Die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beginnt spätestens im Grundschulalter – und zwar allmorgendlich am Frühstückstisch. Darauf weist eine kürzlich im European Journal of Clinical Nutrition veröffentlichte Studie hin, in die Daten von 8.863 Kindern aus 8 europäischen Ländern eingingen [1].

PD Dr. Susanna Wiegand
Für die 6- bis 9-Jährigen galt: Wer täglich zuhause frühstückte, hatte weitaus häufiger normale Cholesterin- und Triglyzeridwerte sowie ein normales Gewicht als Altersgenossen, die das Frühstück ausfallen ließen. Wie die erste Mahlzeit des Tages sich zusammensetzte, danach fragte das Team um Dr. Stalo Papoutsou, Ernährungswissenschaftlerin am Research and Education Institute of Child Health in Nikosia auf Zypern, nicht. Papoutsous Fazit: „Der tägliche Verzehr eines Frühstücks trägt dazu bei, das Gewicht und Lipidprofil von Schulkindern zu regulieren und fördert eine vermehrte körperliche Aktivität.“
Dass es einen Zusammenhang zwischen dem Verzicht auf das Frühstück und Übergewicht gibt, hält auch PD Dr. Susanna Wiegand, Leiterin der Adipositas-Ambulanz (BABELUGA) am Interdisziplinären Sozialpädiatrischen Zentrum der Charité-Kinderklinik in Berlin, für plausibel. „Wir sehen das bei vielen Familien, die wir betreuen. Doch das Frühstück ist nur ein Faktor aus einem ganzen Cluster. In vielen Familien, in denen Kindern nicht frühstücken, gibt es keine geregelte Alltagsstruktur – da muss noch mehr geändert werden, damit Kinder gesund heranwachsen können.“
Ergebnisse: Fasten am Morgen macht Jungs träge und Mädchen rundlich
Die Studie von Papoutsou und ihrem Team bezog Daten mit ein, die im Rahmen des großen, EU-geförderten Projekts IDEFICS (Identification and Prevention of Dietary- and Lifestyle-Induced Health Effects in Children and Infants) erfasst worden waren (wie Medscape Deutschland berichtete). IDEFICS lief in den Jahren 2006 bis 2012 mit dem Ziel, Risikofaktoren für die Entwicklung von Übergewicht zu ermitteln. 16.224 Zwei- bis Neunjährige aus Deutschland, Spanien, Estland, Zypern, Belgien, Ungarn, Italien und Schweden hatten daran teilgenommen.
In den Jahren 2007 und 2008 hatten Eltern von 8.863 Kindern Fragen zum Frühstück beantwortet. Die Antworten werteten Papoutsou und ihr Team für ihre Untersuchung aus. Das Ergebnis: 70% der Kinder zwischen 2 und 5 Jahren und 80% der Kinder ab 6 Jahren nehmen täglich zuhause die erste Mahlzeit ein. Allerdings essen 22% der Kleinkinder nach dem Aufstehen selten oder nie im Elternhaus, 15% der Schulkinder halten es genauso.
Für jedes Kind wurden unter anderem Body-Mass-Index (BMI), Taillenumfang, Blutdruck und Blutfettwerte ermittelt. 4.647 der Teilnehmer bekamen zusätzlich einen Accelerometer (Bewegungsmesser) mit auf den Weg, der moderate bis anstrengende körperliche Aktivitäten erfasste. Die Ergebnisse wurden noch um Störfaktoren bereinigt, z.B. Alter, Herkunftsland, BMI und Bildungsstand der Eltern.
Im Vergleich „Kinder, die immer frühstücken“ und „Kinder, die selten oder nie frühstücken“ gab es bei den Kleinkindern keine signifikanten Unterschiede. Ganz anders bei den Kindern von 6 bis 9 Jahren: Jungen, die nie frühstückten, waren in dieser Gruppe häufiger übergewichtig. Auch wiesen sie eher wenig schützendes HDL-Cholesterin auf (Spiegel niedriger als 40 mg/dl). Die Triglyzeridwerte waren bei den männlichen Nicht-Frühstückern tendenziell erhöht, sie lagen öfter bei über 75 mg/dl.
Mädchen, die nicht frühstückten, hatten ebenfalls niedrigere HDL-Spiegel und höhere Triglyzeridwerte. Auch war bei ihnen häufiger das Verhältnis von LDL- zu HDL-Cholesterin ungünstig und ihr Taillenumfang größer.
Die Bewegungsmessungen ergaben, dass Schulkinder, die zuhause frühstücken, sich auch eher mehr bewegen. Bei den Mädchen war der Unterschied dabei aber eher unwesentlich (20 vs. 18 Minuten pro Tag); bei den Jungs schon größer: Die Frühstücker verbrachten im Schnitt 32 Minuten täglich mit moderater bis anstrengender Aktivität, die Nicht-Frühstücker nur 27,5 Minuten.
Weshalb gerade Grundschulkinder vom Frühstück daheim profitieren

Dr. Maike Wolters
Wie aber kommt es dazu, dass sich die Blutfettwerte von Kindern ohne Frühstück negativ verändern – unabhängig davon, was getrunken oder gegessen wird? Papoutsous Erklärung: „Eventuell essen Kinder, die das Frühstück ausfallen lassen, später mehr, inklusive Snacks am Nachmittag oder Abend.“
Papoutsous Ko-Autorin Dr. Maike Wolters vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen ergänzt im Gespräch mit Medscape Deutschland:„Kinder, die gleich morgens ein Frühstück einnehmen, haben vermutlich bessere Energiereserven und sind aktiver als solche, die ohne Frühstück in den Tag starten. Regelmäßige körperliche Aktivität senkt den Blutdruck, das LDL-Cholesterin und die Triglyzeride und erhöht die Konzentration des schützenden HDL-Cholesterins.“ Auch sei erwiesen, dass körperliche Aktivität den Anteil des viszeralen Fettgewebes reduziere – dieses wird besonders für ein erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko verantwortlich gemacht.
