Ein Hormon oder zwei? Künstliches Pankreas kommt wahrscheinlich ohne Glukagon aus

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

16. Dezember 2014

           

Prof. Dr. Thomas Danne

           

Als künstliches Pankreas bezeichnet man Systeme,  die Glukose-gesteuert automatisiert Insulin freisetzen. Einige Modelle, vor  allem die in jüngerer Zeit entwickelten, setzen zur besseren Steuerung, etwa um  Hypoglykämien zu beenden, zusätzlich Glukagon-Boli frei. Doch besser sind sie deshalb  nicht unbedingt, wie eine aktuelle kanadische Studie ergab. In ihr war die  Blutzuckerkontrolle mit einem insulinbasierten künstlichen Pankreas ebenso gut  wie mit einem bi-hormonellen System [1]. „Eine künstliche Bauchspeicheldrüse braucht kein zweites  Hormon“, kommentiert auch der Diabetologe Prof. Dr. Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf  der Bult in Hannover die Ergebnisse der  Vergleichsstudie.

           

Dr. Steven J. Russell

           

Ob ein künstliches Pankreas neben dem  blutzuckersenkenden Insulin zur Gegenregulation auch Glukagon enthalten sollte,  wird kontrovers diskutiert. „Glukagon könnte durchaus  von Nutzen sein“, schreibt Dr. Steven J. Russell vom Massachusetts General Hospital in Boston in einem begleitenden  Editorial [2]. „Selbst die sogenannten schnellwirksamen Insulinanaloga  werden relativ langsam aufgenommen, wodurch das Insulin auch nach Beendigung  der Infusion noch weiterwirkt. Wenn dann plötzlich weniger Insulin benötigt  wird, etwa bei körperlicher Aktivität, reicht ein Stopp der Insulinzufuhr  möglicherweise nicht aus, um eine Hypoglykämie zu verhindern. Glukagon wird  schneller absorbiert als Insulin und kann dem Abfall der Glukosekonzentrationen  schnell entgegenwirken, indem es die Glukosefreisetzung aus der Leber  aktiviert.“

Beide Pankreassysteme verlängern  Zeit im Glukose-Zielbereich

Dr. Ahmad Haidar und Kollegen vom Institut für  klinische Forschung Montreal haben künstliche Pankreassysteme mit einem Hormon  oder mit 2 Hormonen gegen eine konventionelle Insulinpumpentherapie getestet.  Teilnehmer waren Typ-1-Diabetiker über 12 Jahre. Primärer Endpunkt der Studie  war die Zeit, in der sich die Glukosewerte im vorher definierten Zielbereich  befanden: 4,0-10,0 mmol/l (72-180 mg/dl) in den 2 Stunden nach einer Mahlzeit,  ansonsten 4,0–8,0 mmol/l (72-144 mg/dl).

 
Eine künstliche Bauch-speicheldrüse braucht kein zweites Hormon. Prof. Dr. Thomas Danne
 

Sowohl das insulinbasierte als auch das bi-hormonelle  künstliche Pankreas verlängerten die Zeit im Glukose-Zielbereich und  verringerten die Zeit im hypoglykämischen Bereich – verglichen mit der vor dem  Experiment optimierten Insulinpumpentherapie. Im Durchschnitt befanden sich die  Studienteilnehmer mit insulinbasiertem automatisiertem Pankreas 62% der Zeit im  Glukose-Zielbereich. Mit dem bi-hormonellen Pankreas waren es 63%, mit der  Insulinpumpe 51% der Zeit.

Vermeidung von Hypoglykämien

Unter der Insulinpumpentherapie kam es zu 52  Hypoglykämien (12 davon mit Symptomen), unter dem insulinbasierten Pankreas zu  13 Hypoglykämien (5 davon mit Symptomen) und unter dem bihormonellen Pankreas  zu 9 Hypoglykämien (keine davon symptomatisch). Die Zahl der nächtlichen  Hypoglykämien lag unter der Insulinpumpe bei 13 (keine symptomatisch). Unter  den beiden automatisierten Pankreassystemen traten keine nächtlichen  Hypoglykämien auf.

 
Für mich ist interessant, dass das bihormonelle System während der abendlichen sportlichen Aktivität keine Vorteile bot. Prof. Dr. Thomas Danne
 

Die Zeit im Glukose-Zielbereich sowie das  Auftreten nächtlicher Hypoglykämien unterschieden sich zwischen den beiden künstlichen  Pankreassystemen nicht. Allerdings kam es mit der bi-hormonellen Strategie  tagsüber zu weniger Hypoglykämien als unter der allein insulinbasierten.

„Da sich die verbrauchte Insulinmenge zwischen  den beiden Pankreassystemen nicht unterschied, kann man davon ausgehen, dass  die unterschiedlichen Hypoglykämieraten auf den Einsatz des Glukagons  zurückgehen“, schreibt Editorial-Autor Russell.

Für Danne liegen die vermehrten Hypoglykämien am  Tage jedoch eher im Studiendesign begründet: „Die Hypoglykämien traten gehäuft  nach den Mahlzeiten auf. Und zu den Mahlzeiten wurde das System jeweils mit  Bolusgaben gefüttert, die nach einem anderen Algorithmus berechnet wurden.  Scheinbar hat dieser Algorithmus für den Glukagon-Arm besser funktioniert als  für den insulinbasierten.“

 
Den wahren Wert des Glukagons kann erst der unbegrenzte ambulante Einsatz zeigen, wenn das System mit einer viel größeren Bandbreite an Herausforderungen der Blutzucker-stabilität konfrontiert ist. Dr. Steven J. Russell
 

Keine Vorteile des bihormonellen Systems beim Sport

„Für  mich ist interessant, dass das bi-hormonelle System während der abendlichen  sportlichen Aktivität keine Vorteile bot“, ergänzt Danne, der hofft, dass es gelingen wird, Hypoglykämien auch mit  einem Ein-Hormon-System in den Griff zu bekommen. „Ich bin ein Verfechter  dieser Therapieform, denn mit der Insulintherapie haben wir viele Jahre  Erfahrung. Die Glukagontherapie birgt dagegen mehrere Probleme. Unter anderem gibt  es noch kein stabiles Glukagon für die Langzeitanwendung und wir wissen nicht,  welche Folgen die supraphysiologische Glukagongabe letztlich auf die  Glykogenspeicher hat.“

Die Studie war die erste, die die beiden künstlichen  Pankreasstrategien miteinander verglichen hat. Um Schlüsse für den Praxisalltag  zu ziehen, sei es noch zu früh, schreibt auch Russell. „Den wahren Wert des Glukagons kann erst der  unbegrenzte ambulante Einsatz zeigen, wenn das System mit einer viel größeren  Bandbreite an Herausforderungen der Blutzuckerstabilität konfrontiert ist.“

 

REFERENZEN:

1. Haidar A, et al: The Lancet Diabetes  & Endocrinology (online), 27. November 2014

2. Russell SJ, et al: The Lancet Diabetes  & Endocrinology (online), 27. November 2014

 

Kommentar

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