Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) hat sich dafür ausgesprochen, eine Testosterontherapie als Option für postmenopausale Frauen mit verminderter Libido zu empfehlen [1]. Sie stimmt darin mit der Empfehlung der US-amerikanischen Endocrine Society überein, die kürzlich ihre Leitlinien dahingehend angepasst hat. Grundlage dafür waren aktuelle Studienergebnisse.
Infrage komme allerdings lediglich eine kurzfristige, hoch-physiologische Gabe von Testosteron, so die Vorgaben. Bei gesunden Frauen sollen auch weiterhin die Testosteronspiegel nicht bestimmt und auch Testosteron oder Dehydroepiandrosteron nicht routinemäßig gegeben werden, auch nicht bei Nebenniereninsuffizienz.
Die DGE hält in Übereinstimmung mit der Endocrine Society einen Behandlungsversuch ebenfalls nur nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken, einer engmaschigen Überwachung der Laborwerte und des Befindens vor und unter der Therapie für gerechtfertigt
Bislang, bestätigt DGE-Mediensprecher Prof. Dr. Helmut Schatz, Bochum, habe man den Testosteroneinsatz bei Frauen nach der Menopause, die über das Schwinden ihres sexuellen Verlangens klagten, abgelehnt. Ein wichtiger Grund waren fehlende Tests, mit denen die Testosteronkonzentration im Blut zuverlässig bestimmt werden konnte. Durch die Tandem-Massenspektronomie habe sich das geändert.
Ist Testosteronmangel tatsächlich das Problem?
Nach derzeitiger Studienlage leidet etwa jede etwa fünfte Frau unter einem sexuellen Problem, das für sie zu einer Belastung geworden ist und ihre Lebensqualität stark einschränkt. Führend sind dabei Klagen über abnehmendes sexuelles Interesse.
Dass Testosteron bei Frauen die Libido steigern kann, bestätigt Prof. Dr. Thomas Strowitzki, der an der Frauenklinik des Universitätsklinikums Heidelberg die Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen leitet. Doch niedrige Testosteronwerte führen nicht zwangsläufig zu sexueller Unlust, betont Schatz. „Deshalb kommt dem Patientengespräch eine große Bedeutung zu“, sagt er im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Sie müssen mit den Patientinnen reden, und für das Gespräch müssen Sie sich Zeit nehmen.“
Vor Beginn muss natürlich geklärt werden, ob nicht andere Gründe für die Entstehung des Problems verantwortlich sind.
„Sexuelle Probleme sind häufig multifaktoriell bedingt. Vor Beginn einer Testosteronbehandlung muss daher natürlich geklärt werden, ob nicht andere Gründe für die Entstehung des Problems verantwortlich sind“, schreibt die Gynäkologin Dr. Anneliese Schwenkhagen aus der Praxis für Gynäkologische Endokrinologie am Gynaekologicum in Hamburg in einen Beitrag für die Fachzeitschrift Frauenarzt.
„Oft benötigen die Frauen in der gynäkologischen Praxis keine Hormontherapie und auch keine eigentliche Sexualtherapie. In vielen Fällen hilft es schon viel, zuzuhören, nachzufragen und aufzuklären“, heißt es in ihrem Beitrag. Bereits die Möglichkeit, sexuelle Probleme überhaupt anzusprechen, bedeute für die Patientinnen eine Erleichterung und ebne so einer Lösung den Weg.
Eine schnelle Verordnung von Testosteron sieht auch Schatz als nicht zielführend. „Die Ursachen sexueller Probleme bei der Frau sind komplexer und vielschichtiger als beim Mann“, betont er. Erst wenn sich aus dem Gespräch ergebe, dass die Patientin an sexueller Unlust leide und diese nicht auf andere Probleme zurückzuführen sind, komme eine Substitution überhaupt in Betracht.
Als Kernsymptome eines Androgenmangels gelten Veränderungen der sexuellen Funktion mit verminderter Libido, Erregungs- und Orgasmusprobleme und geringeres Ansprechen auf erotische Stimuli. Mit einem Androgenmangel werden aber ebenso vermindertes Wohlbefinden, depressive Verstimmung, Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit, Müdigkeit/Adynamie, Osteopenie/Osteoprose, abnehmende Muskelmasse und verstärkte Hitzewallungen in Zusammenhang gebracht.
