Entlastung durch nicht-ärztliche Gesundheitsberufe – Die Gretchenfrage lautet: Substitution oder Delegation?

Anke Nolte

Interessenkonflikte

5. Februar 2015

Berlin – Wer macht im Gesundheitswesen zukünftig was mit welcher Qualifikation? Welche ärztlichen Tätigkeiten können andere Gesundheitsberufe übernehmen? In Deutschland steigt der Druck, diese Fragen endlich anzupacken, seit der Sachverständigenrat im Jahr 2007 empfohlen hat, die Aufgaben zwischen den Gesundheitsberufen neu zu verteilen.

„Ärztemangel auf dem Land und immer mehr ältere multimorbide Patienten – das sind zentrale Motive für eine Delegation ärztlicher Aufgaben“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen auf dem Kongress des Bundesverbands Managed Care e.V (BMC), der sich dem Thema Patientenorientierung widmete.

Nicht-ärztliche Gesundheitsberufe sollen verstärkt ärztliche Tätigkeiten übernehmen

Dr. Andreas Gassen

Gassen wies auf den international schon seit einigen Jahrzehnten bestehenden Standard hin, dass nicht-ärztliche Gesundheitsberufe ärztliche Tätigkeiten übernehmen. Er nannte als Beispiele die Berufe Physician Assistant in den USA sowie Nurse Practitioner in den USA und Großbritannien. Diverse Gutachten und Studien zeigen, dass die Qualität der Versorgung nicht leidet und die Zufriedenheit der Patienten steigt.

 
Ärztemangel auf dem Land und immer mehr ältere multimorbide Patienten – das sind zentrale Motive für eine Delegation ärztlicher Aufgaben. Dr. Andreas Gassen
 

„Kosten können dadurch aber eher nicht eingespart werden“, betonte Gassen. Denn alle Gesundheitsberufe müssten adäquat vergütet werden. Er befürworte den Ausbau der Physician Assistants auch in Deutschland, wo es bereits mehrere Studiengänge für diese Arztassistenten gibt. „Doch der Arzt muss den Hut aufbehalten, sonst haben wir ein Haftungsproblem.“

Delegation oder Substitution?

Damit warf auch diese Diskussion auf dem BMC-Kongress wieder die Gretchenfrage auf: Delegation oder Substitution? Bei der Delegation trägt der Arzt die Verantwortung, bei der Substitution geht die fachliche, wirtschaftliche und rechtliche Verantwortung auf jeweils denjenigen über, der die medizinische Leistung erbringt.

An der Delegation ist die Ärzteschaft nicht nur interessiert, sondern praktiziert sie bereits ausgiebig, wie der Ärztemonitor von 2014 zeigt: 41% der rund 8.000 befragten niedergelassenen Haus- und Fachärzte delegieren das Medikations- und Wundmanagement an nicht-ärztliches Personal und ein Drittel hat vor, die Delegation in Zukunft auszuweiten.

 
Der Arzt muss den Hut aufbehalten, sonst haben wir ein Haftungsproblem. Dr. Andreas Gassen
 

Doch die Substitution betrachtet ein Großteil der Ärzteschaft mit Skepsis. „Wie ist ein solidarisch finanziertes System zu rechtfertigen, wenn die einen Patienten vom Arzt, die anderen nur von einer Pflegekraft behandelt werden?“, gab Gassen zu bedenken.

Birgit Pätzmann-Sietas

Von Vertretern der Pflegeverbände dagegen wird die Substitution im Allgemeinen befürwortet. „Substitution ist der bessere Weg für die Versorgung der Patienten“, betonte Birgit Pätzmann-Sietas, die im Präsidium des Deutschen Pflegerates (DPR) tätig ist. „Und der Pflegeberuf wird attraktiver werden, weil die Eigenverantwortlichkeit gestärkt wird.“

Die gesetzlichen Grundlagen sind schon vorhanden

Die Kinderkrankenschwester verwies darauf, dass die rechtlichen Grundlagen geschaffen sind: Das Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 machte mit dem Paragraphen 63 Absatz 3c SGB V den Weg frei für Modellprojekte, in denen bisher Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten probeweise auf ausgebildete Kranken- und Altenpflegekräfte übertragen werden können.