Warum sich die Effekte des fehlenden Frühstücks ausgerechnet im Grundschulalter zeigen, dazu hat Wolters ebenso eine Erklärung: In vielen Kitas gibt es in der Frühe sofort ein vollwertiges Frühstück, in Schulen allenfalls Stunden nach der Ankunft ein Pausenbrot. „Die Frühstücksgewohnheiten in Kindergärten in den beteiligten europäischen Ländern sind sehr unterschiedlich. Vielfach wird sofort bei Ankunft im Kindergarten gefrühstückt. Möglicherweise reichte dies bei den Teilnehmern, um frühzeitig genug Energie bereitzustellen.“
Wiegand gibt zu bedenken: „Allgemein sind hohe Cholesterin- oder Triglyzeridwerte bei Kleinkindern eher selten. Es kann sein, dass sich die Folgen der schlechten Ernährung in diesem Alter erst später manifestieren.“
Wäre denkbar, in allen Kindertagesstätten und Schulen ein gesundes Frühstück bereit zu stellen? Das hälfe vermutlich nur bedingt, sind sich beide Expertinnen einig. Denn ob, wieviel und was Kinder dabei zu sich nehmen, lässt sich schwer kontrollieren. Wolters verweist auch auf eine Studie aus Hongkong, an der 68.606 Viert- bis Sechstklässler teilgenommen hatten. Ein Frühstück unterwegs oder in der Schule hatte nicht denselben protektiven Effekt bei Übergewicht wie das Essen zuhause.
Schülern das Frühstück schmackhaft machen
„Wenn Kinder nicht frühstücken und Übergewicht entwickeln, sind oft mehrere Faktoren beteiligt“, betont Wiegand. „Wir müssen fragen: Stammt die Familie aus einem Land ohne Frühstückstradition? Oder essen Eltern und Kinder den ganzen Tag über nie zusammen? Ist die Familie allgemein in Bewegung, und wie ist der Medienkonsum?“ Ihre Erfahrung: Manchen Eltern lässt sich eine gesunde Ernährung – inklusive Frühstück – rasch in Schulungen nahebringen. Bei anderen sind an vielen Stellen im Erziehungsstil und der Freizeitgestaltung Veränderungen nötig, bevor die Kinder eine Chance haben, Übergewicht abzubauen.
Wolters ergänzt: „Untersuchungen zeigen außerdem, dass die gemeinsamen Mahlzeiten und die gemeinsamen Aktivitäten in der Familie für Kinder wichtig sind. Sie stärken die Bindung zu den Eltern, so dass Kinder möglicherweise auch weniger anfällig für Stress sind. Bei den Teilnehmern der IDEFICS-Studie zeigte sich auch, dass ein erhöhter Stress-Pegel mit einem höheren Risiko für Übergewicht einhergeht, wodurch sich wiederum das Herz-Kreislauf-Risiko erhöht.“
Wie aber sollten Pädiater Eltern beraten, deren Kind jeden Tag am gedeckten Frühstückstisch sitzt und keinerlei Appetit verspürt? „Hier gilt es, zu prüfen, ob diese Kinder nicht vielleicht zu jenen gehören, die abends sehr viel essen beziehungsweise snacken“, rät Wiegand. Manchmal hilft schon das weniger umfangreiche Abendessen, damit ein Schulkind die Freude am Frühstück entdeckt. Auch eine frühere Zubettgehzeit und ein damit verbundenes entspanntes Aufstehen wirken unter Umständen appetitsteigernd.
Frisch gepresster Saft oder Smoothie statt klassischem Frühstück?
Bei manchen kann laut Wiegand ein frisch gepresster Saft mit Schmelzflocken oder ein selbst gemachter Obst- oder Gemüse-Smoothie das klassische Frühstück teilweise ersetzen. Wolters empfiehlt als optimale erste Mahlzeit des Tages: „Müsli auf der Basis von Vollkornflocken, Obst und Joghurt, Vollkornbrot oder -brötchen mit Quark und etwas Obst oder Gemüse.“ Sie liefern lebensnotwendige Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe, machen lange satt und geben Energie. Kinder ganz ohne Appetit können alternativ Energie aus Saft oder Milch ziehen, schlägt Wolters vor. Wer normal speise, sollte diese aber eher vermeiden und Wasser oder ungesüßten Tee trinken.
Wie es mit den Kindern aus IDEFICS in puncto Ernährung, Lifestyle und Gewicht weiter geht, soll das Folgeprojekt namens I.Family mit zum Teil denselben Teilnehmern zeigen. Die erste Mahlzeit am Tag bleibt auch bei Teenagern wichtig, verrät Wolters: „Ergebnisse einer Studie mit Jugendlichen deuten auf keine höhere körperliche Aktivität und eine bessere kardiorespiratorische Fitness derjenigen, die frühstücken, hin.“
REFERENZEN:
1. Papoutsou S, et al: Eur J Clin Nutr. 2014; 68(7):829-834
Diesen Artikel so zitieren: Frühstücke zuhause, Kind! Wie sich das Frühstück auf Blutfettwerte und Gewicht von Grundschülern auswirkt - Medscape - 12. Jan 2015.
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