Akute Lymphatische Leukämie: T-Zelltherapie erzielt Remissionsrate von 90 Prozent

Dr. Sabine Wimmer-Kleikamp

Interessenkonflikte

10. November 2014

Prof. Dr. Justus Duyster

Bei der Behandlung von Patienten, die an einer aggressiven und therapieresistenten Form von akuter lymphatischer Leukämie (ALL) leiden, gibt es bahnbrechende Erfolge: Die T-Zell-Therapie mit der Bezeichnung CART (Chimeric antigen receptor–modified T-cells) erzielte bei 90% der Patienten eine vollständige Remission und half sogar, nachdem die Stammzelltherapie versagt hatte. Das sind die Ergebnisse einer Studie, die im NEJM publiziert worden ist [1].

„Die Studiendaten sind hervorragend. Es ist enorm, was diese genetisch veränderten T-Zellen für einen Effekt bei vorbehandelten ALL-Patienten hatten, die wirklich keine anderen Therapieoptionen mehr hatten“, kommentiert Prof. Dr. Justus Duyster, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Freiburg gegenüber Medscape Deutschland.

Körpereigene T-Zellen durch deaktivierte Lentiviren umprogrammiert

Dr. Shannon Maude von der Abteilung Onkologie am Children's Hospital Philadelphia und Kollegen u.a. von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia infundierten refraktären und rezidivierten ALL-Patienten körpereigene (autologe), aber genetisch veränderte T-Zellen.

 
Es ist enorm, was diese genetisch veränderten T-Zellen für einen Effekt bei vorbehandelten ALL-Patienten hatten, die wirklich keine anderen Therapieoptionen mehr hatten. Prof. Dr. Justus Duyster
 

Bei der Zelltherapie, die auch die Bezeichnung CTL019 trägt, werden die autologen T-Zellen durch eine Lentivirus-Transfektion mit einem gegen CD19 gerichteten chimären Antigenrezeptor ausgestattet. Das Zelloberflächenprotein CD19 ist ein Marker für B-Zellen und tritt vermehrt bei B-Zell-Leukämien und -Lymphomen auf. Die CTL019- oder CART-Zellen attackieren dann die B-Zellen im Körper des Patienten, vor allem die Leukämiezellen, aber leider auch die gesunden B-Zellen.

Die verabreichte Dosis betrug zwischen 0,76×106 und 20,6×106 CTL019-Zellen pro Kilogramm Körpergewicht. Die Wissenschaftler dokumentierten das Ansprechen der Patienten auf die Behandlung, toxische Wirkungen und die Expansion sowie Persistenz der zirkulierenden CTL019-Zellen.

Remissionsrate von 90%

Insgesamt 27 (90%) der 30 behandelten Kinder und Erwachsenen erfuhren nach der zellulären Immuntherapie eine vollständige Remission. Davon waren 2 Patienten mit Blinatumomab vorbehandelt und 15 hatten sich zuvor einer Stammzelltransplantation unterzogen.

Die CTL019-Zellen vermehrten sich in vivo und konnten sowohl im Blut als auch im Knochenmark  und Liquor derjenigen Patienten nachgewiesen werden, die auf die Therapie ansprachen. Nach einer Nachbeobachtungszeit von 6 Monaten blieben noch 67% der Patienten in Remission und die Gesamtüberlebensrate OS (overall survival) betrug 78%.

 
Es gibt durchaus Risiken in Verbindung mit dieser neuen Behandlungsmethode; man infundiert ja gentechnisch veränderte Zellen in die Patienten. Prof. Dr. Justus Duyster
 

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient persistierende CTL019-Zellen besaß, betrug nach 6 Monaten immer noch 68% und rezidiv-freie B-Zell-Aplasien hatten 73% der Patienten. Die Remission dauerte bis zu 24 Monate.

Es gab keine Todesfälle in Zusammenhang mit der Behandlung. 7 Patienten starben inzwischen als Folge der Erkrankung.

„Das ist eine hochinteressante Studie und auch nicht die erste, die zeigt dass CART ein enormes Potential haben“, so Duyster. Zuvor hatten Wissenschaftler die gleiche T-Zelltherapie bereits getestet – bei einer kleineren Zahl von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL), und auch bei ALL-Patienten – alle Studien mit vielversprechenden Ergebnissen [2-5].

Novartis besitzt die Rechte an der Kommerzialisierung der personalisierten Zelltherapie CTL019, in Kollaboration mit der Universität von Pennsylvania. Im Juli 2014 verlieh die FDA der CART-Immuntherapie den „Breakthrough-Therapy“-Status zur Behandlung der refraktären/rezidivierten ALL bei fehlendem Ansprechen auf andere Therapien.

