
Prof. Dr. Thomas Danne
Als künstliches Pankreas bezeichnet man Systeme, die Glukose-gesteuert automatisiert Insulin freisetzen. Einige Modelle, vor allem die in jüngerer Zeit entwickelten, setzen zur besseren Steuerung, etwa um Hypoglykämien zu beenden, zusätzlich Glukagon-Boli frei. Doch besser sind sie deshalb nicht unbedingt, wie eine aktuelle kanadische Studie ergab. In ihr war die Blutzuckerkontrolle mit einem insulinbasierten künstlichen Pankreas ebenso gut wie mit einem bi-hormonellen System [1]. „Eine künstliche Bauchspeicheldrüse braucht kein zweites Hormon“, kommentiert auch der Diabetologe Prof. Dr. Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover die Ergebnisse der Vergleichsstudie.

Dr. Steven J. Russell
Ob ein künstliches Pankreas neben dem blutzuckersenkenden Insulin zur Gegenregulation auch Glukagon enthalten sollte, wird kontrovers diskutiert. „Glukagon könnte durchaus von Nutzen sein“, schreibt Dr. Steven J. Russell vom Massachusetts General Hospital in Boston in einem begleitenden Editorial [2]. „Selbst die sogenannten schnellwirksamen Insulinanaloga werden relativ langsam aufgenommen, wodurch das Insulin auch nach Beendigung der Infusion noch weiterwirkt. Wenn dann plötzlich weniger Insulin benötigt wird, etwa bei körperlicher Aktivität, reicht ein Stopp der Insulinzufuhr möglicherweise nicht aus, um eine Hypoglykämie zu verhindern. Glukagon wird schneller absorbiert als Insulin und kann dem Abfall der Glukosekonzentrationen schnell entgegenwirken, indem es die Glukosefreisetzung aus der Leber aktiviert.“
Beide Pankreassysteme verlängern Zeit im Glukose-Zielbereich
Dr. Ahmad Haidar und Kollegen vom Institut für klinische Forschung Montreal haben künstliche Pankreassysteme mit einem Hormon oder mit 2 Hormonen gegen eine konventionelle Insulinpumpentherapie getestet. Teilnehmer waren Typ-1-Diabetiker über 12 Jahre. Primärer Endpunkt der Studie war die Zeit, in der sich die Glukosewerte im vorher definierten Zielbereich befanden: 4,0-10,0 mmol/l (72-180 mg/dl) in den 2 Stunden nach einer Mahlzeit, ansonsten 4,0–8,0 mmol/l (72-144 mg/dl).
Sowohl das insulinbasierte als auch das bi-hormonelle künstliche Pankreas verlängerten die Zeit im Glukose-Zielbereich und verringerten die Zeit im hypoglykämischen Bereich – verglichen mit der vor dem Experiment optimierten Insulinpumpentherapie. Im Durchschnitt befanden sich die Studienteilnehmer mit insulinbasiertem automatisiertem Pankreas 62% der Zeit im Glukose-Zielbereich. Mit dem bi-hormonellen Pankreas waren es 63%, mit der Insulinpumpe 51% der Zeit.
Vermeidung von Hypoglykämien
Unter der Insulinpumpentherapie kam es zu 52 Hypoglykämien (12 davon mit Symptomen), unter dem insulinbasierten Pankreas zu 13 Hypoglykämien (5 davon mit Symptomen) und unter dem bihormonellen Pankreas zu 9 Hypoglykämien (keine davon symptomatisch). Die Zahl der nächtlichen Hypoglykämien lag unter der Insulinpumpe bei 13 (keine symptomatisch). Unter den beiden automatisierten Pankreassystemen traten keine nächtlichen Hypoglykämien auf.
Die Zeit im Glukose-Zielbereich sowie das Auftreten nächtlicher Hypoglykämien unterschieden sich zwischen den beiden künstlichen Pankreassystemen nicht. Allerdings kam es mit der bi-hormonellen Strategie tagsüber zu weniger Hypoglykämien als unter der allein insulinbasierten.
„Da sich die verbrauchte Insulinmenge zwischen den beiden Pankreassystemen nicht unterschied, kann man davon ausgehen, dass die unterschiedlichen Hypoglykämieraten auf den Einsatz des Glukagons zurückgehen“, schreibt Editorial-Autor Russell.
Für Danne liegen die vermehrten Hypoglykämien am Tage jedoch eher im Studiendesign begründet: „Die Hypoglykämien traten gehäuft nach den Mahlzeiten auf. Und zu den Mahlzeiten wurde das System jeweils mit Bolusgaben gefüttert, die nach einem anderen Algorithmus berechnet wurden. Scheinbar hat dieser Algorithmus für den Glukagon-Arm besser funktioniert als für den insulinbasierten.“
Keine Vorteile des bihormonellen Systems beim Sport
„Für mich ist interessant, dass das bi-hormonelle System während der abendlichen sportlichen Aktivität keine Vorteile bot“, ergänzt Danne, der hofft, dass es gelingen wird, Hypoglykämien auch mit einem Ein-Hormon-System in den Griff zu bekommen. „Ich bin ein Verfechter dieser Therapieform, denn mit der Insulintherapie haben wir viele Jahre Erfahrung. Die Glukagontherapie birgt dagegen mehrere Probleme. Unter anderem gibt es noch kein stabiles Glukagon für die Langzeitanwendung und wir wissen nicht, welche Folgen die supraphysiologische Glukagongabe letztlich auf die Glykogenspeicher hat.“
Die Studie war die erste, die die beiden künstlichen Pankreasstrategien miteinander verglichen hat. Um Schlüsse für den Praxisalltag zu ziehen, sei es noch zu früh, schreibt auch Russell. „Den wahren Wert des Glukagons kann erst der unbegrenzte ambulante Einsatz zeigen, wenn das System mit einer viel größeren Bandbreite an Herausforderungen der Blutzuckerstabilität konfrontiert ist.“
REFERENZEN:
1. Haidar A, et al: The Lancet Diabetes & Endocrinology (online), 27. November 2014
2. Russell SJ, et al: The Lancet Diabetes & Endocrinology (online), 27. November 2014
Diesen Artikel so zitieren: Ein Hormon oder zwei? Künstliches Pankreas kommt wahrscheinlich ohne Glukagon aus - Medscape - 16. Dez 2014.
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