Freude auf Knopfdruck – Tiefe Hirnstimulation für schwerst depressive Patienten

Dr. Erentraud Hömberg

Interessenkonflikte

8. Dezember 2014

Berlin – Noch gilt die Tiefe Hirnstimulation (THS) in dieser Indikation als experimentelles Verfahren. Aber es verspricht, besonders schwer beeinträchtigten und therapieresistenten depressiven Patienten eine neue Option, um aus ihrem Stimmungstief herauszufinden. Das zumindest lassen die Ergebnisse einer Phase-2-Studie vermuten, die Prof. Dr. Thomas Schläpfer erstmalig auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) vor stellte [1].

Prof. Dr. Thomas Schläpfer

„Rund ein Drittel aller Patienten mit einer Depression leidet auch nach der Behandlung mit Psychotherapie, Medikamenten und einer Elektrokrampftherapie weiterhin erheblich unter der Krankheit“, so der Studienleiter und stellvertretende Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. „Für diese Menschen könnte die Implantation eines ‚Hirnschrittmachers‘ eine sinnvolle Ergänzung darstellen.“

Bisher wurden hauptsächlich Patienten mit stark beeinträchtigenden Bewegungsstörungen wie der Parkinson‘schen Krankheit oder der Multiplen Sklerose mit der THS behandelt. Doch eine neue Sichtweise auf die Funktionalität des Gehirns legten nahe, dass diese Therapie auch bei der Depression wirksam sein könnte.

„Früher sah man die Ursache der Depression als Defekt der monoaminergen Neurotransmission. Aufgrund von neueren molekularen und bildgebenden Ergebnissen betrachten wir die Krankheit heute als Störung von Netzwerken, die affektive Reize verarbeiten und die an ganz verschiedenen Punkten dysfunktional sein können“, erläuterte Schläpfer.

Leichte Stromstöße aktivieren das Belohnungssystem

 
Rund ein Drittel aller Patienten mit einer Depression leidet auch nach der Behandlung mit Psychotherapie, Medikamenten und einer Elektrokrampftherapie weiterhin erheblich unter der Krankheit. Prof. Dr. Thomas Schläpfer
 

Gegenwärtig wird die THS bei psychiatrischen Patienten überwiegend in klinischen Studien bei extremen Formen von therapieresistenten chronischen Zwangsstörungen und Depressionen angewendet. Die dabei am meisten untersuchten Zielregionen im Gehirn sind der subgenuale zinguläre Kortex, der vordere Anteil der Capsula interna, der Nukleus accumbens und das mediale Vorderhirnbündel (medium forebrain bundle).

In einer stereotaktischen Operation werden dünne Elektroden in exakt festgelegte Areale des Gehirns implantiert und mit einem Impulsgeber verbunden, der in Brust oder Bauch eingesetzt wird. Die Stimulation erfolgt kontinuierlich mit Frequenzen zwischen 90 und 120 Hz, Pulsbreiten zwischen 60 bis 90 Mikrosekunden und einer Spannung zwischen 2 und 7 Volt. „Die Patienten merken nicht, ob das Gerät ein- oder ausgeschaltet ist. Daher eignet sich diese Methode auch sehr gut für Placebo-Studien und ebenso als Kombinationsbehandlung mit Medikamenten und Psychotherapie“, betonte der Psychiater.

Normalerweise bleibt das Gerät immer angeschaltet. Unterbleibt die Stimulation, kehren nach einiger Zeit die depressiven Symptome wieder zurück. „Die THS ist so etwas wie eine Krücke, auf die man nicht verzichten kann. Aber Menschen mit Diabetes brauchen auch ihr ganzes Leben Insulin.“ Bisher funktionierten die Batterien 4 bis 5 Jahre; die neuen aufladbaren Pulsgeber können mindestens 10 Jahre im Bauch- oder Brustraum verbleiben.

 
Die Patienten merken nicht, ob das Gerät ein- oder ausgeschaltet ist. Daher eignet sich diese Methode auch sehr gut für Placebo-Studien. Prof. Dr. Thomas Schläpfer
 

Anhedonie als Hauptsymtom der Depression

Mit der Stimulation im supero-lateralen Bereich des medialen Vorderhirnbündels konnten die bisher schnellsten und wirksamsten antidepressiven Effekte erzielt werden: Hier erreicht die Methode eine Erfolgsquote von 85% innerhalb weniger Tage. Das mediale Vorderhirnbündel ist zentraler Teil eines Euphorie-Schaltkreises, der einen Teil des Belohnungssystems im Gehirn darstellt. Bei positiven Reizen wird dieses System aktiviert und der Mensch empfindet Freude.

