Die International Osteoporosis Foundation (IOF) prangert in ihrem aktuellen Bericht zur Osteoporose bei Männern an, dass die Krankheit noch allzu häufig als reines Frauenleiden betrachtet wird – dies mit gravierenden Folgen: „Studien aus der ganzen Welt, die in diesem Report angesprochen werden, zeigen einen nahezu weltweiten Mangel an Sekundärfraktur-Prävention für Männer, die bereits eine Fragilitätsfraktur erlitten haben“, hält der Autor Prof. Dr. Peter Ebeling, IOF-Vorstandsmitglied von der Monash University in Victoria, Australien, in seinem Vorwort fest [1].
Obwohl ein erster Knochenbruch ein klares Signal für ein erhöhtes künftiges Frakturrisiko ist, seien die Abklärungs- und Behandlungsraten bei den betroffenen Männern sehr niedrig – sie lägen meist unter 20%. Ähnlich wenig Aufmerksamkeit, so Ebeling, erhalte die Knochengesundheit bei den Männern, die eine Androgen-Deprivationstherapie (etwa bei Prostatakrebs) oder eine Glukokortikoidbehandlung erhalten – den beiden häufigsten Ursachen einer sekundären Osteoporose bei Männern.
Viele Männer (und Frauen) erhalten nach einer Fraktur keine spezifische Therapie

Prof. Dr. Andreas Kurth
Dass das Thema Osteoporose bei Männern auch noch von vielen deutschen Medizinern vernachlässigt wird, bestätigt Prof. Dr. Andreas Kurth, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Orthopädie und Rheumatologie am Fachkrankenhaus Ratingen und Vorstandsmitglied des Dachverbands Osteologie (DVO), im Gespräch mit Medscape Deutschland. Die geradezu „desaströse“ Versorgungslage für Patienten nach einem Osteoporose-assoziierten Bruch gelte aber nicht nur für männliche Patienten, betont er.
Kurth verweist in dem Zusammenhang auch auf die erst 2013 veröffentlichte Bone Evaluation Study (BEST) aus Deutschland, in der Krankenkassendaten von mehr als 330.000 Osteoporose-Patienten im Alter über 50 Jahre ausgewertet worden sind. Hochgerechnet litten demnach im Untersuchungszeitraum 2006 bis 2009 6,3 Millionen Deutsche über 50 (5,2 Mio. Frauen; 1,1 Mio. Männer) unter Knochenschwund. 27% der Patienten hatten bereits eine Fraktur erlitten, aber nicht einmal jeder/jede Zweite (45%) erhielt eine osteoporosespezifische Therapie, Männer nur geringfügig seltener (42%) als Frauen (46%).
Eine auch im IOF-Report zitierte Untersuchung aus den USA mit fast 100.000 Patienten mit Hüftfrakturen von 2002 bis 2011 ergab ein ähnliches Bild: Nur 28,5% der US-Patienten erhielten nach ihrer Fraktur eine Osteoporosetherapie, Männer sogar nur halb so oft wie Frauen [2]. „Nach ‚osteosynthetisch getaner Arbeit‘ wird der Patient offenbar sehr häufig sofort nach Hause entlassen, ohne dass Konsequenzen gezogen werden“, kommentiert Prof. Dr. Helmut Schatz, emeritierter Direktor der Bochumer Universitätsklinik Bergmannsheil und Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, die Ergebnisse [3].
„Unfallchirurgen sehen die Osteoporoseversorgung häufig außerhalb ihres Verantwortungsbereichs“, sagt auch Kurth. Die mangelhaften Kenntnisse zu dieser internistischen Erkrankung täten ihr Übriges.
Sekundäre Osteoporose – bei Männern häufig unterschätzt
Speziell für Männer sei es zudem gefährlich, dass die Frau jenseits der Wechseljahre auch unter Medizinern noch häufig als typische Osteoporose-Patientin gelte, bestätigt der Ratinger Facharzt die Einschätzung des IOF-Autors.
Gefährlich sei dies vor allem, weil Männer mit rund 60% weitaus häufiger als Frauen (20%) von sekundären Osteoporosen betroffen seien und damit die frühzeitige Suche nach einer krankhaften Ursache besonders wichtig ist, um eine kausale Therapie durchzuführen. „Relativ klar – und auch unter Urologen bekannt – ist, dass die Anti-Androgen-Therapie eines Prostatakarzinoms mit Knochenschwund und einem Anstieg des Frakturrisikos einhergeht“, erklärt Kurth. Bei anderen wichtigen Osteoporose-Ursachen wie dem Hypogonadismus verginge jedoch noch immer häufig zu viel Zeit bis zum Beginn einer spezifischen Therapie.
Die DVO betreibe deshalb schon seit Jahren Aufklärungsarbeit zum Thema, sagt Kurth. Auch die gerade erst aktualisierte Osteoporose-Leitlinie des Verbandes sei auf die Therapie von postmenopausalen Frauen und Männern ab dem 60. Lebensjahr ausgerichtet. Dass dies längst noch nicht Standard in allen Ländern ist, beschreibt der IOF-Report.
Osteoporose diskriminiert nicht zwischen Geschlechtern
Ebeling fordert nun in seiner Dokumentation ein Umdenken – bei den Männern selbst, aber auch bei Ärzten, Leitlinienautoren und der forschenden Industrie. Allein schon die weltweiten Zahlen würden deutlich gegen die derzeitige „Diskriminierung“ von Männern sprechen: „Einer von fünf Männern und eine von drei Frauen ab dem 50. Lebensjahr erleidet eine Osteoporose-bedingte Fraktur“, rechnet er vor. Letztlich betreffe etwa ein Drittel aller weltweiten Schenkelhalsbrüche (ca. 490.000) Männer. Dabei erweisen sich Männer z.T. sogar als das „schwächere“ Geschlecht: In den ersten 12 Monaten nach einer Hüftfraktur beträgt die Sterblichkeit bei Männern bis zu 37%, bei Frauen „nur“ etwa 20%.
Grund für die höhere Mortalität dürfte nicht nur sein, dass Männer deutlich seltener eine spezifische Therapie erhalten. „Die Evidenz dafür, welcher Mann von einer medikamentösen Osteoporosetherapie tatsächlich profitiert, ist viel schwächer als bei einer postmenopausalen Frau“, gibt Schatz zu bedenken und bestätigt damit die Angaben im IOF-Report. Deshalb sei auch die pharmazeutische Industrie gefordert, mehr und bessere Therapiestudien beim Mann durchzuführen.
REFERENZEN:
2. Solomon DH, et al: J Bone Miner Res. 2014;29:1929-1937
Diesen Artikel so zitieren: Das vernachlässigte Geschlecht: Osteoporose beim Mann - Medscape - 26. Jan 2015.
Kommentar