
Dr. Johannes Bruns
Berlin – Gute Aufklärung und ausreichende Information – das verstehen Bürger, Patienten und Angehörige am ehesten unter Patientenorientierung. Dies ist ein Ergebnis der Befragung zum Nationalen Krebsplan, die auf dem Kongress des Bundesverbands Managed Care e.V. vorgestellt wurde. Doch Informationen reichen nicht, sagt Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft e.V., im Gespräch mit Medscape Deutschland. Er schlägt vor, eine Orientierungsphase für Patienten einzuführen.
Medscape Deutschland: Der Nationale Krebsplan wurde 2008 zusammen vom Bundesministerium für Gesundheit, der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Krebshilfe und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren initiiert, um die Krebsversorgung in Deutschland zu verbessern. Werden Patienten daran beteiligt?
Dr. Bruns: Es ist in Deutschland einmalig, zu einem Krankheitsbild alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Auch Patientenvertreter sind dabei – was denjenigen aus der klassischen Selbstverwaltung nicht immer passt. Nur wenn wir uns alle einig sind, machen wir es auch. Worauf wir uns einigen konnten: Die Stärkung der Patientenorientierung ist als eines der vier großen Ziele im Nationalen Krebsplan festgeschrieben.
Medscape Deutschland: Um dieses Ziel voranzutreiben, hat die Pharmafirma Lilly die globale Initiative PACE angestoßen, die sich für einen Perspektivwechsel in der Krebsversorgung einsetzt.
Kooperationspartner in Deutschland ist die Deutsche Krebsgesellschaft. Im Rahmen von PACE Deutschland wurde eine Befragung von über 1.200 Bürgern – darunter auch Patienten und Angehörige – zum Nationalen Krebsplan in Auftrag gegeben. Was sind die Vorteile einer solchen Befragung?
Dr. Bruns: Wir haben in der Onkologie eine evidenzbasierte Versorgung, aber was uns häufig fehlt, ist der Aspekt der Dienstleistung. Bisher hat sich nie jemand die Mühe gemacht zu fragen: Was sind denn die größten Nöte einer Brustkrebspatientin, eines Lungenkrebspatienten? Wir sind schnell dabei, den Patienten Ziele überzustülpen. So möchte die Medizin zum Beispiel immer Leben verlängern. Es kann aber sein, dass ein Lungenkrebspatient nicht länger leben möchte, sondern mehr Wert darauf legt, in der verbleibenden Lebenszeit besser atmen zu können. Durch solche Befragungen können wir die Erwartungen der Patienten viel besser erfassen.
Medscape Deutschland: Was ist für Sie das wichtigste Ergebnis der PACE Bürgerbefragung?
Dr. Bruns: Es hat sich gezeigt, dass die meisten der Befragten unter „Stärkung der Patientenorientierung“ eine gute Aufklärung und ausreichende Information verstehen. Das bestätigt mein Verständnis von Patientenbeteiligung: nämlich die Autonomie des Patienten zu erhalten oder wieder herzustellen. Nur wenn ein Patient autonom ist, kann er auf Basis von Wissen und Vertrauen Entscheidungen treffen und sich im Medizinbetrieb zurechtfinden.
Medscape Deutschland: Gibt es denn in Deutschland genügend verständliche und evidenzbasierte Informationen für Krebspatienten?
Dr. Bruns: Wir haben ein Riesen-Angebot an Informationen, aber wir dürfen uns nicht dahinter verstecken. Was nützt es denn, wenn etwa mit den Blauen Ratgebern der Deutschen Krebshilfe zu praktisch jeder Krebsart und zu allen Aspekten der Erkrankung fundierte Broschüren vorliegen – die Patienten sie aber nicht kennen oder keine Zeit haben, sie zu lesen und Fragen zu stellen? Wenn wir Hilfe anbieten, müssen wir auch schauen, dass die Hilfe ankommt.
Medscape Deutschland: Die Zeit, sich ausführlich zu informieren, haben Patienten aber nicht, wenn sie freitags die Diagnose erhalten und montags operiert werden.
Dr. Bruns: Genau! Doch eine Krebserkrankung ist kein Herzinfarkt! In der Regel handelt es sich nicht um einen Notfall und es besteht die Möglichkeit innezuhalten. Direkt nach einer Krebsdiagnose steht jeder Mensch unter Schock. Die Mediziner können sich dann noch so viel Mühe geben und den Patienten viel erklären – es wird nichts davon beim Gegenüber ankommen. Wir müssen die Patienten aus dieser Blaulicht-Situation herausholen, in der sie ihre Autonomie verlieren. Eine Operation kann innerhalb von 15 Minuten anberaumt werden – aber ein Patient braucht immer länger als das System.
Medscape Deutschland: Wie kann man Patienten die Zeit geben, um sich zu beruhigen und sich zu orientieren?
Dr. Bruns: Ich träume von einer „Präha-Phase“ vor Beginn der Therapie – analog zur Reha-Phase danach. In diesen Tagen könnten sich die Patientinnen und Patienten auf das, was auf sie zukommt, vorbereiten und ihre Autonomie zurückgewinnen. Eine Zeit, in der sie Gelegenheit haben, sich über die Krankheit zu informieren, noch einmal mit der Ärztin, dem Arzt zu sprechen oder sich eine Zweitmeinung einzuholen. Eine Zeit, in der sie sich mit Familie und Freunden beraten und eine Selbsthilfegruppe kontaktieren können.
Medscape Deutschland: Wie ließe sich eine solche „Präha“ finanzieren und strukturell verankern?
Dr. Bruns: Man müsste das bisherige Schema umorganisieren. Ich schlage vor, eine Woche von der Rehabilitation abzuzwacken und von hinten nach vorne zu verlegen. So könnte es auch kostenneutral sein. Im Rahmen eines Modellprojekts wäre zu erforschen, inwiefern sich das Autonomieempfinden und die Kompetenz des Patienten nach der Vorbereitungsphase verändert hat. Wir sind übrigens auf der Suche nach einem regionalen Partner, der in der Lage ist, eine solche Form der Unterstützung zu organisieren, und versuchen, dafür eine Krankenkasse zu gewinnen.
Von Medscape Deutschland in Zusammenarbeit mit dem BMC |
REFERENZEN:
1. Kongress des Bundesverbands Managed Care e.V. (BMC) 2015, 20. bis 21. Januar 2015
Diesen Artikel so zitieren: Beratung in der Onkologie: „Hilfe muss auch ankommen“ - Medscape - 27. Jan 2015.
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