Vorausblick DGIM 2015: Neue Herausforderungen für Internisten

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

22. Januar 2015

Prof. Dr. Michael Hallek

Die 121. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin steht unter dem Leitthema „Molekulare Prinzipien der Inneren Medizin: Aufbruch in eine neue Ära“. Medscape Deutschland sprach mit Kongresspräsident Prof. Dr. Michael Hallek über neue Aufgaben und Herausforderungen.

Medscape Deutschland: Herr Prof. Hallek, welchen Herausforderungen wird die Innere Medizin künftig gegenüberstehen?

Prof. Dr. Hallek: Es ist jetzt allmählich so weit, dass die molekularbiologischen Forschungserkenntnisse der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts als anwendbare Medizin beim Patienten landen. Auch für die Innere Medizin stellt dies eine neue Ära dar. Diese Entwicklung wird beim diesjährigen Kongress einen thematischen Schwerpunkt bilden.

Medscape Deutschland: Gibt es bereits konkrete Beispiele für diese „neue Ära“?

Prof. Dr. Hallek: Am stärksten ist dieser Paradigmenwechsel in der Onkologie zu spüren. In der Hämatologie wird beispielsweise kaum ein Tumor behandelt, ohne dass vorher eine molekularbiologische Diagnostik durchgeführt wurde, um die Therapie zu steuern. Gleiches gilt für den Lungenkrebs. Die Erfolge der Therapien, die dann angewendet werden, sind unterschiedlich, manchmal spektakulär wie bei der chronischen myeloischen Leukämie, manchmal wird der Erfolg langsam sichtbar wie beim Lungenkrebs. Es kommen immer mehr solche Therapien auf, die die klassischen Behandlungen ersetzen.

Medscape Deutschland: Was bedeutet diese Entwicklung für den Internisten?

 
Fortbildung wird künftig noch wichtiger werden. Und trotzdem wird es für den einzelnen Arzt unmöglich sein, noch alles zu wissen.
 

Prof. Dr. Hallek: Fortbildung wird künftig noch wichtiger werden. Und trotzdem wird es für den einzelnen Arzt unmöglich sein, noch alles zu wissen. Um dieses enorme Wissen zu beherrschen, wird eine vernetzte Vorgehensweise unabdingbar werden. Für den Patienten bedeutet das, dass er versuchen muss, in Netzwerke hineinzukommen, wo er von dem zur Verfügung stehenden Wissen umfassend profitieren kann.

Medscape Deutschland: Wie könnten solche vernetzte Strukturen aussehen?

Prof. Dr. Hallek: Das kann zum Beispiel ein Netzwerk von Krankenhäusern sein, die sich mit bestimmten Onkologen, Strahlentherapeuten und Chirurgen zusammenschließen, die jeweils ihr spezielles Wissen vorhalten, um dem jeweiligen Patienten so gut und gezielt wie möglich zu behandeln. Studien zeigen, dass die Behandlungsqualität innerhalb solcher Netzstrukturen besser ist als außerhalb.

 
Der Trend geht leider immer noch zum schnellen Griff zum Antibiotikum.
 

Medscape Deutschland: Gibt es solche Netzwerke schon?

Prof. Dr. Hallek: Sie sind am Entstehen. Wir haben in Köln zum Beispiel ein regionales Netzwerk zur genomischen Medizin und zur Behandlung des Lungenkrebses. Netzwerke, die schon länger existieren, sind außerdem die Kompetenznetze.

Medscape Deutschland: Als weiteren Schwerpunkt für den diesjährigen Kongress wurde die Infektiologie ausgewählt.

Prof. Dr. Hallek: Ja, die Infektiologie ist ein weiteres, sich sehr rasch entwickelndes Gebiet. Verschiedene Zwischenfälle in den vergangenen Jahren wie Säuglingsinfektionen und resistente Keime im Krankenhaus haben das Thema auch in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Es werden leider immer noch zu viele und zu häufig Antibiotika eingesetzt und die Problematik multiresistenter Erreger gewinnt immer mehr an Brisanz.

Medscape Deutschland: Die Problematik der Antibiotikaresistenzen ist nun schon eine ganze Weile bekannt, hat sich daran immer noch nichts geändert?

Prof. Dr. Hallek: Der Trend geht leider immer noch zum schnellen Griff zum Antibiotikum. Das ist besonders deshalb problematisch, weil davon auszugehen ist, dass nicht mehr viele neue Antibiotika kommen werden. Die Wirkmechanismen sind ausgereizt, man muss jetzt also alles tun, um den breiten Gebrauch einzudämmen, nicht nur in der Medizin sondern auch in anderen Einsatzgebieten wie etwa der Tierzucht.

Medscape Deutschland: Welche Rolle übernimmt dabei der Kongress und die DGIM?

