Ein neuer bahnbrechender Erfolg in der Gentherapie der Hämophilie B: In einer Phase-1-Studie mit 10 schwer an Hämophilie B Erkrankten führte eine einzige Dosis des Adenovirus-assoziierten AAV8-Vektors zur Langzeit-Expression des Gerinnungsfaktors IX. Dies war mit einer starken klinischen Verbesserung der Blutungsepisoden assoziiert. Über eine Beobachtungszeit von bis zu 3 Jahren sind bislang keine späten toxischen Effekte der Therapie verzeichnet worden. Die Ergebnisse dieser aktuellen Studie sind im New England Journal of Medicine publiziert.

Dr. Robert Klamroth
„Schon in den 90ern haben Fachkreise innerhalb von fünf bis zehn Jahren eine Gentherapie für Hämophilie erwartet und es hat sich nie realisiert. Die Resultate dieser aktuellen Studie und der Vorläuferstudie sind wirklich bahnbrechend, so dass ich guten Gewissens sage: Diese Gentherapie wird wahrscheinlich funktionieren“, kommentiert Dr. Robert Klamroth, Chefarzt des Zentrums für Hämophilie und Hämostaseologie des Vivantes Klinikums im Friedrichshain in Berlin, die Ergebnisse gegenüber Medscape Deutschland. „Die Studie zeigt, dass bei vielen Patienten ein langfristiger, womöglich jahrelanger Effekt da ist, was den Faktor IX angeht“, so Klamroth.
Gentherapie-Versuch mit anderem Vektor gescheitert
Bei der Hämophilie B verursacht bekanntlich ein X-chromosomaler Gendefekt einen Mangel oder das Fehlen des Faktors IX (Christmas Faktor), einem Protein der Gerinnungskaskade. Meist erkranken Männer. Die Hämophilie wird als schwer eingestuft, wenn die Faktor-IX-Aktivität weniger als 1% des Normalwerts beträgt. Symptome sind häufige spontane, teils lebensbedrohliche Blutungsepisoden, die mit Schmerzen verbunden sind und zu irreversible Gelenkschäden führen können. Bei der herkömmlichen Therapie wird den Patienten Faktor IX alle 2 bis 3 Tage intravenös injiziert.
Die Hämophilie B stellt ein ideales Ziel für eine Gentherapie dar, da bereits eine moderate Erhöhung der Faktor-IX-Aktivität auf über 1% des Normalwertes zu einer starken klinischen Verbesserung führt.
Bei der somatische Gentherapie für Hämophilie B werden intakte Kopien des Gens mithilfe des AAV8-Vektors transferiert. Dies führt dazu, dass körpereigene Leberzellen kontinuierlich Faktor IX produzieren.
Ein früherer Gentherapie-Versuch, bei dem allerdings der Vektor AAV2 verwendet wurde, war vor einigen Jahren gescheitert. Die Wissenschaftler hatten nur vorübergehend erhöhte Faktor-IX-Werte bei den 7 Patienten erreicht. Der Vektor AAV2 hatte dann vermutlich eine Immunreaktion im Körper der Studienteilnehmer ausgelöst, was eine Zerstörung aller transduzierten Leberzellen zur Folge hatte.
Transgene Expression des Faktors IX auf Dauer sicher und wirksam
Prof. Dr. Amit Nathwani von der Abteilung Hämatologie am University College London und Kollegen evaluierten nun, wie dauerhaft und stabil die transgene Expression von Faktor IX war, die Dosis-Wirkungs-Beziehung und die langfristige Sicherheit der Gentherapie mit AAV8 bei 10 Patienten mit schwerer Hämophilie B.
6 Patienten hatten bereits an dem Vorläuferprojekt, einer Dosis-Eskalations-Studie der Phase 1, teilgenommen, deren Ergebnisse vor mehr als 2 Jahren publiziert wurden.
Von diesen 6 Patienten erhielten je 2 einmalig entweder eine niedrige Dosis (2×1011 Viruspartikel/kg Körpergewicht), eine mittlere (6×1011 Viruspartikel/kg) oder hohe Dosis (2×1012 Viruspartikel/kg) des Adeno-assoziierten Virus vom Serotyp 8 (AAV8) intravenös infundiert. 4 zusätzliche Patienten bekamen ebenfalls die hohe Dosis. Der Verlauf der Therapie wurde klinisch und anhand von Laboruntersuchungen überwacht.
