Explodierende Kosten für Krebsmittel: Doch sind sie ihren Preis tatsächlich wert?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

2. Februar 2015

Wie eine Studie der Technikerkrankenkasse (TK) und des Center for Health Economics jetzt prognostiziert, werden bis 2016 die Kosten für Krebsmedikamente in Deutschland auf rund 3,25 Milliarden steigen. Bis Ende 2016 werden vermutlich 26 neue Krebsmedikamente auf den Markt sein. Die mit Abstand teuersten Mittel werden gegen die besonders häufigen Tumorerkrankungen  Brust- und Darmkrebs eingesetzt [1].

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig

„Dass die Kosten in der Onkologie explodieren, liegt an den hohen Preisen und daran, dass wir zukünftig immer mehr ältere Patienten behandeln, die an Krebs erkrankt sind“, erklärt Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am HELIOS Klinikum Berlin-Buch. Derzeit, so Ludwig, lägen die weltweiten Umsätze für Krebsmedikamente zwischen 60 und 70 Milliarden US-Dollar; bis 2018 sollen es laut einer aktuellen Prognose des IMS Institute of Healthcare Informatics über 80 Milliarden US-Dollar sein.

Von horrenden Preisen sind auch ältere Mittel nicht sicher: Beispiel Carmustin: Seit 40 Jahren wird das Mittel zur Behandlung von bösartigen Tumoren eingesetzt, vor allem bei Kindern und Erwachsenen mit aggressivem Lymphknotenkrebs. Inzwischen gibt es nur noch einen Hersteller weltweit. Dieser hat sein Monopol nun genutzt, und zum 1. Januar 2015 ohne Vorankündigung den Preis um mehr als das Dreifache erhöht, von 300 Euro auf über 900 Euro pro Ampulle [2].

Wie die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) erklärt, bedeutet das für Transplantationszentren eine finanzielle Mehrbelastung von bis zu 300.000 Euro pro Jahr und mehr. Prof. Dr. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO betont: „Eine solche kurzfristige, finanzielle Belastung ist durch die Vergütungen im DRG-System nicht aufzufangen. Diese Risiken können nicht von den Krankenhäusern getragen werden. Medikamente dieser Art müssen über Zusatzentgelte finanziert werden und über Pauschalen.“

 
Dass die Kosten in der Onkologie explodieren, liegt an den hohen Preisen und daran, dass wir zukünftig immer mehr ältere Patienten behandeln, die an Krebs erkrankt sind. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig
 

Großer Bedarf an echter Innovation

Laufend kommen neue Krebsmedikamente auf den Markt. Schon im Jahr 2009 hat Dr. Peter Bach vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York beklagt, dass die Kosten für Krebsmedikamente im Gesundheitswesen überproportional zunehmen. Doch den hohen Kosten steht mitunter ein zweifelhafter Nutzen gegenüber – nur sehr kurze Lebenszeitverlängerungen (wenn überhaupt), bei gleichzeitig erhöhtem Nebenwirkungsrisiko.

Cetuximab beispielsweise verlängert das Leben im Schnitt um 1,7 Monate – doch 85% der Patienten klagen über Hautläsionen, davon jeder Fünfte über Schäden dritten bis vierten Grades. Erlotinib führt beim Pankreaskrebs zu einer verlängerten Überlebenszeit von im Schnitt 10 Tagen – begleitet von Infektionen, Durchfall, Mundentzündungen und Hautrötungen. Auch durch erste Studien mit Bevacizumab geweckte Hoffnungen, bei Lungenkrebs das Überleben um 2 Monate zu verlängern, ließen sich nicht halten: Das Mittel bremst zwar das Tumorwachstum um 0,6 bis 0,4 Monate, verlängert die Lebenszeit aber nicht. „In der Onkologie besteht weiterhin ein großer Bedarf an echter Innovation und an der Optimierung existierender multimodaler Therapiestrategien“, konstatiert Ludwig.

Dagegen hat in seiner Innovationsbilanz vom 19. Dezember 2014 der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) die in 2014 zugelassenen 49 Medikamente gelistet, die nach Ansicht des vfa den Patienten einen „enormen medizinischen Fortschritt beschert“ haben. „Eine solche Aussage ist mutig und sollte eher unter der Bezeichnung ‚Marketing‘ firmieren“, stellt Ludwig fest und ergänzt: „Wie auch in den vergangenen Jahren wird nur ein relativ kleiner Prozentsatz dieser neuen Wirkstoffe, etwa 20 bis 30 Prozent, sich als echter therapeutischer Fortschritt erweisen, von dem Patienten infolge besserer Wirksamkeit oder weniger Nebenwirkungen dann tatsächlich profitieren.“

Zielgerichtete Therapien noch am Anfang

 
Wie auch in den vergangenen Jahren wird nur ein relativ kleiner Prozentsatz dieser neuen Wirkstoffe, etwa 20 bis 30 Prozent, sich als echter therapeutischer Fortschritt erweisen … Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig
 

Zielgerichtete Therapien, wie beispielsweise eine auf Biomarkern basierende individualisierte Therapie, werden in der Öffentlichkeit als großer Fortschritt wahrgenommen. Man erhofft sich davon für jeden Patienten das höchstmögliche Maß an therapeutischer Wirksamkeit bei gleichzeitiger Minimierung der Nebenwirkungen. „Ich denke, dass wir in zehn bis 20 Jahren hoffentlich von einem großen Fortschritt sprechen können, derzeit erleben wir allenfalls die ersten Schritte dorthin“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).

Dass die Therapieergebnisse bislang eher enttäuschen, habe damit zu tun, dass sich die Hersteller infolge des Zeit- und Konkurrenzdrucks darauf konzentrieren, rasch neue Wirkstoffe gegen einfach auszuschaltende Moleküle in Tumorzellen zu entwickeln. Dabei werde leider häufig auf eine langfristig angelegte Grundlagenforschung mit der Aussicht, fundamental neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, verzichtet, meint Ludwig.

Man sei auch noch weit davon entfernt, die prädiktive Bedeutung der nachgewiesenen genetischen Veränderungen in Tumorzellen für das Ansprechen auf spezielle medikamentöse Therapiestrategien oder die Neigung zur Metastasierung genau zu verstehen und somit gezielt für die Entwicklung besser wirksamer oder verträglicher Arzneimittel zu nutzen. „Eine Ausnahme stellt beispielsweise Imatinib zur Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML) dar; das ist ein echter Durchbruch. Viele andere neue Wirkstoffe in der Onkologie sind derzeit hinsichtlich ihres Nutzens nicht sicher zu beurteilen“, meint Ludwig.

Kommentar

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