Gleichberechtigte Glimmstängel: E-Zigaretten müssen wie Tabakzigaretten reguliert werden

Gerda Kneifel

Interessenkonflikte

10. Dezember 2014

Heidelberg Die ersten E-Zigaretten kamen vor wenigen Jahren auf den Markt, heute sind sie fast überall erhältlich, an Tankstellen genauso wie in Super- und Drogeriemärkten. „Dort erhält auch ein Siebenjähriger an der Kasse problemlos E-Zigaretten für sein Geld", sagt Dr. Martina Pötschke-Langer, Leiterin der Stabstelle Krebsprävention und des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg. Denn Verkaufsverbote für Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland nicht.

Dr. Martina Pötschke-Langer

„In manchen elektronischen Zigaretten wurden keine gesundheitsschädigenden Stoffe nachgewiesen, andere enthalten ganz klar Kanzerogene, bringen also ein erhebliches Krebsrisiko mit sich. Wir fordern daher eine Gleichstellung von elektronischen und Tabak-Zigaretten und damit auch ein umfassendes Marketing- und Werbeverbot für E-Zigaretten", so Pötschke-Langer auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Deutschen Konferenz für Tabakkontrolle in Heidelberg [1].

Bekanntheitsgrad steigt

Das DKFZ hat bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse vor kurzem publiziert wurden [2]. Demnach stieg der schon im Jahr 2012 hohe Bekanntheitsgrad noch weiter an – am deutlichsten bei den 16- bis 19-jährigen Rauchern. Zwischen 2012 und 2013 kletterte er von 68% auf 100%, wo er auch im Jahr 2014 blieb. Unter allen Rauchern kannten 85% die E-Zigaretten. Unter Nichtrauchern haben 24% noch nie von E-Zigaretten gehört.

Die neuen Produkte werden der Befragung zufolge vor allem von jüngeren Menschen getestet. Knapp 10% der 16- bis 19-Jährigen und 11% der 20- bis 39-Jährigen haben die dampfenden Zigaretten bereits ausprobiert. Unter den 40- bis 49-Jährigen sind es 7%. Dauerhaftes Dampfen allerdings bleibt die Ausnahme.

Die Befragung zeigte zudem, dass die Inhalationsgeräte nur selten als Hilfsmittel zum Rauchstopp verwendet werden. Denn 83% der Ex-Raucher gaben an, ohne Hilfsmittel mit dem Rauchen aufgehört zu haben, 6% nutzten Nikotinersatzprodukte, 4% ärztliche Beratung und 3% Akupunktur oder Akupressur. Nur knapp 3% der Befragten erklärten, sich der E-Zigarette bedient zu haben.

Lifestyle-Produkte speziell für Jugendliche

In den vergangenen Jahren hat das Rauchen unter Jugendlichen deutlich an Coolness verloren. Einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge, rauchen nur noch 13% der 12- bis 17-Jährigen – 10 Jahre zuvor waren es noch mehr als doppelt so viele. Setzt sich dieser Trend fort, werden Tabakkonzerne in einigen Jahren ein massives Problem haben (wie Medscape Deutschland berichtete). Grund genug, sich etwas Neues einfallen zu lassen: die E-Zigarette.

 
Wir fordern … eine Gleichstellung von elektronischen und Tabak-Zigaretten und damit auch ein umfassendes Marketing- und Werbeverbot für E-Zigaretten. Dr. Martina Pötschke-Langer
 

Dass Tabakkonzerne mit diesem angeblich unbedenklichen Produkt  Kinder und Jugendliche massiv als neue Kunden zu gewinnen suchen, liegt auf der Hand – man braucht sich die Produkte nur etwas näher zu betrachten: Zwar gibt es auch die den Tabak-Zigaretten nachempfundenen E-Zigaretten, die sich an Raucher wenden, die gesünder qualmen wollen. Doch es gibt auch die anderen, die mit Strasssteinchen besetzten und Schnörkeln verzierten, rosafarbenen Verdampfer, die weniger erwachsene Frauen als Teenies anziehen dürften.

„Zum Teil bieten sie noch zusätzliche Gimmicks", berichtet Dr. Verena Viarisio, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stabstelle Krebsprävention und des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle im DKFZ. „Manche Inhalationsgeräte spielen Musik. Oder Sie können sich über sie anrufen lassen." Die bunten Dampfer mit ihren süßlich aromatisierten Liquids seien in Supermärkten bezeichnenderweise an der Kasse neben den Süßigkeiten eingeordnet.

 
Die Hersteller haben zwei Zielgruppen: Raucher und Jugendliche. Dr. Verena Viarisio
 

Und welcher Erwachsene möchte ein Rauchgefühl mit Aromen wie Gummibärchen, Schokolade oder Keks verbinden? Vielmehr könnten Jugendliche mit E-Zigaretten an das Ritual des Rauchens herangeführt werden, um dann möglicherweise irgendwann auf Tabak-Zigaretten umzusteigen, so die Befürchtung der Experten (wie Medscape Deutschland berichtete).

Die elektronischen Imitationen der üblichen Zigaretten kosten zwischen 5 und 12 Euro, so die DKFZ-Experten. „Und mittlerweile gibt es schon Nachfüllflüssigkeit für 15 Euro." Dabei entsprechen laut Herstellern 30 ml des sogenannten eLiquid rund 500 bis 600 Packungen Tabakzigaretten – Beträge also, die sich auch Jugendliche leisten können.

