Jung, gestresst, weiblich – das erschwert die Erholung nach einem Herzinfarkt

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

13. Februar 2015

Jüngere und prämenopausale Frauen gelten nicht als Kandidaten für einen „stressbedingten“ akuten Myokardinfarkt (AMI). Sie sind jedoch mindestens genauso gefährdet wie Männer und benötigen eine auf sie zugeschnittene Therapie. Zu diesem Ergebnis gelangt eine soeben in der Zeitschrift Circulation veröffentlichte Studie [1].

Ein AMI wird bei Männern doppelt so oft wie bei Frauen diagnostiziert. Dies bestätigen Zahlen des KORA-Herzinfarktregisters Augsburg, nach denen in den Jahren 2010 bis 2012 insgesamt 8.073 von 100.000 Männern, aber „nur“ 3.914 von 100.000 Frauen pro Jahr einen Myokardinfarkt erlitten.

Dr. Irmtraut Kruck

„Allerdings werden die Infarkte bei Frauen seltener frühzeitig diagnostiziert“, erklärt Dr. Irmtraut Kruck, Ludwigsburg, im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Der charakteristische Thoraxschmerz ist bei Frauen oft weniger ausgeprägt; sie leiden eher unter unspezifischen Symptomen wie Dyspnoe, Abdominalschmerz und Angst“, betont die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft „Gendermedizin in der Kardiologie“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. So missdeuten Infarktpatientinnen häufig ihre Symptome, werden fehldiagnostiziert und kommen zu spät oder gar nicht in die Notaufnahme.

„Ein weiterer geschlechtsspezifischer Unterschied ist, dass bei älteren Frauen häufiger als bei Männern die sogenannte Tako-Tsubo-Kardiomyopathie beobachtet wird, die man auch als Stresskardiomyopathie bezeichnet“, so Kruck. Dabei zeigt sich eine infarktähnliche Symptomatik mit ausgeprägten Wandbewegungsstörungen des linken Ventrikels ohne Verschluss von Koronararterien; eine Erkrankung, die in der Regel durch traumatische Lebensereignisse ausgelöst wird. „Es wird vermutet, dass es sich um eine exzessive Katecholaminausschüttung handelt“, erläutert die Kardiologin auf Nachfrage von Medscape Deutschland. Das Outcome ist deutlich besser als beim klassischen AMI [2].

 
Allerdings werden die Infarkte bei Frauen seltener frühzeitig diagnostiziert. Der charakteristische Thoraxschmerz ist bei Frauen oft weniger ausgeprägt. Dr. Irmtraut Kruck
 

Genderspezifische Unterschiede beim Herzinfarkt wurden bisher überwiegend für ältere Patientinnen und Patienten systematisch untersucht. Die aktuelle Studie sollte hier Abhilfe schaffen und nahm dabei besonders die psychosozialen Belastungen in der Zeit vor dem (klassischen) akuten Myokardinfarkt ins Visier.

Studie mit jüngeren Infarktpatienten

In die Analyse von Dr. Xiao Xu, Yale University School of Medicine, New Haven, USA, und Kollegen gingen die Daten von 2.397 AMI-Patientinnen und 1.175 AMI-Patienten im Alter von 18 bis 55 Jahren aus den USA, Spanien und Australien ein. Ganz bewusst wurden doppelt so viele Frauen wie Männer eingeschlossen, denn im Mittelpunkt stand das Outcome der weiblichen Patienten im Zusammenhang mit dem von ihnen empfundenen Stress im täglichen Leben.

Die psychosoziale Belastung aller Studienteilnehmer im Monat vor der infarktbedingten Hospitalisierung wurde mit Hilfe der Perceived Stress Scale PSS-14 erfasst. Dieses Instrument beinhaltet 14 Fragen zum subjektiven Befinden, etwa „Wie oft haben Sie sich im letzten Monat über etwas Unerwartetes aufgeregt?“ oder „Wie oft hatten Sie im letzten Monat das Gefühl, dass Sie nicht alles bewältigen können, was Sie erledigen müssen?“. Die möglichen Antworten reichen von „niemals“ bis „sehr oft“ und werden jeweils mit einer Punktzahl von 0 bis 4 bewertet, so dass insgesamt 0 bis 56 Punkte zusammenkommen können. Klare Grenzwerte für eine starke, potenziell pathogene Belastung gibt es bisher nicht.

