
Dr. Catherine Mohr
San Diego – Würden Sie sich bei einem Roboter unter’s Messer legen? Zunehmend mehr Patienten antworten auf diese Frage mit „ja!“, und zunehmend mehr Chirurgen machen mit. Die Kontrolle behalten dabei aber immer noch letztere, wie Dr. Catherine Mohr, Senior Director of Medical Research for Intuitive Surgical auf der Exponential Medicine in San Diego erklärte. Im Gespräch mit Medscape Deutschland verrät die Ingenieurin und Ärztin, welche Rolle Roboter künftig in den Operationssälen spielen werden.
Medscape Deutschland: Ihr Unternehmen baut Roboter, die Chirurgen bei Operationen assistieren. Wann werden diese Roboter Chirurgen komplett ersetzen?
Dr. Mohr: Unsere Roboter sind nicht so, wie es sich viele vielleicht vorstellen – kein Terminator und auch keine andere Figur aus einem Hollywoodfilm. Unsere Roboter denken weder für sich selbst, noch handeln sie für sich selbst. Vielmehr sind sie eine Art Telepräsenz des Chirurgen im Körper des Patienten. Jede Bewegung innerhalb des Körpers ist ein präzises Duplikat der Bewegung, die der Chirurg außerhalb des Körpers mit seinen Händen vollzieht. Derzeit werden keine anatomischen Entscheidungen von Robotern gefällt.
Doch man sollte niemals nie sagen, besonders wenn man auf einer Konferenz wie der Exponential Medicine ist. Wir sehen definitiv dramatische Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ich könnte mir vorstellen, dass diese irgendwann in das klinische Decision-Making mit eingebunden wird. Künstliche Intelligenz könnte einem Chirurgen dabei helfen zu entscheiden, ob er das eine oder das andere tun soll, Informationen während der OP für ihn recherchieren oder seine Hände zu der Stelle leiten, an der ein Schnitt gemacht werden muss. Trotzdem bin ich der Meinung, dass der Chirurg immer der Handelnde bleiben wird.
Medscape Deutschland: Warum brauchen Chirurgen dann Roboter überhaupt?
Dr. Mohr: Der wesentliche Grund ist, dass die Patientenalle Vorteile einer Operation bekommen, ohne dass der Chirurg dabei einen großen Schnitt setzen muss. Denn der Operationsschnitt hat eigentlich keine andere Funktion, als die Hände des Chirurgen in Reichweite des Operationszieles zu bringen. Wenn wir also dieselbe therapeutische Prozedur auch mit einem kleinen Schnitt durchführen können, sollte dies das Standardverfahren werden. Das gesamte Spektrum der Chirurgie sollte, wenn möglich, minimalinvasiv erfolgen.
Medscape Deutschland: Aber kleine Schnitte gehen oft mit größeren Kosten einher. Kritiker beklagen schon jetzt, dass die Roboter-assistierte Chirurgie viel zu kostspielig sei.
Dr. Mohr: Man kann sie zumindest sehr teuer machen, indem man einen Roboter kauft, und ihn am Ende dann kaum nutzt. Wenn man ihn aber für viele Operationen nutzt – so wie es viele Krankenhäuser bereits tun – ist die Roboter-assistierte Chirurgie sehr kosteneffektiv und wettbewerbsfähig mit anderen Prozeduren wie offenen Eingriffen und der Laparoskopie. Der Vergleich zur offenen Chirurgie offenbart dabei sogar deutliche Vorteile. Mögliche Folgekosten – zum Beispiel durch eine erhöhte Zahl an Komplikationen und längere Liegezeiten – übersteigen die Kosten für die Anschaffung eines Roboters bei Weitem. Nicht ganz so klar sind die Einsparungen im Vergleich zur Laparoskopie. Beide Verfahren haben vielfach dieselben Vorteile. Meiner Meinung nach ist die Roboter-assistierte Chirurgie zurzeit deshalb eher eine gleichwertige Alternative zur Laparoskopie. Aber ich glaube, dass beide Verfahren die offene Chirurgie ablösen werden.
Medscape Deutschland: Sie sagen, man sollte die Roboter-assistierte Chirurgie so oft wie möglich verwenden. Welches sind denn die wichtigsten Indikationen?
Dr. Mohr: Bei der Einführung des Verfahrens wurden die Roboter klassischerweise zur Prostataektomie genutzt. Seit einiger Zeit finden sie zusätzlich bei gynäkologischen Operationen Anwendung. Mittlerweile werden Roboter sogar häufiger bei gynäkologischen als bei Operationen an der Prostata genutzt, beispielsweise bei der Operation von Myomen oder der eines Beckenbodenprolaps. Diese Indikationen sind deshalb so gut für das Verfahren geeignet, weil sie meist wiederherstellende Maßnahmen beinhalten, bei denen die Funktion von Organstrukturen möglichst unverletzt bleiben soll. Hier entscheidet die Präzision – eine der wesentlichen Stärken der Roboter-assistierten Chirurgie.
