E-Zigaretten sind umstritten. Gegner verweisen auf unbekannte gesundheitliche Folgen und Einstiegsanreize für Jugendliche, während Befürworter hoffen, damit Rauchern den Ausstieg aus dem Nikotinkonsum zu erleichtern.
Dr. Jessica L Barrington-Trimis, Department of Preventive Medicine der University of Southern California in Los Angeles, bringt nun im Journal of The American Medical Association (JAMA) die Aromastoffe als Gefahrenquelle ins Gespräch [1]. „Aromastoffe sind eine weithin unbeachtete potentielle Gefahr der elektronischen Nikotin-Inhalationsgeräte”, moniert sie.

Dr. Tobias Rüther
„Ich bin froh, dass einmal jemand dieses Thema so konkret anspricht”, kommentiert Dr. Tobias Rüther, Leiter der Spezialambulanz für Tabakabhängigkeit, Ludwig-Maximilians-Universität München. Als Mitglied der S3-Leitlinienkommission Tabakabhängigkeit der AWMF und Vorstand der Deutschen Gesellschaft der Suchtmedizin (DGS) e.V. warnt der Mediziner: „Es gibt Tausende von Aromastoffen für E-Zigaretten, die zwar lebensmittelecht, aber nur für die orale Aufnahme getestet sind. Wie sie auf die Atemwege wirken, ist weitestgehend unbekannt. Aber dass sie nicht ganz ungefährlich sind, zeigen Berichte von allergischen Reaktionen.”
Feinstpartikel gelangen auch ins Blut
E-Zigaretten sind seit nicht einmal 10 Jahren auf dem Weltmarkt erhältlich. Sie funktionieren nach demselben Prinzip wie Nebelmaschinen in Diskotheken: Ein elektrisch erhitztes Gerät verdampft eine Flüssigkeit, in diesem Fall die E-Liquids. Der entstehende Dampf, das Aerosol, wird von den Nutzern inhaliert. Die E-Liquids enthalten neben Nikotin zunehmend eine unüberschaubare Fülle von Aromastoffen.
Laut Barrington-Trimis gibt es mittlerweile knapp 7.800 verschiedene Geschmackssorten für nikotinhaltige Inhalationsgeräte (ENDS, electronic nicotine delivery systems): von Kirsche, Orange-Minze und Wassermelone über Vanille, Schokolade und Apfelkuchen bis hin zu Tropical Smoothie, Cola und Tabak. Von Zusatzstoffen wie Menthol, Koffein, Weingeist oder auch Süßungsmitteln und Farbstoffen ganz zu schweigen.

Prof. Dr. Robert Loddenkemper
Zuständig für die Prüfung der Unbedenklichkeit von Aromastoffen, von denen viele auch in E-Zigaretten verwendet werden, ist in den USA die Flavor and Extract Manufacturers Association (FEMA). Derartige Tests beziehen sich allerdings laut Barrington-Trimis nur auf die Verwendung in Lebensmitteln, also für eine Aufnahme über den Magen-Darm-Trakt. Rückschlüsse auf die Inhalation könnten daraus nicht gezogen werden. „Aromastoffe sind ultrafeine Aerosole, die tief in die Lunge eindringen”, erläutert die Autorin. „So können respiratorische Toxine eine Gefahr für die Gesundheit der Dampfer darstellen.”
Und damit nicht genug. Prof. Dr. Robert Loddenkemper, der die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie in dem Fachgesellschafts-übergreifenden Aktionsbündnis Nichtrauchen (ABNR) e.V. vertritt, erläutert: „In dem JAMA-Artikel geht es um Gefahren für die Atemwege. Aber es ist noch mehr als das. Die aufgenommenen Substanzen sind feinste Partikel, die auch ins Blut aufgenommen werden. Dort können sie zytotoxisch zum Beispiel auf das Herz wirken.”
Diacetyl führt zu Lungenerkrankungen
Einer der hauptverdächtigen Chemikalien ist Diacetyl (2,3-Butandion). Es soll Lebensmitteln einen cremigen oder buttrigen Geschmack verleihen. Inhaliert man hohe Dosen dieser sowohl von der FEMA als auch der Food and Drug Administration (FDA) als sicher eingestuften Substanz, kann das eine akute Bronchiolitis obliterans hervorrufen.
Diese irreversible obstruktive Lungenerkrankung zeigte sich laut Barrington-Trimis erstmals bei Arbeitern in einer Produktionsanlage für Mikrowellen-Popcorn, die Diacetyl-haltige Aromastoffe inhaliert hatten – auch wenn nicht abschließend bewiesen werden konnte, dass Diacetyl die Lungenerkrankung auslöste oder ein Marker für andere gefährliche Substanzen war. In den USA wird daher eine zeitbezogene maximale Exposition von 5 ppb (parts per billion) über 8 Stunden empfohlen. Doch „einklagbare Sicherheitsstandards bezüglich Diacetyl gibt es bis heute nicht”, moniert die Autorin.
Die Forschung nimmt sich jedoch zunehmend der Inhaltsstoffe elektronischer Zigaretten an. In diesem Jahr zum Beispiel untersuchten Wissenschaftler in einer Studie 159 süßlich aromatisierte ENDS auf die toxisch wirkenden Substanzen Diacetyl (DA) und Acetyl Proprionyl (AP). Die Substanzen wurden in 74,2% aller E-Liquids nachgewiesen. Diacetyl und AP waren dabei in Flüssigkeit und Aerosol in gleichen Konzentrationen enthalten. Zwar war die Exposition bei weitem nicht so ausgeprägt wie bei den üblichen Tabakzigaretten, dennoch, so das Resultat der Autoren, überschritten die Konsumenten bei 47.3% der DA-haltigen und bei 41.5% der AP-haltigen E-Zigaretten die Sicherheitsstandards.
Atemwegsreizungen treten im Übrigen auch durch den Grundstoff der E-Liquids auf, das Propylengkykol (PG), eine bereits bekannte Substanz. „Im Theater wird Propylenglykol verwendet, um das Rauchen zu simulieren”, erzählt Loddenkemper. „Daher weiß man schon länger, dass es Augen- und Atemwegsreizungen und Husten verursachen kann. Auch kann sich die Lungenfunktion verschlechtern, und es gibt Hinweise darauf, dass Asthmatiker besonders betroffen sein könnten.“
Untersuchungen in Bayern haben darüber hinaus gezeigt, dass ausgeatmete Aerosole auch die Umgebungsluft verunreinigen und damit zu „Passivdampfen” führen können. Nicht zuletzt, bemängelt Loddenkemper, fehlten bislang Untersuchungen zu den langzeitigen Gesundheitsgefahren.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Nur heißer Dampf oder echte Gefahr? Tausende von Aromastoffen in E-Zigaretten - Medscape - 27. Nov 2014.
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