Darüber hinaus hat die Studie auch die psychosozialen Stressoren im Einzelnen festgehalten, zumindest in Kategorien: So haben „belastende Lebensereignisse“, „Beanspruchung durch pflegerische Aufgaben“, „finanzielle Notlagen“, „berufliche Arbeitsbelastung“ und – als positives Gegengewicht – „soziale Unterstützung“ Eingang in die Dokumentation gefunden. Dabei fielen die Unterscheidungen allerdings nicht immer allzu subtil aus. So sind etwa unter „Arbeitsbelastung“ sowohl Arbeitslosigkeit als auch unbezahlte Arbeit, die Ausübung eines oder mehrerer Halbtagsjobs oder das häufige Ableisten von Überstunden subsummiert worden.

Mehr Stress und langsamere Erholung bei Frauen?

 
Gerade in Deutschland hat sich in den letzten Jahren viel getan; immer mehr Frauen mit AMI werden innerhalb eines akzeptablen Zeitfensters leitliniengerecht behandelt. Dr. Irmtraut Kruck
 

Würde man die Studienergebnisse verallgemeinern, so ließe sich daraus folgern, dass AMI-Patientinnen im Alter von 18 bis 55 Jahren vor dem Infarkt mehr Stress haben und sich anschließend langsamer erholen als Männer im gleichen Alter und mit der gleichen Diagnose.

Denn: Die Patientinnen hatten einen PSS-14-Wert von durchschnittlich 27,0 Punkten, die Männer nur 23,4 Punkte. Das war ein signifikanter Unterschied, der sich in allen 14 Items des Fragebogens nachweisen ließ. Und: Einen Monat nach dem Infarkt waren die Angina-pectoris-Symptome, die allgemeine körperliche und mentale Gesundheit laut SF-12 und die Lebensqualität laut Euro-QoL bei den Männern im Mittel signifikant besser als bei den Frauen.

Auch nach Adjustierung für die verschiedensten demografischen Faktoren blieb das Outcome der Frauen einen Monat nach dem Infarkt schlechter als das der Männer. Die Autoren suchten die Gründe dafür in der ungleichen Stressverteilung.

So erlebten die Frauen häufiger eine starke Belastung durch die Pflege eigener Kinder oder Enkel – auch als Alleinerziehende – oder der eigenen Eltern sowie durch unbezahlte oder überbordende Arbeit und durch finanzielle Engpässe. Nahm man dagegen die Männer genauer unter die Lupe, so basierte ihr Stress häufiger auf Faktoren wie Geschäftskonkurs, Verlust des Arbeitsplatzes oder der Ernte.

Zudem litten die Studienteilnehmerinnen häufiger an Diabetes mellitus, Nieren- oder Lungenerkrankungen, Krebs und/oder Depressionen oder hatten bereits eine Vorgeschichte kardialer Erkrankungen. Und mehr Frauen als Männer (44,8% vs 36,3%) kamen später als 6 Stunden nach Einsetzen der Symptome in die Klinik.

In Deutschland haben es Infarktpatientinnen besser

„Die Studie hatte allerdings einige Limitationen“, gibt Kruck zu bedenken. So sei die Beschreibung der Stressoren ungenau und eine Angabe über die Therapie bei und nach dem Infarkt fehle völlig. Zudem sei die Studienpopulation nicht nach ethnischer Zugehörigkeit aufgeschlüsselt worden, obwohl diese für das Outcome nach Myokardinfarkt bedeutsam sei.

 
Die Studie macht deutlich, dass wir in der Rehabilitation nach Myokardinfarkt frauenspezifische Angebote mit umfassender psychosozialer Betreuung benötigen. Dr. Irmtraut Kruck
 

„Vermutlich sind die Patienten nicht repräsentativ für europäische Verhältnisse“, so die Kardiologin. „Gerade in Deutschland hat sich in den letzten Jahren viel getan; sowohl die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung als auch eine bessere intersektorale Vernetzung und gute Ausstattung der Behandlungszentren haben dazu geführt, dass immer mehr Frauen mit AMI innerhalb eines akzeptablen Zeitfensters leitliniengerecht behandelt werden.“

Die Studie leiste trotzdem einen wichtigen Beitrag als Denkanstoß für die weitere Forschung, so Kruck: „Sie zeigt einmal mehr, dass wir in der Kardiologie ein feines Gespür für Gender-Unterschiede entwickeln müssen, und sie macht deutlich, dass wir in der Rehabilitation nach Myokardinfarkt frauenspezifische Angebote mit umfassender psychosozialer Betreuung benötigen.“

 

REFERENZEN:

1. Xu X, et al: Circulation (online) 9. Februar 2015

2. Schneider B, et al: Int J Cardiol. 2013;166(3):584-588

 

Kommentar

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