Nashville – Ein ischämischer Schlaganfall erstreckt sich über ein größeres Gehirnareal und ist mit gravierenderen neurologischen Ausfällen verbunden, wenn der Patient niedrige Vitamin-D-Spiegel hat. Diesen Zusammenhang hat eine Studie aufgedeckt, die auf der Internationalen Stroke Konferenz am Wochenende im amerikanischen Nashville/Tennessee vorgestellt worden ist. Lagen die Vitamin-D-Spiegel unter 30 ng/ml, war der Infarkt doppelt so groß wie bei Patienten mit höheren Serumspiegeln; außerdem war die Gruppe mit den niedrigen Vitamin-D-Werten nach 3 Monaten funktionell immer noch deutlich stärker beeinträchtigt.
Sofern diese Beobachtungen mit Hilfe weiterer Studien bestätigt werden, kann dies vielleicht Motivation sein, um echte Interventionsstudien aufzulegen, hofft Prof. Dr. Nils Henninger, der Hauptautor der Studie: „Denkbar ist ein Szenario, in dem man genau diejenigen für eine Supplementierung auswählt, die ein besonders hohes Risiko für einen Schlaganfall haben“, so der Neurologe und Psychiater von der Universitätsklinik in Worchester/Massachusetts.
Er erklärte in Nashville, dass man bislang nur einen indirekten Zusammenhang zwischen Vitamin D und Schlaganfallrisiko vermutet hatte, der sich bereits in populationsbasierten epidemiologischen Studien offenbarte. Da ein niedriges Vitamin D mit Hypertonie und Diabetes assoziiert wird, beides Risikofaktoren für Schlaganfall und das Ausmaß des Hirninfarkts sind, lag diese Hypothese nahe.
Beeinflusst Vitamin D womöglich direkt das Schlaganfallrisiko?
„Unlängst gab es jedoch Hinweise darauf, dass Vitamin D das Schlaganfallrisiko und das funktionelle Outcome unmittelbar beeinflusst“, betonte Henninger. Wie das gehen soll, sei zwar nicht klar, „aber ich halte es für ganz wichtig, das zu verstehen. Denn damit bietet sich eine rationale Basis für eine Vitamin-D-Supplementierung, um das Schlaganfallrisiko bei ausgewählten Patienten zu verringern.“ Frühere Studien waren bei dem Versuch, einen Nutzen der Vitamin-D-Gabe nachzuweisen, gescheitert, was vielleicht an der falschen Auswahl der Teilnehmer lag, vermutet der Forscher.
In der aktuellen Studie untersuchten die Wissenschaftler, ob eine Verbindung zwischen niedrigen Vitamin-D-Serumspiegeln – gemessen als Konzentration von 25-Hydroxy-Vitamin D (25(OH)D) – und dem Infarktvolumen sowie dem funktionellen Outcome 3 Monate nach dem Hirninfarkt besteht. Außerdem überprüften sie, ob die Vitamin-Spiegel irgendeinen Effekt auf verschiedene Infarkttypen hatten oder ob der Messzeitpunkt für die Ergebnisse eine Rolle spielte.
In die Analyse gingen 96 Patienten ein, die von Januar 2013 bis zum Januar 2014 mit einem akuten ischämischen Schlaganfall in eine Klinik der Maximalversorgung kamen. Der Altersdurchschnitt lag bei 73 Jahren, 45% waren Frauen. Die Diagnose Hirninfarkt ist mittels Magnetresonanztomografie (MRT) bestätigt worden. Als Normwert der Vitaminspiegel galt eine Konzentration von mehr als 30 ng/ml 25(OH)D. Parameter für das funktionelle neurologische Outcome war die modifizierte Rankin Skala (mRS; funktionelle Beeinträchtigung ab > mRS von 2).
Je besser der Vitamin-D-Status, desto begrenzter der Hirninfarkt
Die Ergebnisse im Detail: Patienten mit erniedrigten Vitamin-D-Spiegeln hatten mit 17 ml eine doppelt so großes Infarktvolumen wie diejenigen mit Konzentrationen jenseits des Cut-off-Wertes; es lag im Durchschnitt bei 8 ml (p = 0,01). Besonders hoch was das Signifikanzniveau, wenn man nur die lakunären Infarkte (p 0 0,001) betrachtete, nicht mehr signifikant war das Ergebnis für nicht-lakunäre Infarkte (p = 0,072).
