Frankfurt – Seit der Zulassung von Tenofovir im Jahr 2008 hat sich bei der Therapie der Hepatitis B nicht mehr allzu viel getan in punkto neue Medikamente – im Gegensatz zur Hepatitis C. Dennoch gibt es neue Erkenntnisse, was die effektive Behandlung der chronischen Hepatitis B betrifft: „Entecavir und Tenofovir scheinen in der Behandlung der chronischen Hepatitis B vergleichbar effektiv und sicher zu sein“, berichtete Prof. Dr. Harry Janssen, Leiter Division of Hepatology, University Health Network, Toronto Western and Toronto General Hospital, Kanada, beim Viral Hepatitis Congress 2014 [1].
Beide Medikamente sind oft erste Wahl bei chronischer Hepatitis B. „Trotzdem benötigen wir mehr solide Daten über die Reduktion des Leberkrebsrisiko unter Tenofovir und Entecavir“, betonte Janssen.
Hepatitis B ist die weltweit häufigste Form der Virushepatitis. In Deutschland gibt es schätzungsweise 500.000 Menschen mit chronischer Hepatitis B. Rund 30% von ihnen entwickeln eine Leberzirrhose und mehr als jeder zweite Leberkrebs (hepatic cell carcinoma, HCC). Damit liegt die HCC-Rate bei Hepatitis-B-Patienten mehr als doppelt so hoch wie bei Hepatitis-C-Patienten.
Hepatitis B – aktuelle Behandlungsoptionen
Zur Behandlung der chronischen Hepatitis B steht neben alpha-Interferonen heute eine zweite Medikamentenklasse zur Verfügung: oral einzunehmende Nukleosid- und Nukleotid-Analoga (nukleos(t)idische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, NRTI). Als erste Substanz dieser Klasse wurde 1999 Lamivudin zugelassen, Entecavir ist seit 2006 auf dem Markt und Tenofovir-Disoproxilfumarat seit 2008. Weiterhin zugelassen sind Adefovir und Telbivudin.
Entecavir und Tenofovir zählen heute zur Therapie der ersten Wahl bei chronischer Hepatitis B. Die antiviral wirkenden Medikamente werden einmal täglich oral eingenommen: Entecavir 0,5 mg bei Vorliegen des Wildtyps des Hepatitis-B-Virus (HBV) und 1 mg bei Patienten, die auf Lamivudin nicht angesprochen haben; Tenofovir wird mit 245 mg täglich dosiert.
Tenofovir versus Entecavir
„Tenofovir ist sowohl sicher als auch effektiv“, betonte Janssen. „Das zeigt eine fünfjährige Follow-up-Studie aus dem vergangenen Jahr.“ Nach dieser Studie normalisierte sich über den mehrjährigen Zeitraum der Spiegel der Alaninaminotransferase– ein Marker der Viruslast – unter der Gabe von Tenofovir beziehungsweise Adefovir plus Tenofovir: im Durchschnitt bei 73% der Patienten mit positivem und bei 85% der Patienten mit negativem HBe-Antigen (HBeAg).
Die HBV-DNA sank bei 97% der HBeAG-positiven und bei 99% der HBeAg-negativen Patienten unter 400 Kopien/ml Blut. Entecavir konnte laut Janssen in Untersuchungen bei insgesamt 94% der Patienten über 5 Jahre lang den Wert auf unter 300 Kopien/ml senken.
In Bezug auf Resistenzen schneidet Tenofovir noch besser ab als Entecavir. Während unter Lamivudin als NRTI der 1. Generation im 5. Behandlungsjahr bei 80% der Patienten Resistenzen auftreten und bei Adefovir, einem NRTI der 2. Generation, immer noch bei fast jedem Dritten (29%), sind es bei Tenofovir 0%. „Bei Entecavir liegt das Risiko einer Resistenz bei 1,2%, übrigens auch über das fünfte Jahr hinaus“, fasste Janssen die bisherigen Daten zusammen. Für die anderen NRTI liegen keine über das 5. Jahr hinausgehenden Daten vor.
Verbesserung der Leberfibrose?
Was die Leberfibrose betrifft, sind die Daten für Tenofovir ebenfalls gut, wenn auch weniger überzeugend als bezüglich der Resistenz. Bis zum Jahr 5 der Therapie verbesserte sich bei 96% der Patienten die Fibrose um einen oder mehrere Punkte des Ishak-Scores (modifizierter histologischer Aktivitätsindex nach Ishak), oder die Fibrose blieb unverändert. Bei 74% der Patienten mit Zirrhose verbesserte sie sich um 4 oder weniger Punkte des Ishak-Scores.
Eine mindestens 3-jährige Therapie mit Entecavir bei NRTI-naiven Patienten normalisierte in 86% der Fälle die Spiegel der Alaninaminotransferase. Das zeigte eine weitere von Janssen präsentierte Studie. 100% der Patienten erreichten einen HBV-DNA-Wert von weniger als 300 Kopien/ml. Bei 96% der insgesamt 69 Patienten wurden bei Leberbiopsien histologische Verbesserungen beobachtet, in 88% betrugen sie mindestens einen Punkt des Ishak-Scores.