Prof. Dr. Hallek: Die Aufklärung spielt beim Kongress eine wichtige Rolle, es geht aber auch um die Entwicklung von Strategien und konkreten Maßnahmen. Es gibt zum Beispiel die sogenannten Antibiotic Stewartships, also Ausbildungsprogramme zur klugen Steuerung von Infektionsbehandlungen im Krankenhaus. Sie sollen Ärzte ausbilden, die dann an den Krankenhäusern den Gebrauch von Antibiotika überwachen.

 
Es gibt keinen Ärztemangel, aber ein Verteilungsproblem – mit einer Ausnahme. Gute Hausärzte sind auch in Großstädten inzwischen Mangelware.
 

Medscape Deutschland: Apropos Ärzteausbildung, wie schaut es mit dem Nachwuchs in der Inneren Medizin aus?

Prof. Dr. Hallek: Es gibt wie in den anderen Fachgebieten einen generellen Trend, dass wir etwas zu wenige Ärzte in schwach besiedelten Regionen und gleichzeitig eine immer noch zu hohe Ärztedichte in Ballungsräumen haben. Es gibt keinen Ärztemangel, aber ein Verteilungsproblem – mit einer Ausnahme. Gute Hausärzte sind auch in Großstädten inzwischen Mangelware.

Medscape Deutschland: Es wird – auch aus der Politik – gefordert, dass die Universitäten mehr Allgemeinmediziner ausbilden.

Prof. Dr. Hallek: Bei dieser Diskussion wird immer vergessen, dass die Universitäten Ärzte ausbilden und nicht Allgemeinärzte. Die Studenten entscheiden selbst, in welches Fachgebiet sie gehen wollen. Und das Berufsbild des Allgemeinmediziners bzw. Hausarztes ist offensichtlich so unattraktiv geworden, dass das heute kaum noch jemand machen will, insbesondere wenn es um klassische hausärztliche Tätigkeiten wie etwa Hausbesuche geht. Wir bilden genügend Ärzte für unser Land aus. Es mag sein, dass die Universitäten ein bisschen mehr Augenmerk auf die Allgemeinmedizin richten könnten, aber das Problem ist vor allem, dass sich die Attraktivität des Arztberufes und insbesondere des Allgemeinarztes gewandelt hat.

Medscape Deutschland: So sehr, dass sich Ärzte vom Arztberuf abwenden?

Prof. Dr. Hallek: Ja, die Zahl der Studenten, die wir ausbilden, ist schon lange nicht mehr die Zahl derjenigen, die den Arztberuf ergreifen. Und das bedeutet, dass wir letztlich wahrscheinlich noch mehr ausbilden müssen, um die vielen Abwanderungen zu kompensieren. Dennoch wird es unumgänglich sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Hausarzt wieder attraktiver machen. Das kann übers Honorar geschehen, man muss aber auch über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken.

Medscape Deutschland: Welche Angebote hat der DGIM 2015 für den ärztlichen Nachwuchs?

 
Es wird unumgänglich sein, Rahmen-bedingungen zu schaffen, die den Hausarzt wieder attraktiver machen. Das kann übers Honorar geschehen, man muss aber auch über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken.
 

Prof. Dr. Hallek: Wir haben mit dem „Chances“-Forum für junge Mediziner ein Programmelement mit fortlaufenden Veranstaltungen für Medizinstudenten und Berufsanfänger. Dort werden verschiedene Karrierewege und Entwicklungsmöglichkeiten wie Schwerpunkte und Zusatzbezeichnungen in der Inneren Medizin vorgestellt.

Medscape Deutschland: Ist die Innere Medizin eigentlich noch ein Fach?

Prof. Dr. Hallek: Ganz klar ja. Wir haben auch in der neuen Weiterbildungsordnung in Deutschland weiterhin einen gemeinsamen Truncus, also eine gemeinsame 3-Jahresausbildung für Innere Medizin quer über die Fächer hinweg. Das halte ich für fortschrittlich, da es für die Ärzte wichtig sein wird, einen Überblick über die gesamte Innere Medizin zu haben und nicht sofort in ein Spezialgebiet hineinzugehen.

Medscape Deutschland: Weshalb?

Prof. Dr. Hallek: Die Medizin wird sich immer stärker verzahnen. Mit einer zunehmenden Präzision im molekularen Bereich wird es für den Kardiologen oder den Pulmologen schwierig sein, den Gesamtüberblick zu behalten. Es wird eine internistische Ausbildung brauchen, um den Patienten durch dieses Dickicht zu lotsen. Irgendjemand muss Patienten durch diese neue Sorte der Medizin zu schleusen. Der Paradigmenwechsel in der Medizin, also der zunehmende Einsatz der Molekularbiologie, verlangt nach mehr Interdisziplinarität und mehr Dialog unter den Schwerpunkten, und das ist exakt das was die Innere Medizin auszeichnet.

 

Von Medscape Deutschland in Zusammenarbeit mit der DGIM

 

 

REFERENZEN:

1. 121. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 18. bis 21. April 2015, Mannheim

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....