Die Beziehung zwischen Vitamin-D-Konzentration und Infarktvolumen war besonders auffällig, wenn die Spiegel innerhalb von 2 Wochen vor dem Schlaganfall gemessen wurden: Zu diesem Zeitpunkt gingen erniedrigte Spiegel mit einem vierfach größeren Infarktareal einher (p = 0,05). Lag die Messung länger zurück, ließ sich kein signifikanter Zusammenhang mehr herstellen.
Was die neurologischen Ausfälle angeht, so hatten Patienten mit erniedrigten Vitamin-D-Spiegeln häufiger mRS-Werte von über 2, d.h. sie konnten sich nicht mehr vollständig selbst versorgen. Das Risiko für ein ungünstiges Outcome verdoppelte sich mit jeden 10 ng/ml, um die die Vitamin-Konzentration geringer war.
Henninger räumt allerdings auch ein, dass all dies keinerlei Auskunft über einen Kausalzusammenhang liefert. „Ist wirklich Vitamin D der Auslöser für die Effekte, die wir messen, ist es nur ein ‚innocent bystander‘ oder lediglich ein Marker für den allgemeinen Gesundheitszustand?“, fragt der Studienautor. Er verweist damit auf ein gängiges Erklärungsmodell für die vielfältigen Wirkungen von Vitamin D (wie Medscape Deutschland berichtete).
Vitamin-D-Spiegel: Was genügt, was ist optimal, was wird bezahlt? Das amerikanische Institute of Medicine (IOM) hat im Jahr 2011 erklärt, Konzentrationen von 20 ng/ml seien völlig ausreichend. Dem schließt sich die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie an und spricht bei Werten von 10 bis 19 ng/ml von einer Insuffizienz, darunter von einer Defizienz oder schwerem Mangel, die US-amerikanischen Endokrinologen nennen erst eine Konzentration ab 30 ng/ml optimal. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) übernimmt zwar bei „medizinischer Notwendigkeit“ die Kosten für die Supplementierung, definiert den Begriff aber ebenso wenig wie einen Cut-off-Wert, unterhalb dessen eine Vitamin-D-Verordnung abgerechnet werden könnte. |
Wann kann Supplementierung sinnvoll sein?
Die Aussagekraft der Studie ist auch deshalb eingeschränkt, weil sie klein war, es sich um eine retrospektive Analyse handelt und die Messung des Vitamin D eher zufällig war und nur auf einer Entscheidung des jeweils behandelnden Arztes beruhte. Auskünfte zum Lebensstil der Probanden liegen auch so gut wie nicht vor.
Dennoch: „Es lohnt sich, Vitamin D als möglichen Biomarker für eine Vulnerabilität im Hinblick auf zerebrale Ischämie und als mögliche Stellschraube für die Schlaganfallprophylaxe näher unter die Lupe zu nehmen“, meint Henninger. Wenngleich er zugibt, dass es noch viel zu früh sei, eine Supplementierung generell zu empfehlen, kann das seiner Ansicht nach im Einzelfall dennoch geboten sein.
Sind die Werte niedrig, ist die Gabe von Vitamin-D-Präparaten schon aus Gründen der Knochengesundheit wichtig, betont der Neurologe, und hält es jedenfalls mit seinen eigenen Patienten so: „Ich will nur nicht für eine unkritische Supplementierung Werbung machen, vor allem, weil es auch Überdosierungen mit problematischen Nebenwirkungen gibt. Mehr ist nicht unbedingt besser.“
„Frühere Studien haben bereits Belege dafür erbracht, dass niedrige Vitman-D-Spiegel das kardiovaskuläre Risiko erhöhen“, sagte Prof. Dr. Jose Biller, Leiter der Neurologischen Klinik an der Loyola Universitätsklinik in Chicago, Illinois, gegenüber Medscape in Nashville. Und nicht nur das: „Neuere Arbeiten zeigen zudem, dass erniedrigte Konzentrationen das Schlaganfall-Risiko verdoppeln, jedenfalls bei Frauen“, so sein Kommentar.
Da vor kurzem außerdem niedrige Vitamin-D-Spiegel bei Kindern später mit zwar nicht manifesten, aber doch subklinischen Merkmalen einer Arteriosklerose einhergingen, lautet sein Fazit: „Apriori scheint es intuitiv sinnvoll zu sein, den Vitamin-D-Spiegel bei diesen Patienten angemessen hoch zu halten.“
Dieser Artikel wurde von Dr. Martina Lenzen-Schulte aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Alleskönner Vitamin-D? Bei niedrigen Spiegeln sind Hirninfarkte verheerender - Medscape - 17. Feb 2015.
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