arzt mit der Ausbildung eines ihrer Fachgebiete an der Feststellung des Hirntods beteiligt sein sollte, um die Hirntoddiagnostik besser abzusichern.

Die Feststellung des Hirntodes gilt einerseits als eine der sichersten Diagnosen, erfordert dafür andererseits aber eine hohe medizinische Fachkompetenz der untersuchenden Ärzte. In den Richtlinien der Bundesärztekammer sollte, so die Forderungen der DGN, DGNI und DGNC, deshalb verankert werden, dass mindestens ein Neurologe oder Neurochirurg mit langjähriger Erfahrung in der Intensivmedizin und regelmäßiger praktischer Erfahrung in der Hirntodbestimmung beteiligt sei.

Die seit 1997 gültigen Richtlinien zur Hirntoddiagnostik werden vom Arbeitskreis „Fortschreibung der Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer derzeit überarbeitet. Wie Prof. Dr. Andreas Ferbert, Präsident der DGNI und Mitglied im Arbeitskreis der BÄK auf der Arbeitstagung vor kurzem ankündigte, werden die aktualisierten Richtlinien Mitte dieses Jahres vorliegen.

Bei der Kommunikation mit Angehörigen besteht Nachbesserungsbedarf

Der Ethikrat weist darauf hin, dass die Transplantationsmedizin auf umfassende und transparente Kommunikation in der Öffentlichkeit und im Kontakt mit potenziellen Spendern, Angehörigen und rechtlichen Vertretern angewiesen ist. Vor allem in der Kommunikation mit Angehörigen und rechtlichen Vertretern fordert der Rat Verbesserungen ein. Dazu gehörten ein möglichst frühes Gespräch in ruhiger Umgebung und ausreichend Zeit. Die Beratungen sollten zudem non-direktiv und ergebnisoffen erfolgen.

 
Jede Entscheidung der Angehörigen, auch eine Ablehnung der Organspende, sollte respektiert werden. Deutscher Ethikrat
 

„Jede Entscheidung der Angehörigen, auch eine Ablehnung der Organspende, sollte respektiert werden“, betont das Gremium. Dabei sollte die Beratung der Personen, die eine Entscheidung über eine Organspende treffen müssen, noch vor Feststellung des Hirntodes begonnen werden dürfen.

Kritik: Noch zu wenig Transplantationsbeauftragte

Nicht zufrieden ist das Gremium auch damit, wie bislang die Verpflichtung der Entnahmekrankenhäuser, Transplantationsbeauftragte zu bestellen, in die Praxis umgesetzt wird. In den Bundesländern sei der gesetzliche Auftrag bislang sehr unterschiedlich erfüllt worden.

Auch die Informationskampagnen von Kassen und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Organspende ließen zu wünschen übrig: Aufgrund der Auswertung der Daten von BZgA, Krankenkassen und Krankenversicherungen habe sich ein „nicht unerheblicher Nachbesserungsbedarf“ ergeben.

Der Ethikrat pocht schließlich auf eine gesetzliche Regelung von organprotektiven Maßnahmen. Diese dienen nicht mehr der (Heil)-Behandlung des Patienten, sondern dem Erhalt seiner Organe durch Beatmung und medikamentöse Maßnahmen. Nach der Hirntodfeststellung sind solche Maßnahmen unproblematisch, denn sie fallen unter das Transplantationsrecht.

Die Frage sei aber, inwieweit solche Maßnahme bereits vor und während der Hirntoddiagnostik bis zur Feststellung des Hirntods ethisch und rechtlich zulässig sei. Das Gremium regt an, die Materialien zur Aufklärung der Bevölkerung über „die gesamte Tragweite der Entscheidung“ (§ 2 Abs. 1 TPG) zur Organspende zu ergänzen.

Dazu gehörte nicht zuletzt, darüber zu informieren, dass möglicherweise die in Patientenverfügungen geäußerten Wünsche  mit denen der Organspende-Erklärung kollidieren, etwa im Hinblick auf  Art, Umfang und Zeitpunkt von organprotektiven Maßnahmen. Auch der Fall, dass sich bei einem potentiellen Organspender eine Einwilligung in organprotektive Maßnahmen nicht feststellen lässt, er sich etwa nicht eindeutig festgelegt hat oder nicht mehr äußern kann, solle gesetzlich geregelt werden. Es müsse bestimmt werden, welche Personen diese Entscheidung über das Einleiten solcher Maßnahmen vor Feststellung des Hirntodes treffen dürfen.

 

REFERENZEN:

1. Deutscher Ethikrat: Stellungnahme zu Hirntod und Entscheidung zur Organspende; 24.2.2015

 

Kommentar

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