
Dr. Helmut Kleinwechter
Eine Ernährungsintervention ist bei Schwangeren mit Gestationsdiabetes der erste und wichtigste Therapieansatz. „Einer aktuellen Metanalyse zufolge sollten betroffene Frauen vor allem über die Vorteile einer Kost mit niedrigem glykämischem Index aufgeklärt werden“, sagt Dr. Helmut Kleinwechter vom Diabetologikum Kiel [1]. „Denn eine solche Ernährungsweise senkte in den untersuchten Studien sowohl den Bedarf an einer Insulintherapie als auch das Geburtsgewicht des Kindes.“
„Die Ergebnisse sind überraschend und neu“, betont der Erstautor der deutschen Leitlinie zum Gestationsdiabetes mellitus. Zwar wird auch in der Leitlinie der Verzicht auf schnell resorbierbare Kohlenhydrate mit hohem glykämischen Index (GI) erwähnt. Zu den Lebensmitteln mit niedrigem GI gehören beispielsweise Joghurt, Linsen, Soja, Äpfel, Kartoffeln und Vollkornbrot. Vor allem aber wird empfohlen, den Kohlenhydratanteil in der Ernährung auf 40 bis 45% zu begrenzen.
Adipösen Frauen (BMI vor der Schwangerschaft ≥ 30 kg/m2) wird in der Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus zudem zu einer moderaten Kalorienreduktion um etwa ein Drittel des Tagesbedarfs geraten, um die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft zu regulieren.
In dem systematischen Review mit Metanalyse verglichen Dr. Luciana Verçoza Viana und Kollegen von der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul im brasilianischen Porto Alegre 3 Ernährungsinterventionen bei Gestationsdiabetes. „Die Analyse zeichnet sich dadurch aus, dass die Autoren nicht nach der Beeinflussung des Blutzuckers, sondern nach Endpunkten der Schwangerschaft geschaut haben“, sagt Kleinwechter. Untersucht wurden auf mütterlicher Seite der Anteil an Frauen, die eine Insulintherapie oder einen Kaiserschnitt benötigten und auf Seite des Kindes Makrosomie, Hypoglykämie und Geburtsgewicht.
GI, Kalorien oder Kohlenhydrate – was ist entscheidend?
Eingeschlossen wurden 9 randomisiert-kontrollierte Studien mit insgesamt 884 Teilnehmerinnen. Die Frauen waren 28 bis 33 Jahre alt und befanden sich in der 24. bis 30. Schwangerschaftswoche, als bei ihnen Gestationsdiabetes diagnostiziert wurde. Die per Metanalyse untersuchten Ernährungsinterventionen waren: Ernährung mit niedrigem GI, Kalorienrestriktion und Kohlenhydratrestriktion. Eine einzelne Studie untersuchte eine Ernährungsweise, die sich an der ethnischen Herkunft der Teilnehmerinnen orientierte.
Der GI-Wert in den Ernährungsinterventionen mit niedrigem GI lag im Mittel bei 48,9 – verglichen mit 53,5 in den Kontrollgruppen. Frauen, die sich bei der Ernährung am GI orientierten, benötigten seltener eine Insulintherapie und brachten weniger schwere Kinder zur Welt. Kalorien- und Kohlenhydratrestriktion sowie die ethnisch orientierte Ernährung hatten keinen Effekt auf die untersuchten Endpunkte.
Praxisrelevante Verbesserungen bei niedrigem GI
„Der Anteil an Frauen, die mit Insulin behandelt werden mussten, sank um 13 Prozent, das Geburtsgewicht im Mittel um 162 Gramm, eine Größenordnung, die für die Praxis relevant ist“, sagt Kleinwechter. „Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 30.000 Schwangere an Gestationsdiabetes, 20 Prozent davon benötigen eine Insulintherapie. Wenn man von der teuren Insulintherapie 13 Prozent durch eine kostenlose Ernährungsintervention einsparen kann, ist das natürlich von Vorteil.“
„Bei adipösen Schwangeren würde ich weiterhin eine moderate Kalorienrestriktion empfehlen, um eine übermäßige Gewichtszunahme zu vermeiden. Zusätzlich können sie, wie die aktuellen Daten zeigen, von einer Ernährung mit niedrigem GI profitieren“, schlussfolgert Kleinwechter. „Normalgewichtige und nur leicht übergewichtige Schwangere sollten bei der Ernährungsberatung dagegen vor allem über die Bedeutung eines niedrigen GI aufgeklärt werden.“
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Ernährung bei Gestationsdiabetes: Niedriger glykämischer Index schlägt Kalorien- und Kohlenhydratrestriktion - Medscape - 2. Dez 2014.
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