In der Allgemeinchirurgie ist das Verfahren allerdings noch nicht weit verbreitet. Das lag zunächst vor allem daran, dass das Roboter-System nicht über die Grenzen von Quadranten hinaus arbeiten konnte und nicht so vielseitig wie die Laparoskopie war. In isolierten Arealen wie dem Uterus oder der Prostata funktionierte es gut, nicht aber, wenn der Chirurg über ein größeres Areal hinaus agieren musste. Unsere neue Version hat diesen Nachteil nun überwunden und soll zunehmend auch bei Eingriffen der Allgemeinchirurgie zum Einsatz kommen.
Wir arbeiten außerdem transoral. Der Eingriff nach Steiner ist berühmt, aber technisch sehr schwer umzusetzen. Einer der vorrangigen Vorteile seiner Technik ist es, dass der Kiefer intakt bleibt. Ein Nachteil ist, dass Steiner’s Technik die Fertigkeiten vieler Chirurgen übersteigt. Mit Hilfe von Robotern kann dieses Problem überwunden werden. Die Vielzahl an Instrumenten kann problemlos tief in den Oropharynx eingebracht werden – allerdings auf ergonomisch viel komfortablerem Weg.
Medscape Deutschland: Bildgebende Verfahren gehen Hand in Hand mit der Roboter-assistierten Chirurgie, und machen darüber hinaus die Arbeit von Chirurgen sehr viel einfacher. Wie interagiert die Bildgebung mit Ihrem chirurgischen System?
Dr. Mohr: Fluoreszierende Moleküle erfüllen bereits jetzt einen großen Nutzen in der Chirurgie. So macht intravenös appliziertes Indozyanin-Grün (ICG) den Verlauf von Blutgefäßen sichtbar. Man kann so erkennen, ob eine Struktur hinreichend durchblutet ist, und damit abschätzen, ob sie einen chirurgischen Eingriff überleben wird. ICG wird außerdem von der Leber aufgenommen, und über die Gallenwege ausgeschieden. Chirurgen können so auch den Verlauf der Gallenwege sichtbar machen und damit verhindern, essentielle Gallengänge bei einem Eingriff zu verletzen. All dies verhindert weitreichende Komplikationen.
Fluoreszierende Moleküle können außerdem mit Antikörpern oder speziellen Rezeptoren kombiniert werden. Sind diese für eine Krebsart spezifisch, dann kleben und akkumulieren diese Moleküle an der Tumoroberfläche. So können selbst kleine Tumore oder Überbleibsel nach einem Eingriff sicher identifiziert werden. Wenn es leuchtet, dann ist es Krebs, wenn es nicht leuchtet, dann nicht. Und bleibt irgendein Leuchten zurück, dann bleiben auch Krebszellen im Körper zurück. Somit lässt sich feststellen, ob eine Operation vollständig war, oder ob – um bestimmte Nerven oder Blutgefäße zu schützen – bestimmte Teile zurückgelassen werden müssen.
Wir nutzen für diese Zwecke Fluoreszenzen nahe des Infrarot-Bereichs – eine spannende Wellenlänge! Mit dem bloßen Auge lässt sich ihr Leuchten nicht erkennen, aber wir können es mit Hilfe unserer Kameras sichtbar machen. Zugleich ist der menschliche Körper für diese Wellenlängen sehr transparent. Somit ist es möglich, tief in das Körpergewebe hineinzusehen.
Medscape Deutschland: Welches sind weitere große Hoffnungen und Herausforderungen der Chirurgie der Zukunft?
Dr. Mohr: Ich hoffe, dass wir Chirurgen zunehmend dazu aufgefordert werden, Eingriffe minimal-invasiv durchzuführen; dass uns neue Technologien dabei helfen werden, zunehmend weniger Spuren nach einem chirurgischen Eingriff zu hinterlassen. Wünschenswert wäre es außerdem, dass Krebs künftig bereits dann diagnostiziert wird, wenn der Tumor noch klein und chirurgisch heilbar ist. Zusätzlich werden bildgebende Verfahren hoffentlich dazu beitragen, eine vollständige Heilung zu bestätigen – und zwar noch bevor wir die Operationswunde wieder vernäht wird. All das sind Herausforderungen, denen wir uns gerne in den nächsten Jahren stellen wollen.
Medscape Deutschland: Wir danken herzlich für das Gespräch.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: RoboDocs im OP: Was der Roboter dem Chirurgen nützt - Medscape - 5. Dez 2014.
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