Ob für Gewicht, Blutdruck oder Blutzucker – Referenzwerte sind wichtige Orientierungspunkte in der ärztlichen Praxis, denn sie können auf erhöhte Risiken für bestimmte Krankheiten hinweisen. Für Erwachsene liegen Referenzwerte umfangreich vor, aber wie sieht es bei Kindern aus?

Prof. Dr. Wolfgang Ahrens
Die vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführte repräsentative Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen KiGGS lieferte bereits Referenz-Perzentile für anthropometrische Parameter wie Körpergröße, Gewicht, Body-Mass-Index (BMI) sowie Kopf- und Hüftumfang. „Doch noch immer standen Pädiater häufig vor dem Problem, dass Referenzwerte für klinische Routine-Blutparameter entweder fehlten oder von zu schlechter Qualität waren, um den Gesundheitszustand eines Kindes zu beurteilen, insbesondere wenn das Kind noch jung ist“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Ahrens vom Leibniz-Institutfür Präventionsforschung undEpidemiologie (BIPS) in Bremen gegenüber Medscape Deutschland.
Diese Lücke schließen nun die kürzlich in einem Sonderband des International Journal of Obesity veröffentlichten Ergebnisse der IDEFICS-Studie (Identification and prevention of Dietary- and lifestyle-induced health Effects in Children and infantS) [1]. In 8 europäischen Ländern sind dafür mehr als 18.000 Kinder im Alter von 2 bis 11 Jahren anhand eines standardisierten Protokolls und mit denselben Techniken untersucht worden.
„Die untersuchten Parameter wurden vor allem danach ausgewählt, ob man damit ernährungs- und lebensstilbedingte Erkrankungen bei Kindern untersuchen kann, mit einem speziellen Fokus auf Übergewicht, Adipositas und dadurch bedingte Krankheiten“, erklärt Ahrens, der das IDEFICS-Projekt leitet. „Den Ärzten stehen nun Referenzkurven zur Verfügung, um frühzeitig Stoffwechselentgleisungen bei Kindern zu identifizieren.“
Insulin, Glukose und HBA1c
In einer Referenzpopulation von 7.074 normalgewichtigen Kindern zwischen 3 und 10,9 Jahren zeigte sich, dass Insulin, Nüchternglukose und HOMA-IR – ein Maßstab für die Insulinsensitivität – mit dem Alter stiegen. Der HbA1c-Wert veränderte sich allerdings bis zum 8. Lebensjahr kaum und begann erst dann anzusteigen. Mädchen hatten unabhängig vom Alter im Allgemeinen höhere Insulin- und HOMA-IR-Werte als Jungen. Bei den Jungen waren die Glukosewerte immer etwas höher [2].
Die Nüchtern-Insulinwerte lagen laut IDEFICS-Auswertung im Alter von 3 bis 3,5 Jahren bei 2,4 mU/l (17,4 pmol/l; Mädchen) bis 1,8 mU/l (13,2 pmol/l; Jungen). Im Alter von 10,5 bis 11 Jahre betrugen sie dann 7,4 mU/l (53,5 pmol/l; Mädchen) bis 6,0 mU/l (43,0 pmol/l; Jungen).
Die Nüchtern-Glukosewerte in der jüngsten Altersgruppe lagen bei 77,48 mg/dl (4,3 mmol/l) bzw. 81,08 mg/dl (4,5 mmol/l) und stiegen bis auf 88,82 mg/dl (4,93 mmol/l) bzw. 91,17 mg/dl (5,06 mmol/l) bei den ältesten Mädchen und Jungen an.
Der HOMA-IR rangierte von 0,5 bzw. 0,4 bei den 3-bis-3,5-jährigen Mädchen und Jungen bis zu 1,7 bzw. 1,4 bei den 10,5-bis-11-Jährigen.
Im Alter von 3 Jahren hatten Mädchen einen HbA1c-Wert von 4,6% (26,8 mmol/mol) und Jungen von 4,7% (27,9 mmol/mol). Im Alter von 8 Jahren hatten beide Geschlechter einen HbA1c von 4,8% (29,0 mmol/mol). Dann stiegen die Werte im Alter von 10,9 Jahren leicht auf 5,3% (34,4 mmol/mol) bei Mädchen und 5,2% (33,3 mmol/mol) bei Jungen an.
