Lohnt Salzverzicht im Alter? Eine Studie nährt Zweifel, hat aber auch Schwächen

Dr. Ulrich Scharmer

Interessenkonflikte

29. Januar 2015

„Übermäßiger Natrium-Konsum tötet Millionen“, „Salzkonsum könnte Millionen Leben kosten“ – so oder so ähnlich steht seit Jahrzehnten Kochsalz am Pranger. Wirft eine neue US-Studie zum Kochsalzkonsum das alles über den Haufen, jedenfalls für ältere Menschen? Können Ärzte künftig auf die Warnung vor dem Salzstreuer verzichten, wenn sie Senioren beraten?

Eine in JAMA Internal Medicine publizierte Salz-Studie kommt jedenfalls zu der Schlussfolgerung, dass kein Zusammenhang zwischen Kochsalzkonsum und Todesfällen bzw. Erkrankungen besteht [1]. Die Arbeit, die von Dr. Andreas P. Kalogeropoulos und seinen Mitarbeitern vom Emory Clinical Cardiovascular Research Institute der Universitätsklinik in Atlanta, im amerikanischen Bundesstaat Georgia koordiniert wurde, hat in kurzer Zeit heftige Reaktionen hervorgerufen. Unklar ist vor allem, was daraus folgern sollte.

Das Hauptergebnis der Studie lautet: Ob die Probanden weniger als 1.500 mg Natrium (= 3,8 g Kochsalz), mehr als 2.300 mg Natrium (= 5,8 g Kochsalz) oder eine Menge zwischen 1.500 und 2.300 mg Natrium täglich zuführten, hatte keinen signifikanten Einfluss auf die 10-Jahres-Sterblichkeit. Im Hinblick auf neu aufgetretene Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie die Entwicklung einer Herzinsuffizienz ließ sich ebenfalls kein signifikanter Zusammenhang mit dem Salzkonsum festmachen.

Als Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden dabei koronare Herzkrankheit (KHK als Oberbegriff für Infarkt, Angina pectoris oder Revaskularisierung), zerebrovaskuläre Ereignisse (Schlaganfall, TIA oder Karotisendarteriektomie) oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) berücksichtigt.

Heftige Kontroverse um Salzkonsum entbrannt

Für die Cut-off-Werte von 1.500 und 2.300 mg Natrium hatten sich die Autoren entschieden, um die klinische Interpretation zu vereinfachen. Die derzeit gültigen „Dietary Guidelines for Americans 2010“ empfehlen nämlich generell, die Natriumzufuhr auf 2.300 mg zu begrenzen. Und über 50-Jährige sowie – unabhängig vom Alter – alle, die an Hypertonie, Diabetes oder chronischen Nierenerkrankungen leiden, sollen sogar unter 1500 mg Natrium täglich bleiben. In Deutschland gibt es ähnlich strikte Empfehlungen für ältere Menschen nicht.

 
Wir können keinen Grund erkennen, die Empfehlungen der AHA zu überdenken. Prof. Dr. Elliott Antmann
 

Allerdings die Amerikaner sehen sich nicht veranlasst, etwas zu ändern: Der Präsident der American Heart Association (AHA), Prof. Dr. Elliott Antmann, weist in einem Blogeintrag auf mehrere bedeutsame Einschränkungen der Studie hin, „so dass wir darin keinen Grund erkennen können, die Empfehlungen der AHA zu überdenken.“

Im Gespräch mit Medscape Deutschland äußert auch Dr. Cornelia Weikert vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke Zweifel an der methodischen Qualität der Studie. „Am schwersten wiegt für mich, dass der Salzkonsum nicht im 24-Stunden-Urin gemessen, sondern nur aus den Angaben in einem Ernährungsfragebogen berechnet wurde“, kritisiert Weikert. „Diese Fragebögen geben beispielsweise keine klare Auskunft, ob die Personen vorzugsweise Fertiggerichte mit hohem Salzgehalt verzehren oder selbst salzarm kochen. Auch einzelne Lebensmittel der gleichen Lebensmittelgruppe können sich in ihrem Salzgehalt erheblich unterscheiden.“

 
Für die strenge Empfehlung, unter 1.500 Milligramm Natrium pro Tag zu bleiben, ist die Studienlage nach wie vor dünn. Dr. Cornelia Weikert
 

Zusammenhänge ja, Signifikanz nein

In der Studie betrug die 10-Jahres-Sterblichkeit in den 3 Gruppen 33,8% ( < 1.500 mg/Tag), 30,7% (1.500–2.300 mg/Tag) und 35,2% ( > 2300 mg/Tag). Die Sterblichkeit war demnach bei einer Natriumzufuhr zwischen 1.500 und 2.300 mg am niedrigsten und stieg bei niedrigerem bzw. höherem Salzkonsum. Die Autoren sprechen von einem U-förmigen Verlauf, auch wenn die Unterschiede zwischen den Gruppen nach Adjustieren der Daten nicht signifikant waren. Allerdings weisen mehrere Studien aus dem letzten Jahr darauf hin, dass zu wenig Salz ebenso nachteilig sein kann wie zu viel (wie Medscape Deutschland berichtete).