Zelluläre Tumorimmuntherapie nicht ohne Risiko

 
CART depletieren alle B-Lymphozyten im Körper, das heißt, der Patient ist dadurch auf Dauer immunsupprimiert. Prof. Dr. Justus Duyster
 

Da es sich bei CTL019 um eine experimentelle Therapie handelt, ist das Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil noch nicht etabliert. „Die Forschung steht in diesem Bereich noch relativ am Anfang. Es gibt durchaus Risiken in Verbindung mit dieser neuen Behandlungsmethode; man infundiert ja gentechnisch veränderte Zellen in die Patienten“, sagt Duyster und erklärt die unerwünschten Wirkungen: „CART depletieren alle B-Lymphozyten im Körper, das heißt, der Patient ist dadurch auf Dauer immunsupprimiert.“

„Ein zweiter Effekt ist, dass diese aktivierten T Zellen enorme Immuneffekte im Patienten auslösen können, die dann teilweise nur durch eine intensivtherapeutische Behandlung in den Griff zu bekommen sind“, so Duyster. So verursachte der Angriff der genmodifizierten Zellen u.a. einen sogenannten Zytokin-Sturm auch Zytokin-Release-Syndrom (ZRS) genannt, die Ausschüttung großer Mengen an pro-inflammatorischen Zytokinen.

Ein ZRS trat bei allen behandelten Patienten auf, bei 27% kam es zu einem schweren Verlauf – die Patienten mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Der monoklonale Antikörper Tocilizumab, ein Interleukin-6-Rezeptorblocker, konnte jedoch effektiv gegen das ZRS eingesetzt werden. Das Zytokin Interleukin-6 wird während der T-Zellen Expansion und Proliferation freigesetzt.

Die T-Zellinfusionen verursachten bei ca. der Hälfte der Patienten u.a. neurologische Nebenwirkungen wie Halluzinationen, Kopfschmerzen, Aphasie, Delirium, aber auch Fieber und Blutdruckabfall, die jedoch nach 2 bis 3 Tagen von selbst wieder verschwanden.

„Die Studiendaten belegen außerdem, dass die aktivierten T-Zellen sich in den Patienten weiter vermehren und zum Teil zwei Jahre später noch nachweisbar sind“, bemerkt Duyster. Da es sich um gentechnisch veränderte Zellen handele, sei noch unklar ob diese Klone nicht irgendwann auch transformieren und ihrerseits eine Leukämie auslösen. „Das gleiche Problem gab es in der Vergangenheit bei gentherapeutischen Studien, das ist hier auch potenziell ein Risiko“, warnt er.

 
Ich denke, dass es noch 5 bis 6 Jahre dauern wird, bis solche T Zellen in der Klinik routinemäßig zum Einsatz kommen. Prof. Dr. Justus Duyster
 

„Während das Lentivirus selbst keine Gefahr für den Patienten darstellt, integriert dieses das Gen für den veränderten T-Zell-Rezeptor irgendwo im Genom. Dadurch können theoretisch auch andere Gene ihre Expression ändern“, erklär Duyster weiter. Das sei zwar für CART selbst nach 10 Jahren Forschung noch nie beschrieben worden, aber nicht mit Sicherheit auszuschließen.

Noch etwa 5 Jahre, bis zum klinischen Einsatz

In Deutschland arbeiten laut Duyster verschiedene wissenschaftliche Arbeitsgruppen am Thema CART, aber es handelt sich um präklinische Forschung. „Die Entnahme von autologen Zellen, die dann gentechnisch verändert dem Patienten wieder verabreicht werden, fällt in Deutschland unter das Arzneimittelproduktionsgesetz.“ Daher gebe es enorme behördliche Auflagen, um überhaupt solche Zellen herzustellen, so dass in Deutschland derzeit keine klinischen Studien laufen. „Ich denke, dass es noch 5 bis 6 Jahre dauern wird, bis solche T Zellen in der Klinik routinemäßig zum Einsatz kommen“, meint Duyster.

Der Hämatologe erwähnt auch ein zu CART alternatives Konzept, das auf bispezifische Antikörper setzt, die T-Zellen gegen Leukämien aktivieren sollen: „Dieser Ansatz kommt aus Deutschland und wird auch hierzulande in klinischen Studien geprüft. Diese neuen Immunverfahren haben ein enormes Potential“, betont Duyster.

 

REFERENZEN:

  1. 1. Maude S, et al: NEJM 2014;371(16):1507-15017

  2. 2. Kalos M, et al: Sci Transl Med 2011;3:95ra73-95ra73

  3. 3. Porter DL, et al: NEJM 2011;365:725-733

  4. 4. Brentjens RJ, et al: Science Transl Med 2013;5:177ra38-177ra38

  5. 5. Grupp SA, et al: NEJM2013;368:1509-1518

 

Kommentar

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