 
Wie ist ein solidarisch finanziertes System zu rechtfertigen, wenn die einen Patienten vom Arzt, die anderen nur von einer Pflegekraft behandelt werden? Dr. Andreas Gassen
 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wurde damit beauftragt, eine Richtlinie zu erstellen, die 2012 in Kraft getreten ist. Er legte darin 5 Indikationen fest – Diabetes mellitus Typ 1 und 2, chronische Wunden, Demenz und Hypertonie –, bei denen die Pflegefachkräfte selbstständig und eigenverantwortlich diagnostische und therapeutische Maßnahmen übernehmen, die Prozesse steuern und Patienten beraten können.

So ist es denkbar, dass eine Pflegefachkraft bei Patienten mit einer chronischen Wunde den aktuellen Wundstatus aufnimmt, einen Therapieplan erstellt, Verbandmaterial und häusliche Krankenpflege verordnet oder die Wundversorgung selber übernimmt. So sieht es das Mustermodell für eine Pflegeexpertin Wunde (PEW) vor, das gemeinsam vom DPR, der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft und vom Deutschen Bildungsrat für Pflegeberufe im September 2014 vorgelegt wurde. „Doch das initiale Assessment geht weiterhin vom Arzt aus“, so Pätzmann-Sietas. Er entscheidet, ob eine PEW den Patienten weiterbehandelt oder ob die Therapie in ärztlicher Hand bleibt.

Axel Schnell

Trotz dieser Vorlagen und gesetzlichen Regelungen ist bisher in Deutschland kein einziges Modell realisiert. „Das Entlastungspotenzial der Pflege bleibt ungenutzt“, kritisierte Axel Schnell, Leiter der Bundesgeschäftsstelle des, des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa). Wundversorgung, Injektionen, Infusionen, Blutentnahmen, Hausbesuche, Sturzprävention, geriatrisches Basis-Assessment, Pflegeberatung – das alles könnten Pflegefachkräfte übernehmen, um die Ärzte zu entlasten.

„Damit können auch Doppelstrukturen vermieden werden, denn der Pflegedienst ist ja häufig sowieso schon vor Ort“, hob Schnell hervor und gab zu bedenken, dass 70% der Hausarztpatienten pflegebedürftig seien und von ambulanten Pflegediensten versorgt würden.

Zusammenarbeit in multiprofessionellem Team muss erlernt werden

Prof. Dr. Anne Friedrichs

Für Prof. Dr. Anne Friedrichs, Präsidentin der Hochschule für Gesundheit (hsg) in Bochum ist nicht die Arztentlastung das Thema, sondern die Frage: Warum brauchen wir eine Akademisierung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe? Von einem Abschluss an einer Berufsfachschule über den Bachelor, den Master, die Promotion bis hin zur Professur: „Es muss einen Skills- und Grade-Mix geben, um die gesundheitliche Versorgung auch in Zukunft sicherstellen zu können“, sagte sie.

 
Das Entlastungs-potenzial der Pflege bleibt ungenutzt. Axel Schnell
 

Zudem existiere zu wenig evidenzbasiertes Wissen zum Beispiel zum Fiebermanagement oder zur Wundversorgung. Am wichtigsten war es ihr zu betonen, dass „die Fähigkeit zur Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team nicht vom Himmel fällt, sondern erlernt werden muss“. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt der hsg und der Ruhr-Universität Bochum sollen interprofessionelle Lerneinheiten entwickelt werden mit dem Ziel, angehende Mediziner und Studierende aus anderen Gesundheitsberufen – wie Ergotherapie, Hebammenkunde oder Pflege – gemeinsam auszubilden. „Denn eine schlechte Kooperation zwischen den Berufsgruppen ist eine Gefahr für die Patienten“, so Friedrichs.

 

REFERENZEN:

1. Kongress des Bundesverbands Managed Care e.V (BMC): 20. bis 21. Januar 2015, Berlin

 

Kommentar

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