Macht Bisphenol A (BPA) Plastik weich und Blutgefäße hart? Einen weiteren Baustein zur These, dass dieser zentrale Bestandteil von Polycarbonat-Kunststoffen den Blutdruck in die Höhe treiben könnte, liefert jetzt die Arbeitsgruppe um Dr. Sanghyuk Bae vom Department of Preventive Medicine der Universität in Seuol, Südkorea.
Die Forscher haben 2 Stunden nach dem Genuss von Sojamilch aus BPA-haltigen Dosen einen Blutdruckanstieg um durchschnittlich 4,5 mmHg ermittelt und ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Hypertension veröffentlicht [1]. „Unsere Studie zeigt, dass durch den Konsum von Dosengetränken die BPA-Exposition zunimmt. Das ließ den Blutdruck innerhalb eines relativ kurzen Zeitrahmens steigen“, schreiben die Autoren. „Das Studiendesign ist durchaus robust, dagegen lässt sich nichts sagen“, bewertet Prof. Dr. Reinhold Kreutz, Leiter des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie an der Berliner Charité, den Versuchsaufbau. Allerdings blieben noch etliche Fragen offen, meint der Blutdruckexperte.
BPA ist als Weichmacher von Kunststoff u.a. in Plastiktüten, Konserven- und Getränkedosen, Plastikflaschen, Kassenbons und Fahrkarten allgegenwärtig. Als endokriner Disruptor, der Hormon-ähnliche Wirkungen entfalten kann, wird BPA schon seit Längerem mit der Entstehung von Fertilitätsstörungen, aber auch mit Hypertonie, Diabetes, Fettleibigkeit, Hirnentwicklungsstörungen sowie mit Brust- und Prostatakrebs in Verbindung gebracht. Ob die Substanz diese Erkrankungen jedoch kausal verursacht, ließ sich bislang nicht nachweisen.
BPA-Konzentration im Urin stieg drastisch
Die koreanischen Wissenschaftler führten einen randomisierten Crossover-Versuch mit Erwachsenen durch. 60 Probanden (56 Frauen) mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren nahmen an der Studie teil. Sie tranken jeweils 3-mal in randomisierter Reihenfolge entweder den Inhalt von 2 Glasflaschen, den Inhalt von 2 Plastikdosen oder den Inhalt von je einer Flasche und einer Dose. 36 der Teilnehmerinnen litten an Hypertonie und/oder Diabetes mellitus und wurden medikamentös behandelt.
Die BPA-Konzentration im Urin, der Blutdruck und die Herzfrequenzrate wurden 2 Stunden nach dem Konsum gemessen und miteinander verglichen. Die BPA-Konzentration im Urin stieg nach dem Konsum der beiden Getränkedosen überdeutlich an (um mehr als 1.600% auf 16,91 μg/l), und unterschied sich damit merkbar vom Anstieg bei den Probanden, die aus Glasflaschen (1,13 μg/l), bzw. aus einer Glasflasche und einer Dose getrunken hatten (7,93 μg/l). Die Herzfrequenz-Variabilität zeigte hingegen keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Ein ziemlich heterogenes Bild allerdings bietet sich, wenn man sich die Blutdruckwerte anschaut: Der systolische Blutdruck (SBD) lag vor der Intervention in den Gruppen zwischen 131,9 mmHg und 135,8 mmHg, 2 Stunden nach Intervention war er auf 127 mmHg bis 129 mmHg abgesunken. Der diastolische Wert (DBD) lag in allen 3 Gruppen vor Intervention zwischen 80,0 und 80,5 mmHg und 2 Stunden nach Intervention zwischen 76,5 bis 77,1 mmHg.
„Die Rohdaten geben einen Anstieg des Blutdrucks nicht her, vielmehr kommt es in allen Gruppen nach dem Trinken im Mittel zu einem Abfall des Blutdrucks“, erklärt Kreutz. Allerdings justierten die Studienautoren diese Daten um tageszeitliche Schwankungen nach und nahmen Anpassungen bei Alter, Geschlecht und Medikation vor. So errechneten sie einen durchschnittlichen Anstieg von 4,5 mmHg in der Gruppe derer, die allein aus den Dosen getrunken hatten.
Die Arbeit von Bae und Hong steht im Kontext einer ganzen Reihe von Studien zu BPA. Vor 2 Jahren schon konnten dieselben Autoren in einer Studie mit 500 Patienten über einen Zeitraum von 2 Jahren beobachten, dass eine erhöhte BPA-Konzentration im Urin mit einem erhöhten Blutdruck assoziiert ist. Dass gesunde Menschen mit einer erhöhten BPA-Urinkonzentration häufiger eine Herzerkrankung entwickeln, fanden britische Forscher in einer Studie mit einem Beobachtungszeitraum von 10 Jahren heraus.
