Ärzteproteste blieben unberücksichtigt – Bundeskabinett beschließt Versorgungsstärkungsgesetz

Christian Beneker

Interessenkonflikte

17. Dezember 2014

Die konzentrierten Proteste vor allem von niedergelassenen Ärzten gegen das Versorgungsstärkungsgesetz sind wirkungslos geblieben. Auch nach der Verbandsanhörung und Kritik auf breiter Front am Referentenentwurf des Gesetzes bleiben alle umstrittenen Punkte im Gesetz: Praxenaufkauf bei Überversorgung, die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung oder die leidigen Terminvergabestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen).

 
Eine wahllose Abarbeitung von Terminvermittlungswünschen würde auch noch die Kapazitäten verbrauchen, die heute noch in dringenden Fällen ausgeschöpft werden können. NV Niedersachsen
 

Leichte Veränderungen indessen gab es beim Fonds für besonders innovative Versorgungsformen beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einem Volumen von 300 Millionen Euro. Das Geld soll je zur Hälfte von den Krankenkassen und dem Gesundheitsfonds bezahlt werden. Hier ist offenbar der Finanzminister eingeschritten. Ursprünglich hieß es, der Betrag von 300 Millionen Euro solle jährlich fließen. Im Kabinettsentwurf ist von dem Fonds nur noch „zunächst in den Jahren 2016 bis 2019“ die Rede. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf beschlossen [1].

Die Kritik verhallte ohne Folgen

Bis zum Schluss hatten unter anderem die KVen Druck auf Berlin gemacht: So schlug die KV Niedersachsen vor, die Terminvermittlung durch die KVen zumindest an die Dringlichkeit der Versorgung zu koppeln. „Eine wahllose Abarbeitung von Terminvermittlungswünschen würde auch noch die Kapazitäten verbrauchen, die heute noch in dringenden Fällen ausgeschöpft werden können. Wenn sie nicht ersatzlos aus dem Gesetzentwurf gestrichen wird, muss die Regelung zumindest die Dringlichkeit zum Maßstab haben und nicht jeden beliebigen Termin“, sagte KVN-Vorstandsvorsitzender Mark Barjenbruch. „Sonst tragen die Servicestellen am Ende noch ungewollt zum Kollaps des Systems bei.“

Vergeblich. Die neuen Termin-Servicestellen kommen – und kosten: Sie sollen im Aufbau laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) an die 20 Millionen Euro verschlingen und jährlich noch einmal so viel, um sie zu betreiben. Letztlich müssen die Mitglieder-KVen dieses Geld über ihre Beiträge zahlen. Ob es bei den 20 Millionen bleibt, ist allerdings fraglich. „Allein für Niedersachsen liegt uns ein Angebot eines Dienstleisters für 7 Millionen Euro im Jahr vor“, sagt Barjenbruch zu Medscape Deutschland.

 
Gute medizinische Versorgung darf auch in Zukunft keine Frage des Wohnorts sein. Hermann Gröhe
 

Auch die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) heftig bekämpfte Soll-Vorschrift zum Aufkauf von Praxen in überversorgten Gebieten ist unverändert im Kabinettsentwurf gelandet. Auf ihrer Vertreterversammlung im Dezember hatten die KBV-Delegierten in einer Resolution die Regelung noch als „faktische Abschaffung der freien Arztwahl und gleichzeitig die Schaffung einer patientenfeindlichen Bürokratie“ gegeißelt. Umsonst.

Auch die weitere Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung ist eine umstrittene Regelung und für die Niedergelassenen ein rotes Tuch. So sollen Krankenhäuser leichter Ermächtigungen erhalten und im Notdienst stärker mit den KVen kooperieren können. In den Augen der KBV-Vertreter haben die Krankenhäuser weder das hausärztliche Know-how dazu, noch die entsprechenden Kapazitäten.

 
Wir werden den Abgeordneten einen Neujahrsgruß schicken und so noch einmal mit unseren Argumenten auf sie zugehen, bevor der Bundestag das Gesetz beschließt. Mark Barjenbruch
 

Das sehen die Krankenhausvertreter verständlicherweise anders. „Die Regelungen sind ein Schritt in die richtige Richtung“, kommentiert Holger Mages, Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gegenüber Medscape Deutschland. „Allerdings erbringen die Krankenhäuser heute schon 5 Millionen ambulante Notfallleistungen im Jahr. Die KVen stellen also schon lange nicht mehr die Versorgung sicher. Wir fordern deshalb, dass wir unsere ambulanten Leistungen direkt mit den Krankenkassen abrechnen können.“ Die Kritikpunkte beider Seiten verhallten beim Gesetzgeber unerhört.

Dass die Kritik aus vielen Lagern komplett abgeschmettert wurde, erklärt Niedersachsens KV-Chef Mark Barjenbruch mit der großen Koalition als solcher. „Da ist es immer schwer, Lobbyarbeit zu machen. Außerdem wollte die Koalition auf Teufel-komm-raus am Koalitionsvertrag festhalten.“

Ungeachtet der Kritik erklärte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zum Kabinettsentwurf: „Gute medizinische Versorgung darf auch in Zukunft keine Frage des Wohnorts sein. (…) Finanzielle Anreize sind dabei ein Baustein. (...) Gleichzeitig geht es darum, die Versorgung klug weiterzuentwickeln.“ [2]

Weitere wichtige Regelungen im Versorgungsstärkungsgesetz

  • • Die KVen können leichter einen Strukturfonds schaffen, um z.B. Niederlassungen zu fördern. Bisher musste zunächst ein lokaler Bedarf anerkannt werden.

  • • Kommunen dürfen jetzt selbst Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gründen.

  • • Auch wenn die KVen in überversorgten Gebieten Praxen aufkaufen sollen, können hier Praxen wie gehabt an Kinder, Ehe- und Lebenspartner weitergegeben werden. Ein Verkauf soll aber auch möglich sein, wenn der Nachfolger die Praxis in ein Gebiet des Planungsbereichs mit Bedarf verlegt.

  • • Ab dem Jahr 2017 sollen „unbegründete Unterschiede in den Gesamtvergütungen der KVen abgebaut werden – zu „nicht bezifferbaren Mehrausgaben“.

  • • 25 bis 30 Millionen Euro sollen für 2.500 weitere Weiterbildungsstellen in Hausarztpraxen fließen. Derzeit gibt es 5.000 Stellen. Die Weiterbildungsassistenten sollen ebenso viel Geld wie ihre Kollegen in den Kliniken bekommen.

  • • Bei planbaren Eingriffen erhalten die Versicherten das Recht auf eine Zweitmeinung, „damit sich die Versicherten darauf verlassen können, dass nur solche Eingriffe durchgeführt werden, die auch tatsächlich medizinisch notwendig sind“, wie es im Kabinettsentwurf heißt.

Ganz aufgesteckt haben die KVen trotz des Kabinettsbeschlusses noch nicht. „Wir werden den Abgeordneten einen Neujahrsgruß schicken und so noch einmal mit unseren Argumenten auf sie zugehen, bevor der Bundestag das Gesetz beschließt“, kündigt Barjenbruch an.

 

REFERENZEN:

1. Kabinettsentwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes

2. Bundesgesundheitsministerium: Pressemitteilung Hermann Gröhe: „Gute medizinische Versorgung darf keine Frage des Wohnorts sein“ Bundeskabinett beschließt Versorgungsstärkungsgesetz, 17. Dezember 2014

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....