Altern ade: „Die ersten Menschen werden in zwanzig Jahren profitieren“

Shari Langemak

Interessenkonflikte

12. Februar 2015

Dr. Aubrey de Grey

San Diego – Altern muss nicht sein – davon ist der renommierte Gerontologe und Buchautor Dr. Aubrey de Grey fest überzeugt. Wie Alterserkrankungen und -erscheinungen beseitigt werden können, will der wissenschaftliche Direktor der SENS (Strategies for Engineered Negligible Senescence) Research Foundation mit seinen Kollegen zeigen. Schon in 20 Jahren sollen die ersten Menschen von seiner Forschung profitieren. Im Gespräch mit Medscape Deutschland erklärt er, welche Targets sich die Forscher dafür vorgeknöpft haben und welche Krankheiten hoffentlich bald der Vergangenheit angehören werden.

Medscape Deutschland: Es gibt viele Definitionen vom Altern. Welches ist Ihrer Ansicht nach die richtige?

Dr. De Grey: Altern ist die Akkumulation von Schäden im Körper, die als Beiprodukt seiner normalen Funktion entstehen. Man kann dies mit der Akkumulation von Rost auf einem Auto vergleichen, der bei dessen wiederholten Betrieb entsteht. So ist Atmen zum Beispiel schlecht, da es freie Radikale produziert. Doch natürlich kann niemand deswegen darauf verzichten.

Medscape Deutschland: Deswegen engagieren Sie sich in der Beseitigung von Schäden beziehungsweise versuchen die Entstehung dieser Beiprodukte zu verhindern. Wo genau setzt man da am besten an?

Dr. De Grey: Tatsächlich gibt es nicht nur ein einziges Target, das wir angreifen könnten. Und das ist auch der Grund, warum viele Menschen dem Thema Altern zunächst nur sehr widerwillig gewidmet und erst nach langer Zeit andere Therapie-Möglichkeiten entdeckt haben. Wir müssen verschiedene Targets auf einmal angreifen, wenn wir das Altern wirklich stoppen wollen. Dabei muss kein Schaden vollständig beseitigt werden, wir werden bereits signifikante Effekte sehen, wenn wir alle von ihnen zumindest teilweise beseitigen. Prinzipiell gibt es hier 7 Hauptkategorien von Schäden und für jede gibt es bereits Ansätze für eine spezifische Therapie.

Medscape Deutschland: Die Stammzell-Therapie gehört bestimmt dazu.

 
Wir müssen verschiedene Targets auf einmal angreifen, wenn wir das Altern wirklich stoppen wollen.
 

Dr. De Grey: Selbstverständlich. Wenn eine Zelle stirbt und nicht vom Körper selbst ersetzt wird, kann eine Stammzell-Therapie sehr sinnvoll sein. In diesem Gebiet gibt es außerdem bereits grundlegende Kenntnisse, da viele Wissenschaftler seit Langem dazu forschen. Unsere Stiftung arbeitet aus genau diesem Grund allerdings wenig mit Stammzellen. Wir konzentrieren uns auf die Bereiche, die von anderen Forschern bislang vernachlässigt worden sind. Wenn wir wirklich eine Waffe gegen das Altern finden wollen, müssen wir auch für die anderen Schäden ein Mittel finden, da genügt die Stammzell-Therapie allein nicht.

Medscape Deutschland: Vielleicht können Sie uns ja ein paar Beispiele für Targets fernab der Stammzell-Therapie geben.

Dr. De Grey: Nicht nur der Zelltod, sondern auch das unkontrollierte Zellwachstum ist ein Problem des Alterns. Denken wir beispielsweise an Krebs. Hier teilen sich Zellen unkontrolliert weiter, obwohl sie es eigentlich nicht tun sollten. Problematisch wird es ebenso, wenn Zellen nicht ordnungsgemäß sterben. Das kann erwiesenermaßen negative Folgen für das Immunsystem haben. Wir arbeiten deshalb mit Verfahren wie der Suizid-Gen-Therapie. Im Labor ist diese bereits Routine, sie muss allerdings noch in der Klinik eingeführt werden.

 

Wir konzentrieren uns auf die Bereiche, die von anderen Forschern bislang vernachlässigt worden sind.
 

Ein anderes Target sind mitochondriale Mutationen. Sie sind Folge von freien Radikalen, die bei der Energiegewinnung im Mitochondrium entstehen, und akkumulieren in dessen DNA viel schneller als im Zellkern. Wir arbeiten daran, diese DNA trotzdem möglichst lange funktionsfähig zu erhalten, indem wir Kopien von ihr anfertigen und dann in den Zellkern verlagern, wo sie vor den schädigenden freien Radikalen geschützt ist. Natürlich müssen wir dabei sicherstellen, dass die mitochondriale DNA im Zellkern ebenso funktioniert wie im Mitochondrium.

Medscape Deutschland: Freie Radikale sind nicht die einzigen problematischen Beiprodukte des zellulären Stoffwechsels. Gibt es bereits auch Möglichkeiten, unverdauliche Abfallprodukte der Zelle zu beseitigen?

Dr. De Grey: Tatsächlich generiert der Körper im Rahmen des regulären Stoffwechsels eine Vielzahl an Abfallprodukten, die er am Ende nicht mehr selbst beseitigen kann. Deshalb versuchen wir hier mit bakteriellen Enzymen nachzuhelfen. Aber nicht nur intrazellulärer Abfall allein schädigt den Körper, auch extrazellulär können sich problematische Stoffe anhäufen. Die Folgen sind wahrscheinlich am besten für die Amyloid-Plaques bei der Alzheimer-Erkrankung bekannt. Hier wollen wir das Immunsystem so trainieren, dass es am Ende diese Proteine selbst beseitigen kann.

 
Die Chancen sind recht hoch, dass bereits jetzt Menschen leben, die später von der Therapie profitieren werden.
 

Ablagerungen sind jedoch nicht das einzige Problem außerhalb der Zelle. Wir beobachten mit zunehmendem Alter ebenso eine zunehmende Steifigkeit der Extrazellularmatrix, die aus Querverbindungen zwischen den Matrix-Proteinen resultiert. Wir haben deswegen einen Ansatz entwickelt, diese Querverbindungen wieder zu lösen.

Medscape Deutschland: Klingt großartig – wann können wir mit der Anti-Aging-Therapie loslegen?

Dr. De Grey: Viele dieser Forschungsprogramme befinden sich noch in einem frühen Stadium. Es ist unwahrscheinlich, dass alle Ansätze vor 2035 gut funktionieren werden. Aber so lang sind 20 Jahre zum Glück nicht. Die Chancen sind recht hoch, dass bereits jetzt Menschen leben, die später von der Therapie profitieren werden.

Medscape Deutschland: Aber sicherlich sollte man nicht zu spät mit dem Reparieren anfangen! Welches Alter ist wohl ideal?

Dr. De Grey: Da wir noch keine Wirkstoffe auf dem Markt haben, können wir das natürlich nie genau sagen. Im Allgemeinen braucht man damit aber nicht vor dem mittlerem Lebensalter beginnen, also vor etwa 50 Lebensjahren. Bis dahin hat man bereits genug Schäden im Körper angesammelt, sodass sich die Behandlung lohnt, und noch nicht zu viele, dass man davon bereits krank geworden wäre.

Medscape Deutschland: Wir sind gespannt. Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

REFERENZEN:

1. Exponential Medicine, 9. bis 12. November 2014, San Diego (USA)

 

Kommentar

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