Diskutiert wird überdiese, ob das „trockene Auge“ mit einem Androgenmangel assoziiert ist. Stelle sich eine Patientin in der Sprechstunde vor, die lediglich über sexuelle Probleme klage und in allen anderen Bereichen keinerlei Auffälligkeiten zeige, so dürfte es wenig wahrscheinlich sein, dass ein Androgendefizit Hauptursache der sexuellen Schwierigkeiten sei, stellt Schwenkhagen klar.
Nicht nur das Testosteron überprüfen
Bevor man sich für einen individuellen Therapieversuch mit Testosteron entscheide, müsse die Patientin ausführlich und ergebnisoffen über Nutzen und mögliche Risiken einer solchen Behandlung aufgeklärt werden, betonen Schatz und Schwenkhagen.
Ohnehin rät Schatz dazu, nicht allein das Testosteron zu bestimmen sondern auch das Sexualhormonbindende Globulin (SHBG). Die Spiegel, auch innerhalb eines Referenzbereiches, sind von Patientin zu Patientin unterschiedlich, wie Schatz bestätigt: „Es gibt Patientinnen mit sehr niedrigen Testosteronwerten, die keinerlei sexuelle Probleme aufweisen.“ Zusätzlich zur Bestimmung des SHBG sollte auch der freie Androgenindex berechnet werden, der den Anteil des freien und damit biologisch aktiven Testosterons reflektiert.
Um eine verstärkte adrenale Androgensynthese nicht zu übersehen, empfiehlt sich ergänzend eine Überprüfung von DHEA-Sulfat, das zu über 90% in der Nebennierenrinde synthetisiert wird. Sollten sich dabei erhöhte Werte zeigen oder Androgenisierungssymptome vorliegen, ist eine Androgentherapie nicht sinnvoll und mit erheblichen Risiken verbunden. Auch unter laufender Therapie sind diese Parameter stets zu kontrollieren, um eine Überdosierung zu vermeiden.
Angestrebt wird eine Testosteronkonzentration im oberen Bereich bzw. Grenzbereich der physiologischen Referenz. Bei jedem Wiedervorstellungstermin (initial alle 6 Wochen) sollten Wirksamkeit und Nebenwirkungen (v.a. Androgenisierungssymptome) evaluiert und dokumentiert werden. Zu viel Testosteron geht bei Frauen vermehrt mit Akne und starker Behaarung einher. Langfristig ist auch das Risik für Herz-Kreislauferkrankungen erhöht.
Ist jetzt ein Boom der Testosterontherapie zu erwarten?
Dass das Leitlinien-Update der Endocrine Society künftig einen Anstieg der Testosterontherapie mit sich bringen wird, glaubt Schatz nicht. „Es gibt auch keine speziellen Präparate dazu. Die Testosteronpflaster für den Mann etwa sind dazu viel zu hoch dosiert.“ Liege der sexuellen Störung mit Leidensdruck ein zu geringer Testosteronspiegel zugrunde, „muss man deshalb mit einer freien, individuell zugeschnittenen Rezeptur substituieren, am besten durch einen darauf spezialisierten Hormonspezialisten“, erklärt Schatz. Vielleicht, so der Experte, bringe ja eine Firma ein geeignetes Präparat auf den Markt.
In seinem Blog schreibt Schatz, dass in den USA Testosteron an Frauen mit verminderter Libido „with some ambivalence“ weiterhin gegeben werde, wie die Kommentatorin zur neuen Leitlinie der Endocrine Society schreibe. Sie lässt dabei allerdings offen, wie weit bei ihren eigenen Patientinnen nach Testosterongabe ein Placeboeffekt mitspielt.
Dass die Pharmaindustrie die nachlassende Libido der Frau schon im Visier hat, geht aus einer Publikation von Prof. Dr. Ottmar Leiß hervor. So tüftelt die holländische Firma Emotional Brain an Präparaten, die das weibliche Geschlechtsempfinden und -verlangen steigern sollen. Zum einen sollen Präparate mit Sildenafil zu einer besseren Durchblutung der Genitalien beitragen, zum anderen soll Buspiron gegen Angststörungen darin enthalten sein. Speziell Sildenafil-Präparate werden schon heute via Internet als „Viagra für die Frau“ angeboten.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Lust-Verlust: Testosteron für Frauen ab jetzt empfohlen – aber wann ist es wirklich indiziert? - Medscape - 11. Feb 2015.
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