Ähnliche Ergebnisse wurden für die Inzidenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ermittelt. Für die Rohdaten stieg die Hazard Ratio (HR) signifikant um 9% für jedes zusätzliche Gramm Natrium, für die adjustierten Daten betrug das Verhältnis nur noch nicht signifikante 3% pro Gramm Natrium. Für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz wurde in der Studie gar kein Zusammenhang zur Natriumzufuhr beobachtet.

Die Autoren räumen durchaus ein, dass ihre Studie mit einigen Schwachstellen behaftet ist und zählen diese penibel auf:

Schwachpunkt 1 – Auswahl der Studienpopulation

Die Studie war nicht dazu angelegt, die Frage nach den Folgen von Kochsalzkonsum auf die Sterblichkeit und die Inzidenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinsuffizienz zu beantworten. Es handelte sich um die Teilnehmer der „Health, Aging, and Body Composition Study“ (Health ABC), die von Anfang April 1997 bis Ende Juli 1998 rekrutiert worden waren.

Die Studie sollte Veränderungen der so genannten body composition, der relativen Anteile von Fett- und Muskelmasse, bei älteren Männern und Frauen verfolgen. Zu klären war, was hierauf Einfluss nimmt und wie sich dies auf Kraft, Ausdauer, Behinderungen und gewichtsassoziierte Erkrankungen im Alter auswirkt. Die 3.075 ausgewählten Probanden im Alter von 70 bis 79 Jahren waren körperlich belastbar und konnten ihren Alltag meistern; alle lebten selbstständig im häuslichen Umfeld. Aufgrund dieser Selektionskriterien handelt es sich aber wohl nicht um eine für die Altersgruppe der 70 bis 79 Jahre alte typische Population.

 
Allerdings besteht überzeugende Evidenz, dass bei einem Natriumkonsum von mehr als 2.300 Milligramm pro Tag das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht ist. Dr. Cornelia Weikert
 

Obwohl Health ABC nicht die Frage nach den Folgen des Salzkonsums für Sterblichkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beantworten sollte, haben die Autoren nachträglich die 2.713 Probanden aus Health ABC ausgewählt, die beim Einschluss in die Studie einen Fragebogen zu Ernährungsgewohnheiten in den zurückliegenden 12 Monaten ausgefüllt hatten. Aus diesen Angaben wurden Rückschlüsse auf den Kochsalzkonsum gezogen und die so gewonnenen Daten mit der 10-Jahres-Sterblichkeit und den dokumentierten Herz-Kreislauf-Erkrankungen verknüpft.

Schwachpunkt 2 Datenerhebung

Der Salzkonsum wurde mithilfe eines Ernährungsfragebogens ermittelt. Selbstkritisch räumen die Autoren ein, dass die Ergebnisse aus Fragebögen nur mäßig („poorly“) mit dem Goldstandard korrelierten, nämlich der Menge Kochsalz, die im 24-Stunden-Urin ausgeschieden wird.

Die Autoren sind selbst erstaunt, dass nach den Ergebnissen der Fragebögen 11,0% ihrer Probanden täglich weniger als 1.500 mg Natrium zuführten, während laut „National Health and Nutrition Examination Survey III“ (NHANES III) nur 1,3% der Erwachsenen in den USA unter dieser Marke bleiben.

Schwachpunkt 3 Ungeeignete Statistik

Die Probanden wurden anhand der Kochsalzzufuhr in 3 willkürlich abgesteckte Bereiche eingeteilt statt in Quantilen. Das verringere die statistische Power der Analyse, wie die Autoren auch zugeben.

Was bleibt als Fazit der Studie?

Hinzu kommen Merkwürdigkeiten, die die Schlussfolgerungen zudem wenig plausibel erscheinen lassen. Dazu gehört beispielsweise, dass kein signifikanter Zusammenhang zwischen Kochsalzkonsum und Blutdruck beobachtet wurde. Die Autoren erklären dies mit einer „reverse causality“, Ursache und Wirkung sind vertauscht: Es gibt Probanden in der Studie, die nicht wegen niedrigen Kochsalzkonsums erkrankt sind, sondern die ihren Kochsalzkonsum verringert haben, weil sie bereits krank waren.

Infolgedessen unternimmt die Publikation keinen Versuch, die bisherigen Empfehlungen zu ändern. Allerdings pochen die Autoren darauf, es müssten härtere Daten her, vorzugsweise aus streng kontrollierten Studien, bevor älteren Menschen dazu geraten wird, weniger Salz zu konsumieren als die erwachsene Allgemeinbevölkerung – wie das die amerikanischen Empfehlungen tun.

Und darin stimmt Herz-Kreislauf-Epidemiologin Weikert den Schlussfolgerungen der JAMA-Autoren durchaus zu: „Wir brauchen weitere Studiendaten über den Zusammenhang von Kochsalzkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bzw. Sterblichkeit. Für die strenge Empfehlung, unter 1.500 Milligramm Natrium pro Tag zu bleiben, ist die Studienlage nach wie vor dünn. Allerdings besteht überzeugende Evidenz, dass bei einem Natriumkonsum von mehr als 2.300 mg pro Tag das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht ist.“

 

REFERENZEN:

1. Kalogeropoulos AP, et al: JAMA Intern Med. (online) 19. Januar 2015

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....