Marketingtricks der Industrie

Die Strategie der Tabakindustrie ist laut Pötschke-Langer und Viarisio eindeutig: Man will die E-Zigarette als harmlose Alternative zu Tabak-Zigaretten an den Mann, die Frau und das Kind bringen. Viarisio, die maßgeblich an einer DKFZ-Broschüre über das Marketing für E-Zigaretten mitgearbeitet hat, konkretisiert [3]: „Die Hersteller haben zwei Zielgruppen: Raucher und Jugendliche. Bei Rauchern werben sie damit, dass der Konsum billiger und gesünder ist und die Zigaretten weniger stinken. Für Jugendliche betonen sie den coolen Lifestyle und verkaufen ihnen ein hippes Produkt."

 
Gerade E-Shishas werden hauptsächlich auf dem Jugendmarkt beworben. Dr. Verena Viarisio
 

Und nicht nur, dass sie überall zu kaufen sind, Hersteller und Händler nutzen bei Jugendlichen beliebte Musik- und Volksfeste für Werbeaktionen. „Sogar als Sponsoren von Sportveranstaltungen treten sie auf, wo sie die E-Zigaretten zum Probieren anbieten. Hinterher erhält man einen Flyer mit Produktinformationen und den Verweis auf die Internetseiten des Händlers. Allein mit der Wahl des Mediums Internet ist den E-Zigarettenherstellern und -händlern ein junges Publikum sicher", so Viarisio.

Dort kann man sich in Foren und Blogs austauschen, seinen Lieblingsgeschmack kundtun oder Seiten mit Freunden teilen. „Das schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl", warnt Viarisio.

E-Shishas als Extramodell für Jugendliche

Auf Werbeplakaten und in Spots dampfen überwiegend sehr junge Menschen in cooler Umgebung, etwa im Abenteuerurlaub oder in einer Bar. Hersteller und Händler greifen dabei gerne auf bekannte Zigaretten-Werbemuster zurück, Anmutungen an die Marlboro-Reklame sind unverkennbar, aber auch Ärzte werden in der Werbung bemüht – E-Zigaretten und E-Shishas werden als harmloser Spaß beworben.

„Gerade E-Shishas werden hauptsächlich auf dem Jugendmarkt beworben", erklärt Viarisio. „Vom Design her sind sie etwas extravaganter, die Mundstücke sind den Shishas angeglichen und sie sind meist nikotinfrei. Aber im Grunde ist es nur eine spezielle Form von E-Zigaretten."

Wenn Händler und Hersteller von harmlosen Produkten sprechen, verschweigen sie wissenschaftliche Daten, denn Studien haben in eLiquids und Dampf neben Nikotin unterschiedliche Konzentrationen kanzerogener Substanzen gefunden – wie Nitrosamine, Formaldehyd, Acetaldehyd und Acrolein – sowie Schwermetalle wie Nickel und Chrom. Auch die lebensmittelechten Aromastoffe sind nicht für Inhalationen freigegeben. Welche Auswirkungen die Feinstpartikel auf die Atemwege und den Körper insgesamt haben, ist weitestgehend unbekannt (wie Medscape Deutschland berichtete).

 
Ich verstehe das nicht. Wollen die Politiker so lange warten, bis unsere Jugendlichen abhängig sind? Dr. Martina Pötschke-Langer
 

Politiker müssen handeln

Doch die Werbung ist nicht mehr nur auf das Internet beschränkt, seit kurzem gibt es erste Fernsehspots zu E-Zigaretten. Das zumindest soll sich ab Mai 2016 ändern: Bis dahin soll die Tabakrahmenrichtlinie der EU in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Sie sieht unter anderem ein Werbeverbot vor. „Aber die E-Zigarette braucht noch mehr Regulierung, als es durch die EU-Richtlinie geben wird", so Pötschke-Langer. Auch wenn derzeit in Deutschland noch der Probierkonsum dominiert: Pötschke-Langer und Kollegen fordern über die EU-Richtlinien hinaus eine Gleichstellung von E- und Tabak-Zigaretten, neben einem umfassenden Marketing-Verbot also ein Verkaufsverbot an Jugendliche.

Zudem müsse das Inhalationsgerät besteuert und der Schutz vor Emissionen sichergestellt werden. Dass der Dampf nämlich völlig ungefährlich ist, kann man beim DKFZ nicht bestätigen.

Und nicht zuletzt fordern die Wissenschaftler auch den Schutz der Umwelt vor den neuen Müllbergen. Plastik, Metall und Batterien gemischt mit fragwürdigen Flüssigkeitsresten: „Dieses Konstrukt ist Sondermüll. Ein Rücknahme- oder Entsorgungssystem muss gefunden werden", so Pötschke-Langer.

Bereits Anfang 2014 sind die Wissenschaftlerinnen des DKFZ auf die Bundesregierung und die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) zugegangen mit der dringenden Bitte, aktiv zu werden. Außer Absichtserklärungen, zumindest das Jugendschutzgesetz entsprechend anzupassen, ist bis heute nichts passiert. „Und das, obwohl auch die Eltern Sturm laufen. Ich verstehe das nicht. Wollen die Politiker so lange warten, bis unsere Jugendlichen abhängig sind?", beklagt sich Pötschke-Langer.

 

REFERENZEN:

  1. 1. Pressekonferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums im Rahmen der 12. Deutschen Konferenz für Tabakkontrolle, 3. Dezember 2014, Heidelberg

  2. 2. DKFZ: E-Zigaretten: Bekanntheit und Konsum in Deutschland 2012–2014, 2014

  3. 3. DKFZ: Marketing für E-Zigaretten in Deutschland, 2014

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....