„Depressive Menschen hingegen sind unfähig, Freude zu empfinden. Diese Anhedonie ist das Hauptsymptom der Depression. Deshalb liegt unser Stimulationsziel am Ursprung des medialen Vorderhirnbündels, dem Ort in unserem Gehirn, der uns sagt, was gut ist“, so Schläpfer. „In unserer ersten Studie haben sieben von acht Patienten innerhalb weniger Tage angesprochen, d. h. sie zeigten bereits kurz nach der Operation wieder Interesse an ihrer Umgebung. Sie verhielten sich weder euphorisch noch manisch, sondern einfach nur völlig normal.“

Wirkungen, Nebenwirkungen und Wirkungsweise

In der neuen Phase-2-Studie wurden 16 therapieresistente Patienten, die in der Mehrzahl bis zu 60 frustrane Therapieversuche hinter sich hatten, placebokontrolliert mit THS behandelt. 12 davon haben gut respondiert – und das ohne relevante Nebenwirkungen. Allerdings, das räumte der Studienleiter selbst ein, gibt es wenig Erfahrung mit Nebenwirkungen, da die Anzahl der mit Tiefer Hirnstimulation behandelten depressiven Patienten bisher noch sehr gering ist.

Chirurgisch bedingt könnten oberflächliche Infektionen der Generatortasche auftreten, die aber gut antibiotisch behandelbar sind. Bei einem Patienten wurde bisher eine intrazerebrale Blutung beobachtet. Als mögliche stimulationsbedingte Nebenwirkungen zählte der Bonner Psychiater folgende Störungen auf: eine autonome Dysfunktion, Bewegungsstörungen, Parästhesien, Dysarthrie, Diplopie, Verschlechterung der Angstsymptomatik, Agitation oder eine Hypomanie.

Schläpfer forderte für die Psychiatrie „eine sorgfältige Dokumentation mit konsequenten Fallregistern, die unabhängig von einer Publizierbarkeit der Resultate Wirkungen und Nebenwirkungen aufzeichnen.“

 
Depressive Menschen hingegen sind unfähig, Freude zu empfinden. Diese Anhedonie ist das Hauptsymptom der Depression. Prof. Dr. Thomas Schläpfer
 

Der genaue Wirkmechanismus der THS ist bis heute nicht im Einzelnen bekannt. „Wahrscheinlich werden durch eine chronische und hochfrequente Stimulation spannungsabhängige neuronale Ionenkanäle inaktiviert und damit eine Wirkung auf die neuronale Transmission ausgeübt“, vermutete Schläpfer. „Diese Mechanismen führen dann möglicherweise zu einer ‚funktionellen Läsion‘, die analog dem Effekt von ablativen Interventionen wirkt.“

THS – ein spannendes Forschungsfeld

Ein komplexes Zusammenspiel ganz unterschiedlicher Gehirnareale in dysfunktionalen Netzwerken führt zu den krankheitstypischen Symptomen bei der Depression. Da die verschiedenen Zielareale, die bisher stimuliert wurden, in enger anatomischer und funktionaler Verbindung stehen, ist eine Überschneidung der Effekte vorstellbar. Dies erklärt auch, warum sich die THS in ganz unterschiedlichen Hirnregionen als (mehr oder weniger) wirksam erwiesen hat.

„Die tiefe Hirnstimulation ist nicht nur eine Therapiemethode, sie stellt auch eine spannende Forschungsplattform dar“, betonte der Neurowissenschaftler. „Sie ermöglicht uns neue neurophysiologische Einblicke, die unser Wissen über neurobiologische Grundlagen der Depression erweitern und damit Voraussetzungen für noch effektivere Therapieverfahren liefern können. Sie wird auch ganz sicher zu einer Entstigmatisierung psychiatrischer Patienten beitragen. Ich träume von einer Zeit, in der depressive Patienten sagen können: ‚Ich habe eine Dysfunktion in einem Netzwerk. Dagegen wurde etwas eingesetzt und jetzt geht es mir wieder gut‘.“

 

REFERENZEN:

  1. 1. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), 26. bis 29. November 2014, Berlin – Symposium: Innovative Therapiekonzepte bei Depression und Demenz am 27.11.2014; Pressekonferenz am 28.11.2014

 

Kommentar

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