HDL, LDL, Triglyzeride
Bei 13.579 nicht adipösen Kindern (2 bis 10,9 Jahre) wurden im Nüchternblut HDL-, LDL- und Gesamtcholesterin sowie die Triglyzeride und die Triglyzerid/HDL-Cholesterin-Konzentration bestimmt [3].
Die HDL-Cholesterinwerte zeigten mit zunehmendem Alter einen Trend nach oben, blieben aber ab dem 7. Lebensjahr relativ stabil. Für LDL- und Gesamtcholesterin wurden in IDEFICS lineare, aber kleine altersbedingte Trends nach oben beobachtet. Die Gesamt-/HDL-Cholesterin-Konzentration nahm zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr graduell ab und blieb danach relativ stabil. Für die Triglyzeridwerte fanden die Wissenschaftler keinen Alterstrend.
Jungen hatten im Durchschnitt der 2- bis 10,9-Jährigen höhere HDL-Cholesterinwerte als Mädchen – 54,59 mg/dl (1,414 mmol/l) verglichen mit 52,82 mg/dl (1,368 mmol/l). Gesamt- und LDL-Cholesterin sowie Gesamt-/HDL-Cholesterinwerte und Triglyzeride waren bei den Jungen dagegen niedriger als bei den Mädchen.
Im Durchschnitt der 2- bis 10,9-Jährigen hatten Jungen ein Gesamtcholesterin von 153,71 mg/dl (3,981 mmol/l) und Mädchen von 157,80 mg/dl (4,087 mmol/l). Das LDL-Cholesterin lag bei den Jungen bei 88,69 mg/dl (2,297 mmol/l) und bei den Mädchen bei 94,01 mg/dl (2,435 mmol/l).
Die Rate von Gesamt- zu HDL-Cholesterin betrug bei den Jungen 2,84, bei den Mädchen 3,01. Die Triglyzeridlevel der Jungen lagen bei 45,04 mg/dl (0,509 mmol/l), die bei den Mädchen bei 47,96 mg/dl (0,542 mmol/l).
Blutdruck
Auch Blutdruckwerte wurden in der IDEFICS-Studie gemessen. „Blutdruck-Referenzwerte wurden zwar auch in KiGGS gemessen, doch wir haben eine neuere statistische Methode verwendet, die mehr Kovariablen berücksichtigt“, berichtet Ahrens. Denn gerade für den Blutdruck spiele nicht nur das Alter, sondern vor allem die Körpergröße eine entscheidende Rolle.
Der Blutdruck wurde in IDEFICS für eine Untergruppe von 13.547 normalgewichtigen Kindern ermittelt. Die Alterspanne reichte von 2 bis 10,9 Jahren [4]. Die diastolischen Blutdruckwerte waren bei Mädchen gleichen Alters und gleicher Körpergröße etwas höher als bei Jungen. So hatten beispielweise 10- bis 11-jährige Mädchen bei einer Körpergröße von 1,43 m einen durchschnittlichen diastolischen Blutdruck von 67 mmHg, während er bei etwa gleichgroßen gleichaltrigen Jungen bei durchschnittlich 65 mmHg lag.
Die systolischen Werte waren dagegen ab dem 5. Lebensjahr bei den Jungen etwas höher als bei den Mädchen. So hatten 5- bis 6-jährige Jungen durchschnittlich einen systolischen Blutdruckwert von 99 mmHg, Mädchen von 98 mmHg.
Beim Vergleich der Gesamtgruppe, zu der auch übergewichtige und adipöse Kinder gehörten, mit der Untergruppe der normalgewichtigen Kinder zeigte sich, dass der Einschluss der übergewichtigen und fettleibigen Kinder die Blutdruckwerte nach oben verschob. Der Blutdruck stieg mit den beiden anthropometrischen Faktoren Körpergewicht und Körpergröße an.
„Wir haben gerade die dritte Follow-up-Untersuchung der IDEFICS-Kinder beendet“, sagt Ahrens. „Dabei ging es um Längsschnitt-Veränderungen. Wir wollen herausfinden, welche Risikofaktoren einen hohen prädiktiven Wert für spätere Gesundheitsstörungen haben.“
REFERENZEN:
2. Peplies J, et al: International Journal of Obesity 2014;38:S39–S47
3. de Henauw S, et al: International Journal of Obesity 2014;38:S39–S47
4. Barba G, et al: International Journal of Obesity 2014;38:S48–S56
Diesen Artikel so zitieren: Stoffwechselentgleisungen bei Kindern frühzeitig entdecken: Studie liefert Referenzwerte - Medscape - 18. Nov 2014.
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