Screeningprogramme gegen Krebs oder andere Erkrankungen sind fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung – in Deutschland und praktisch allen anderen Industrieländern. Aber nützen sie den Teilnehmern wirklich? Ein aktueller Review im International Journal of Epidemiology stellt das zumindest in punkto Lebensverlängerung in Frage [1]. Keines der Screeningverfahren, so Prof. Dr. Nazmus Saquib von der Stanford University School of Medicine, senkt nachgewiesenermaßen die Gesamtsterblichkeit.
Für Dr. Klaus Giersiepen, Epidemiologe am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, ist das nicht überraschend: „Um einen Unterschied in der Gesamtsterblichkeit nachzuweisen, reichen meist die Fallzahlen der Studien nicht aus."
Screenings gegen Darmkrebs schneiden noch am besten ab
Saquib und Kollegen haben 9 Meta-Analysen und 48 Einzelstudien zu insgesamt 38 Tests auf 19 Krankheiten untersucht. Randomisiert kontrollierte Studien (RCTs) lagen dabei für 19 Tests und 11 Krankheiten vor, vor allem für Krebs (Brust, Gebärmutterhals, Lunge, Eierstock, Prostata, Kolon, Rektum, Mundhöhle und Leber), Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bauchaorten-Aneurysma.
Immerhin zeigten die Meta-Analysen für 4 von 11 Testverfahren (36%), dass sie die Sterblichkeit signifikant senken – bezogen auf diejenige Erkrankung, die mittels Screening rechtzeitig entdeckt werden soll. Das gilt für Ultraschall-Untersuchungen der Bauchaorta (Odds Ratio (OR): 0,55), für die Sigmoidoskopie (OR: 0,71), für die Mammographie (OR: 0,75) und für Tests auf okkultes Blut im Stuhl (OR: 0,84). Für die Gesamtmortalität ließ sich allerdings keine signifikante Verringerung nachweisen. Demnach hatten Personen mit Screening insgesamt ein genau so hohes Sterberisiko wie Personen ohne Screening.
Etwas besser sieht es bei den 48 Einzelstudien aus. Die krankheitsspezifische Sterblichkeit wurde in 30% der Gruppen signifikant verringert, die Gesamtsterblichkeit in 11%. Spitzenreiter waren hier die visuelle Untersuchung des Gebärmutterhalses in einer Studie aus Indien (Hazard Ratio: 0,87) und die Mammographie (Relatives Risiko: 0,87). Saquib vermutet aber, dass in einigen erfolgreichen Studien die Effekte des Screenings überschätzt wurden: „In der indischen Studie beispielsweise erhielten die Frauen noch andere Interventionen. So wurde auch der Blutdruck gemessen und sie wurden im Falle einer Anämie entsprechend behandelt. Die geringere Sterblichkeit ist also vermutlich nicht allein dem Screening zu verdanken."
Insgesamt, so sein Fazit, sei die Leistung der Screeningverfahren bezogen auf die Sterblichkeit eher mager. Ein Grund könne sein, dass die Sensitivität der Tests nicht ausreiche, dass also zu viele Erkrankte übersehen würden. Möglicherweise sind auch die Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Nötig sei daher mehr qualifizierte Forschung: „Nur randomisiert kontrollierte Studien können belegen, ob Screenings Leben retten oder nicht."
Nutzlose Verfahren stoppen, sinnvolle stärken
Giersiepen plädiert für eine differenziertere Analyse. Das Screening auf Gebärmutterhalskrebs etwa habe seit seiner Einführung die Häufigkeit dieser Krankheit deutlich gesenkt, dass sei zumindest in den skandinavischen Länder überzeugend gezeigt worden. „Man muss daher immer das einzelne Verfahren bewerten. Es gibt Screenings, die einen großen Nutzen haben, und andere mit geringem Nutzen." Dabei müssten immer auch die Risiken einer Methode betrachtet werden, etwa Überdiagnosen oder Belastungen des Betroffenen durch die Untersuchung.
Dass die Gesamtsterblichkeit auch bei den erfolgreicheren Verfahren nicht gesenkt wird, liegt nach Giersiepens Ansicht vor allem an der Fallzahl: „Brustkrebs etwa macht rund vier Prozent aller Todesursachen bei Frauen in Deutschland aus. Nehmen wir an, wir verhindern durch Screenings ein Viertel davon – dann ist das insgesamt nur ein Unterschied von etwa einem Prozent." Um diesen statistisch nachzuweisen, bräuchte es eine sehr hohe Fallzahl, die in RCTs meist nicht erreicht werde.
Für den Patienten schließlich zählt nicht nur die Gesamtsterblichkeit, sondern auch die Lebensqualität, kommentiert Prof. Dr. Paul G. Shekelle, Direktor des Southern California Evidence-Based Practice Center der RAND Corporation in Santa Monica, in seinem Kommentar [2]: „Viele chronische Krankheiten wie Diabetes können, unerkannt, gravierende Folgen haben wie Amputationen oder Blindheit. Es ist ein großer Gewinn, wenn das durch Screenings verhindert wird."
Für Deutschland gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen, betont Giersiepen: „Screenings mit geringem Nutzen und hohem Risiko sollten nicht fortgesetzt, sinnvolle Verfahren aber gestärkt werden." Das gelte vor allem für die Sigmoidoskopie im Vergleich zu einer umfangreichen, großen Darmspiegelung gegen Darmkrebs. „Dieses Verfahren ist viel schonender für den Betroffenen – und günstiger für die Krankenkassen. Dennoch wird es bei uns kaum angeboten."
Grund ist unter anderem, dass die Ärzte die Sigmoidoskopie nicht regulär abrechnen können, nur teilweise, wenn zuvor die aufwändigere Darmspiegelung nicht erfolgreich war. Hinzu kommen organisatorische Probleme: Weil der Darm für die Sigmoidoskopie erst kurz vor der Untersuchung entleert wird, müssten die Praxen mehr Toiletten vorhalten.
REFERENZEN:
1. Saquib N, et al: Int. J. Epidemiology (online) 15. Januar 2015
2. Shekelle PG: Int. J. Epidemiology (online) 15. Januar 2015
Diesen Artikel so zitieren: Was nützen Screenings? Zumindest das allgemeine Sterberisiko senken sie nicht - Medscape - 27. Jan 2015.
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