„Tenofovir hat sich darüber hinaus auch als Rescue-Medikament bei Patienten bewährt, die auf Lamivudin und Adefovir nicht ansprechen“, so Janssen. „Bei 64% der Lamivudin- bzw. Adefovir-refraktären Patienten war keine HBV-DNA mehr in Woche 96 nach Therapiebeginn nachweisbar.“
Sinkt das Leberkrebs-Risiko?
Entecavir vermag selbst bei Patienten mit Leberzirrhose die Entwicklung von Leberkrebs deutlich zu reduzieren. Unter Entecavir, berichtete Janssen, entwickeln rund 5% der Patienten Leberkrebs. Im Vergleich dazu entwickelt jeder vierte Patient, der mit Lamivudin behandelt wird, ein Karzinom.
„Unter Entecavir lag die kumulative Inzidenzrate von HCC bei den Patienten ohne Zirrhose bei 2,1% und bei denjenigen mit Zirrhose bei 10,9%“, fasste Janssen aktuelle Forschungsergebnisse zusammen. „Dabei ist die Leberkrebs-Inzidenz bei älteren Patienten und bei Patienten mit einer niedrigeren Thrombozytenzahl generell höher.“
Janssen wies darauf hin, dass die Risiko-Scores für Leberkrebs in kaukasischen Bevölkerungsgruppen weniger praktikabel seien. „Man sollte über neue Scores für diese Bevölkerungsgruppe nachdenken.“
Mit Blick auf das HCC-Risiko unter Tenofovir verwies Janssen auf eine Analyse der Daten der Zulassungsstudien. Diese hatte Dr. W Ray Kim, Stanford University Medical Center, auf dem internationalen Kongress der European Association for the Study of the Liver (EASL) im Jahr 2013 präsentiert. Basierend auf historischen Daten hatten Kim und Kollegen das Risiko für ein HCC bei Patienten mit chronischer Hepatitis B berechnet und dann mit tatsächlichen HCC-Raten bei Patienten unter Tenofovir verglichen.
Es zeigte sich bei einer effektiven Therapie ein deutlich vermindertes HCC-Risiko ab dem 4. Behandlungsjahr; bis zum 6. Jahr wurde das Risiko in etwa halbiert. Es sank auch bei Patienten signifikant, die noch keine Leberzirrhose entwickelt hatten, die bekanntermaßen das Risiko für HCC erhöht.
NRTI unter Beobachtung halten
„Die Sicherheit der Nukleosid-Nukleotid-Analoga über einen längeren Zeitraum bleibt noch immer zu beweisen“, betonte Janssen trotz ermutigender Ergebnisse. „Alle HBV-Nukleoside bzw. -Nukleotide werden zwar generell gut toleriert und zeigen niedrige Abbruchquoten. Es ist aber auch bekannt, dass mitochondriale Toxizität eine mögliche Nebenwirkung der NRTI ist und es Unterschiede in den individuellen Sicherheitsprofilen gibt, etwa bezüglich Myalgien, Myopathien und Niereninsuffizienz“, warnte der Hepatologe.
So gibt es Fallbeispiele von Myopathien unter Lamivudin und Telbivudin. Für Clevudin wurde aus diesem Grund seinerzeit eine Phase-3-Studie gestoppt. Unter Tenofovir und Lamivudin gab es zudem Berichte über das Auftreten des De-Toni-Fanconi-Syndroms, einer Nierenfunktionsstörung, die auch als Glukose-Aminosäuren-Diabetes bekannt ist. Außerdem gibt es Fallberichte von Laktatazidose und nichtalkoholischer Fettleber unter Lamivudin und Tenofovir (bei HIV-Infektion) sowie unter Entecavir und Adefovir (bei HBV-Infektion).
In Bezug auf die Nierenfunktion rät Janssen bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance von weniger als 50 ml/min dazu, die Dosis aller NRTI zu reduzieren beziehungsweise die Abstände der Medikamentengabe anzupassen. „Adefovir wird generell nicht empfohlen bei einer Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min oder bei einer Hämodialyse“, warnte er. „Tenofovir sollte in diesen Fällen ebenfalls nicht gegeben werden. Wenn Ihnen aber keine Alternative zur Verfügung steht, dann sollten auf jeden Fall die Abstände der Medikamentengabe verlängert werden.“
Alkoholkonsum, Immunsuppression, Adhärenz, Familiengeschichte, Komorbiditäten – das und noch mehr individuelle Faktoren wirken sich auf die NRTI-Therapie aus. Bei allen ermutigenden Ergebnissen bleiben weiterhin Fragen offen. Noch aber gibt es keine Alternative zu den Nukleos(t)id-Analoga: „In den vergangenen Jahren hat sich leider nicht wirklich Neues getan in Bezug auf die Therapie der Hepatitis B“, bedauerte Janssen. Sein Fazit: „Wir brauchen auch für diese Erkrankung neue Medikamente.“
REFERENZEN
Diesen Artikel so zitieren: Nukleot(s)id-Analoga bei chronischer Hepatitis B: Effektiv, aber auch sicher? - Medscape - 10. Nov 2014.
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