Von der BPA-Dosis abhängiger Bluthochdruck im Versuch mit Mäusen
Im Tierversuch mit Mäusen konnten spanische Wissenschaftler jetzt einen direkten, mit der BPA-Dosis korrelierenden Blutdruckanstieg nachweisen (130 mmHg vs 170 mmHg). Angiotensin II war dabei um das 1,7-fache erhöht und das endotheliale Protein Stickstoffmonoxid-Synthase (eNOS) – als wichtige lokale Stellschraube für den Gefäßtonus – um das 8,7-fache. Eine vor kurzem erschienene Übersichtsarbeit fasst die neuesten Forschungsergebnisse zum Einfluss von BPA auf das kardiovaskuläre System zusammen und weist vor allem auf den epidemiologischen Zusammenhang zwischen erhöhten BPA-Konzentrationen im Urin und Angina pectoris, Hypertonie und Herzinfarkt hin. Experimentelle Studien an Nagern belegen unter chronischer BPA-Exposition ein kardiales Remodelling, Atherosklerose und veränderten Blutdruck.
Aus der Sicht der Studienautoren passen ihre Ergebnisse in dieses Bild: „Ziel der vorliegenden Studie war es zu bestimmen, ob eine erhöhte BPA-Exposition durch den Konsum von Getränken aus Dosen direkt den Blutdruck erhöht und die Herzfrequenz beeinflusst“, schreiben sie und fordern als Konsequenz ihrer Ergebnisse: „Bedenkt man, dass Epoxidharz durch Dosennahrung allgegenwärtig ist, stellt ein damit verbundener Blutdruckanstieg ein substanzielles Gesundheitsrisiko dar. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den Einsatz von BPA zu vermeiden.“
Das gibt nach Ansicht von Kreutz die Validität der Studie aber nicht her, auch wenn sie gut gemeint war, hält der Blutdruckforscher fest: „Das Hauptergebnis basiert auf indirekt berechneten Daten, die mich nicht überzeugen.“ Aus den vorliegenden Rohdaten abzuleiten, dass im Vergleich zum Konsum aus Glasflaschen ein signifikanter Blutdruckanstieg erfolgt sei, könnte durchaus „statistischer Spielerei“ geschuldet sein, die Messungen selbst gäben das nicht wirklich her.
Unabhängig von den Rohdaten nennt Kreutz noch einen weiteren kritischen Aspekt – die Verblindung. Es bleibe unklar, wie sich eine Verblindung beim Trinken aus Glas und Dosen hätte sinnvoll bewerkstelligen lassen. „Wenn man weiß, dass die BPA-haltigen Dosen Schadstoffe abgeben können und Glasflaschen nicht, dann hat das schon einen Einfluss auf die Psyche, ob man aus einer Dose trinkt oder aus einer Glasflasche.“ So beeindruckend der Anstieg des Bishpenols im Urin auch gezeigt wurde, für Kreutz sind die Studienergebnisse im Hinblick auf die Blutdruckwirkung deshalb nicht überzeugend. Er sieht die Studie allerdings als Ansporn, einen möglichen direkten Einfluss von BPA auf den Blutdruck weiter zu untersuchen.
Im Zweifelsfall Glas
Für Hypertoniker lassen sich deshalb keine klaren Handlungsanweisungen im Umgang mit Plastik ableiten. „Die Risikobewertung der Industriechemikalie ist seit Jahren weltweit Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen“, so eine Mitteilung des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) zu BPA. Im Januar 2014 stufte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA das Risiko für die menschliche Gesundheit als „gering“ ein. Über Lebensmittel und Thermopapier nähmen Verbraucher maximal zwischen etwa 1 und 1,5 µg/kg Körpergewicht BPA auf. Aus Sicht der EFSA geht davon keine Gefahr aus.
Dennoch hat die Behörde aufgrund jüngster aussagekräftiger Studien zur Toxikokinetik empfohlen, den seit 2007 gültigen Grenzwert für die tägliche Aufnahme von 0,05 mg (50 µg/kg Körpergewicht) auf 0,005 mg (5 µg/kg Körpergewicht) zu senken. Als „wahrscheinlich“ stuft die Behörde gesundheitsrelevante Wirkungen von BPA auf Niere, Leber und Brustdrüse ein. Als „weniger wahrscheinlich“ wertet sie Effekte auf die Fortpflanzung, auf das Nerven-, Stoffwechsel-, Immun- und Herzkreislaufsystem. Auch erbgutverändernde und kanzerogene Wirkungen hält sie für „weniger wahrscheinlich“.
Die Crux für den Verbraucher: Er kann nicht erkennen, ob Konserven-oder Getränkedosen innen mit BPA beschichtet sind – denn eine Pflicht zur Kennzeichnung besteht nicht. Zum BPA-haltigen Polycarbonat vieler Verpackungen und Flaschen gibt es zwar Kunststoffalternativen, etwa aus Polypropylen und Polyethersulfon, die als „BPA-frei“ beworben werden. Doch auch die sind nicht ohne: Deren toxikologische Eigenschaften wurden nämlich bislang nicht so intensiv untersucht wie die von BPA, teilt das BfR mit. Im Zweifelsfall gilt: Glas bevorzugen.
REFERENZEN
1. Bae S, et al: Hypertension (online) 8. Dezember 2014.
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Diesen Artikel so zitieren: Bisphenol A aus Getränkedosen: Treibt es den Blutdruck hoch? - Medscape - 12. Dez 2014.
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