
Dr. Paul Plener
Suizidversuche und Suizide sind unter Medizinern, aber auch schon unter Medizinstudenten häufiger als unter Nicht-Medizinern. „Die Lebenszeitprävalenz für Suizidversuche unter deutschen Medizinstudierenden liegt bei 1,5 Prozent“, erklärt Dr. Paul Plener, Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm. Plener ist Autor einer vor kurzem erschienenen Online-Umfrage an der Universität Ulm unter 714 Medizinstudenten mit dem Titel „Suizidalität und selbstverletzendes Verhalten bei Studierenden der Humanmedizin“ [1].
Die Ergebnisse der Ulmer Umfrage decken sich mit Daten aus dem Ausland: „Schaut man sich Studien aus den USA und Norwegen an, dann liegt die Rate der Suizidversuche unter Medizinstudenten seit Jahren konstant zwischen 1 und 2 Prozent“, sagt Plener. Zu gelungenen Suiziden unter Medizinstudierenden gibt es weder in Deutschland noch im Ausland konkrete Zahlen.
Betrachtet man die Zahl von Suizidversuchen unter gleichaltrigen nicht Medizin Studierenden in Deutschland, zeigt sich, dass angehende Mediziner sich häufiger dazu entschließen als Studierende anderer Fachrichtungen. Ermittelt wurden die Raten von Suizidversuchen in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen: Sie betrugen 0,3% (Frauen) bzw. 0,15% (Männer). „Allerdings basiert diese Studie auf Registerdaten von Kliniken. Man muss dabei bedenken, dass viele Suizidversuche gar nicht in Kliniken landen, insofern ist ein direkter Vergleich hier kaum möglich“, schränkt Plener ein.
Studienlage zu Suizidversuchen unter Medizinstudierenden ist dünn
„Das Thema Suizidalität ist bei Medizinstudierenden von Bedeutung, doch es fehlen bislang Arbeiten, die sich mit dieser Problematik an deutschen Hochschulen beschäftigen“, skizziert Dr. Thea Rau von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Ulm die eher dürftige Studienlage. Rau und Kollegen hatten kürzlich in einer Übersichtsarbeit von internationalen Studien Häufigkeit und Entstehungsbedingungen von Suizidalität bei Medizinstudierenden untersucht. Ihr Fazit: Medizinstudierende sind als Risikogruppe für suizidales Verhalten einzustufen.
„Dass die Studienlage zu Suizidversuchen unter Medizinstudenten in Deutschland dünner ist als etwa in Norwegen oder den USA hat allerdings nichts damit zu tun, dass das Thema in diesen Ländern weniger tabuisiert wäre“, betont Plener. „Die Studienlage ist dort besser, weil für Studien auf Registerdaten zurückgegriffen werden kann, bei uns geht das wegen des Datenschutzes nicht. In Norwegen beispielsweise lässt sich die Krankheitsgeschichte eines Menschen der einen Suizidversuch unternommen hat, genau nachverfolgen.“
Macht das Studium die angehenden Mediziner krank?
PD Dr. Harald Jurkat vom Institut für Psychosomatik und Psychotherapie des Uniklinikums Gießen hat 651 Medizinstudierende des 1. und 7. Fachsemesters per Fragebogen zu Lebensqualität und Stressbewältigung im Medizinstudium befragt. „Medizinstudierende sind psychisch besonders stark belastet: Sie arbeiten schon während des Studiums länger als Studierende anderer Fachrichtungen und sind zudem mit Leid und Sterben konfrontiert“, fasst Jurkat zusammen.
In seiner Umfrage stellte er fest: 81,1% der Befragten wiesen keine, 13,1% milde und 5,8% klinisch relevante Symptome einer Depression auf, Studentinnen waren häufiger beeinträchtigt. Die Stärke der Symptome wiederum hing wesentlich von der subjektiven Bewertung von Stressoren ab. Bei den Studienanfängern beeinflusste der Coping-Stil die Depressivität maßgeblich. Der erhöhte Gebrauch von Alkohol als Coping-Mittel bei 10,5% der Medizinstudierenden deutet auf eine inadäquate Stressbewältigung hin.
Auch die Querschnittstudie von Dr. Regina Kurth aus Ulm ergab, dass die psychische Gesundheit von Medizinstudierenden deutlich unter der Norm lag und hohe Belastung im Studium und Unzufriedenheit mit Aggressivität korrelierten. Ingrid-Ursula Aster-Schenck vom Universitätsklinikum Würzburg ermittelte in einer Studie, dass zu Beginn des Studiums 39,1% der Studierenden ein gesundes Verhaltensmuster aufwiesen. Im mittleren Studienabschnitt lag der Anteil bei 30,5%, am Studienende bei 18,3%.
Entsprechend fanden sich resignative Verhaltensmuster mit Burnout-Tendenzen und Schonungsmuster zu Beginn des Studiums bei 44,0%, in der Mitte des Studiums bei 55,9% und am Studienende bei 65,2% der Probanden.
Sebastian Klier, der an der Universität Gießen 2009 die Lebensqualität von 250 Medizinstudierenden untersucht hat, bezeichnet den von oberen Semestern häufig praktizierten Bewältigungsstil als pathologisch.Er schreibt: „Die Ergebnisse sind alarmierend. Sie lassen den Schluss zu, dass das Medizinstudium in seiner jetzigen Form offensichtlich eine pathologische Sozialisation fördert, die als Wegbereiter für die schlechtere Lebensqualität und das gestörte Gesundheitsverhalten bei Medizinern betrachtet werden kann.“
„Obwohl die starke psychische Belastung von Medizinstudierenden schon einige Jahre bekannt ist, fehlt eine öffentliche Resonanz weitgehend“, stellt Luise Schäfer klar, die im 9. Semester Medizin studiert und Mitglied in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) ist.
Diesen Artikel so zitieren: Bevor der Stress tödlich wird: Medizinstudierende als Risikogruppe für Suizid - Medscape - 16. Dez 2014.
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