Vor der Behandlung lag die körpereigene Faktor-IX-Aktivität aller Patienten unter 1%. Eine einzige intravenöse Infusion des Vektors bewirkte bei allen 10 Patienten einen von der Dosis abhängigen Anstieg des Faktors IX im Blut bis zu Werten zwischen 1% und 6% der normalen Faktor-IX-Aktivität über einen mittleren Zeitraum von 3,2 Jahren. Die Beobachtungen laufen derzeit weiter.
Bei den Patienten mit niedriger oder mittlerer Vektor-Dosis führten die gentherapierten Leberzellen nur zu einem moderaten Anstieg der Faktor IX-Werte von 1 bis 3%. Bei der Gruppe mit hoher Dosis waren die Verbesserungen jedoch deutlicher: Bei allen 6 Patienten stiegen die Faktor IX-Werte auf durchschnittlich 5,1% ± 1,7%. Dadurch verringerten sich in der Hochdosisgruppe sowohl die Blutungsepisoden um 94% als auch der prophylaktische Verbrauch des Faktor-IX-Konzentrats um 96%. Die Autoren schätzen die finanziellen Ersparnisse an Faktor-IX-Konzentrat aufgrund der erfolgreichen Gentherapie bei den 10 Patienten insgesamt auf 2,5 Millionen US Dollar.
Nur geringe Nebenwirkungen der Gentherapie mit AAV8
„Ein Nachteil dieser Gentherapie ist, dass der verwendete Adenovirus-assoziierte Vektor eine Art Leberentzündung verursachte“, berichtet Klamroth. Die Patienten benötigten Kortison, um diese Immunreaktion zu unterdrücken. „Auf den Output der Faktor-IX-Produktion hatte dies aber keinen Einfluss, was ja schon einmal günstig ist“, so Klamroth.
Bei 4 der 6 Patienten in der Hochdosis-Gruppe kam es zu einem vorübergehenden Anstieg der Leberenzyme: Der durchschnittliche Alanin-Aminotransferase-Wert stieg auf 86 IU/l (36 bis 202) zwischen Woche 7 und 10 der Therapie. Nach einer Behandlung mit Kortison von durchschnittlich 5 Tagen (2 bis 35) normalisierten sich die Werte allerdings wieder.
Die Gentherapie erwies sich ansonsten als sicher. Das Vektor-Genom war jedoch in Speichel, Urin, Samen, Stuhl und Blutplasma der Patienten bis zu 6 Wochen nach dem Gentransfer nachweisbar. Keiner der Patienten klagte über neue Symptome, auch nicht solche einer Virusinfektion (wie etwa Fieber, Schwitzen, Muskelschmerzen etc.).
Ein zweites Problem der Behandlung ist laut Klamroth, dass bei etwa einem Drittel der Patienten möglicherweise die Therapie nicht geeignet ist, da Antikörper gegen den als Vektor verwendeten Virus in der Normalbevölkerung verbreitet sind. „Wir müssen abwarten, ob das der optimale Vektor bleibt. Man sollte eventuell einen anderen Vektor verwenden, beispielsweise AAV5 anstelle von AAV8“, erklärt Klamroth.
Neue Therapie auch in Deutschland unter Studienbedingungen anwendbar
Nach Einschätzung Klamroths wird die neue Therapie auch in Deutschland unter Studienbedingungen anwendbar sein. Wichtig, so Klamroth, sei aber vor allem die Sicherheit einer Therapie für die Patienten „Wir haben ja momentan eine Hämophilie-B-Therapie, die sicher und effektiv, aber für den Patienten aufwendig ist.“ Von den Resultaten die bisher vorliegen ist die Gentherapie, was Sicherheitsaspekte angeht, jedoch vielversprechend“, sagt Klamroth. „Das System Gentherapie der Hämophilie B ist jetzt so ausgereift, dass es schon in die Phase startet, wo es um die Zulassung geht“, meint Klamroth.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Bahnbrechender Erfolg bei Hämophilie B: „Diese Gentherapie wird wahrscheinlich funktionieren“ - Medscape - 25. Nov 2014.
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