Während der Einsatz von ASS zur Sekundärprophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse in den meisten Leitlinien empfohlen wird, ist die Primärprävention mit dem Cyclooxygenasehemmer heftig umstritten. Neuen Daten aus Großbritannien zufolge könnte die Einnahme von ASS bei gesunden Frauen mehr schaden als nützen. „Die ASS-Gabe führte zwar zu einer gewissen Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse und bestimmter Tumorformen, doch auf der anderen Seite nahm das Risiko für gastrointestinale Blutungen so stark zu, dass letztlich kein Netto-Nutzen übrig bleib“, kommentiert der Pharmakologe Prof. Dr. Rolf Nüsing die Daten im Gespräch mit Medscape Deutschland.
Die von Dr. Rob van Kruijsdijk vom Universitätsklinikum Utrecht und Kollegen erhobenen Daten stammen aus der offenen Phase der Women’s Health Study (WHS) und sind in der Fachzeitschrift Heart veröffentlicht worden [1]. An der randomisiert-kontrollierten Studie nahmen nahezu 30.000 Frauen ab dem 45. Lebensjahr teil. Ein Ziel war, den Effekt von 100 mg ASS alle 2 Tage im Vergleich zu Placebo zu testen. Im Anschluss an die zehnjährige randomisierte Phase folgte eine etwa fünfjährige offene Phase.

Prof. Dr. Rolf Nüsing
Während sich in der ersten Analyse nach 10 Jahren noch kein Effekt auf das Krebsrisiko gezeigt hatte, brachte die Langzeitnachbeobachtung eine Reduktion von kolorektalen Karzinomen in der ASS-Gruppe zutage. Diese zeigte sich im Median nach 18 Jahren.
Das Zünglein an der Waage?
Andererseits: „ASS reduziert das kardiovaskuläre Risiko nur in geringem Ausmaß, während das Risiko für schwere gastrointestinale Blutungen ansteigt“, schreiben die Autoren um van Kruijsdijk. Die Frage der aktuellen Bilanzierung war nun: Kann bei dieser Pattsituation der Effekt auf das Krebsrisiko den Ausschlag zugunsten von ASS in der Primärprävention geben?
Die Forscher um Kruijsdijk stellten also die Risikosenkung für kardiovaskuläre Ereignisse und Darmkrebs dem höheren Risiko für gastrointestinale Blutungen unter ASS-Gabe gegenüber und kamen zu dem Schluss: „In der Primärprävention ist die Einnahme von niedrig dosiertem ASS für die Mehrzahl der Frauen ineffektiv und schädlich, wenn man die Risiken für kardiovaskuläre Ereignisse, Krebs und gastrointestinale Blutungen gemeinsam in Betracht zieht.“
Nur bei Frauen über 65 Jahren kommen sie zu einem anderen Ergebnis: „Das Alter ist der entscheidende Faktor für die Wirksamkeit der ASS-Prophylaxe. Die protektiven Effekte von ASS nehmen mit dem Alter zu.“
Zwar stieg mit dem Alter auch das Risiko für gastrointestinale Blutungen an, aber „im höheren Alter ist auch das Risiko für kardiovaskuläre und bestimmte Krebserkrankungen höher. Das heißt, es treten mehr Ereignisse auf, die durch die ASS möglicherweise verhindert werden“, erklärt Nüsing, der am Institut für Klinische Pharmakologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main tätig ist.
Keine pauschale Lösung für alle
Das Erkrankungsrisiko ist Nüsing zufolge der entscheidende Faktor bei der Abwägung des Für und Wider einer ASS-Prophylaxe: „Bei gesunden Menschen gehe ich momentan nicht davon aus, dass die Einnahme von ASS einen Nutzen hat, man muss vielmehr wegen der Risiken vorsichtig sein. Hat ein Patient aber schon hohe Cholesterinwerte, Hypertonie und möglicherweise noch Diabetes, ist also sein kardiovaskuläres Erkrankungsrisiko deutlich erhöht, kann man im Einzelgespräch überlegen, ob es sinnvoll wäre, eine ASS-Prophylaxe zu machen.“
Nüsing verweist als Hilfsmittel für die Praxis auf verschiedene Instrumente, die dem Arzt dabei helfen können, das Erkrankungsrisiko des Patienten einzuschätzen, etwa der Framingham-Score oder die SCORE Risk Charts, wobei hier für Deutschland die Low Risk Chart verwendet werden sollte.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: ASS in der Primärprävention für Frauen: Allenfalls nützlich für Seniorinnen - Medscape - 29. Dez 2014.
Kommentar