Das neue Versorgungsstärkungsgesetz: Gegenwind von allen Seiten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

30. Oktober 2014

Der Gesetzentwurf zum neuen Versorgungsstärkungsgesetz liegt vor – und die Kritik reißt nicht ab. Facharztverbände, der Deutsche Hausärzteverband, der NAV-Virchow-Bund und der Hartmannbund, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Krankenhausgesellschaft – die meisten befürchten durch das neue Gesetz mehr Schaden als Nutzen.

So gibt es Bedenken, das neue Gesetz beschädige die Niederlassungsfreiheit. Hintergrund ist der Umstand, dass die kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet werden sollen, im Falle von Überversorgung Kassensitze aufzukaufen und stillzulegen ( Medscape Deutschland berichtete).

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, sprach bei der Hauptversammlung in diesem Zusammenhang von inakzeptablen Eingriffen ins Eigentumsrecht der Ärzte [1]. Diese schafften „bei der Detail-Betrachtung vor allem zusätzliche Bürokratie“. Das Vorhaben setze weiter auf Regelungszuwachs und werde spätestens daran scheitern, dass die vorgesehenen Regelungen nicht umsetzbar seien, so die Kritik des Hartmannbundes

In der Tat müssten die Ärzte selbst den Praxenaufkauf über ihre KV-Beiträge finanzieren, was die KV-Beiträge nach oben treiben könnte. Auch in ihrem Beschluss zur Sache argumentierten die Delegierten mit der Freiheit des Arztberufes. „Die deutliche Einengung des Ermessensspielraumes der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) bedeutet darüber hinaus einen Eingriff in die ärztliche Selbstverwaltung“, heißt es dort.

Zu lange Wartezeiten? „Ideologisierung und Heuchelei“!

Ein weiterer heftig bekämpfter Punkt im neuen Gesetz ist die Wartezeitenregelung. Binnen eines halben Jahres nachdem das Versorgungsstärkungsgesetz in Kraft getreten ist, sollen die KVen Servicestellen zur Terminvergabe schaffen. Ihre Aufgabe: Patienten, die eine Überweisung um Facharzt vorlegen, innerhalb von 4 Wochen einen Facharzt-Termin zu vermitteln.

Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des NAV-Virchow-Bundes protestiert gegen diese Regelung. Sie zeige „ in erschreckender Weise die Unkenntnis, Ideologisierung und Heuchelei“ in der gesundheitspolitischen Debatte. Er verlangt, dass man die Regelung, wenn schon, dann auch für Krankenhäuser einrichten müsse. „Wenn die SPD es ernst meinte mit der Abschaffung der angeblichen Zwei-Klassen-Medizin, hätten alle Privatsprechstunden und Privatstationen in diesen Krankenhäusern abgeschafft werden müssen – und das schon längst“, so Heinrich in einer Erklärung seines Verbandes.

Grund für die Wartezeiten sei indessen die Budgetierung der Praxen. „Wenn das Geld weg ist, gibt es keine Termine mehr. In der verbleibenden Zeit bietet der Kassenarzt Privatsprechstunden an“, so Heinrich.

„Wie kann man sich auf der einen Seite über zu lange Wartezeiten beklagen, auf der anderen Seite aber ein Praxis-Abbauprogramm betreiben?“, fragt auch Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), in einer Stellungnahme seines Hauses.

 
Wie kann man sich auf der einen Seite über zu lange Wartezeiten beklagen, auf der anderen Seite aber ein Praxis-Abbauprogramm betreiben? Dr. Andreas Gassen
 

Mit dem Zwangsverkauf der Praxen werde man junge Kollegen abschrecken, sich niederzulassen. Gassen rechnet damit, dass rund 25.000 Praxen wegen der neuen Regelung wegfallen werden.

Mehr ambulante Leistungen von Kliniken

Gassens Vorstandskollegin Regina Feldmann kritisiert, dass das Gesetz „beim Ärztemangel auf die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung setzt.“ So sollen etwa Ermächtigungen in unterversorgten Gebieten schneller ausgesprochen werden. „Dies konterkariert alle Bemühungen, Ärzte für eine Niederlassung in strukturschwachen Regionen zu gewinnen“, so Feldmann.

 
Dies konterkariert alle Bemühungen, Ärzte für eine Niederlassung in strukturschwachen Regionen zu gewinnen. Regina Feldmann
 

Umstritten unter den Leistungserbringern sind die neuen Regelungen, die die Krankenhäuser bzw. den ambulanten Sektor allgemein betreffen. So kritisiert Gassen, dass die Krankenhäuser bei der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) nach §116b SGBV ihre schon bestehenden ambulanten Verträge ohne neue Zulassung beibehalten können.

Er sieht hier die niedergelassenen Ärzte im Wettbewerbsnachteil. Denn sie müssen ihre ASV-Kooperationen beantragen und genehmigen lassen. Man verfüge nun nicht mehr über gleichlange Spieße, klagt Gassen. Die Deutsche Krankhausgesellschaft (DKG) sieht dies begreiflicherweise anders. Dass die Kliniken keine komplette Zulassung für die ASV durchlaufen müssen, sei „zu begrüßen“, so die Mitteilung der DKG.

Eine neue Runde im Hausarzt-Facharzt-Streit

 
Wenn Haus- und Fachärzte getrennt abstimmen sollen, was geschieht dann eigentlich mit den Psycho-therapeuten und ihren besonderen Interessen? Tilo Radau
 

Ein altes Konfliktfeld dürfte die Bundesregierung auch dadurch neu beleben, dass sie in Vertreterversammlungen (VV) der KVen und der KBV zukünftig nur die Hausärzte über hausarztrelevante Themen abstimmen lassen will – und ausschließlich Fachärzte über fachärztliche Themen. Bei gemeinsamen Abstimmungen sollen die Gremien je zur Hälfte aus Fach- und Hausärzten bestehen.

Tilo Radau, Geschäftsführer des Bundes Deutscher Internisten (BDI), hält nichts von dieser Regelung. „Wenn Haus- und Fachärzte getrennt abstimmen sollen, was geschieht dann eigentlich mit den Psychotherapeuten und ihren besonderen Interessen?“, so Radau zu Medscape Deutschland. „Konsequenterweise müsste man dann auch eine Sektion für die Psychotherapeuten schaffen. Nein, Haus- und Fachärzte sollten sich untereinander zusammenraufen. Es ist eine Unmöglichkeit, dass der Gesetzgeber da hineinregieren will!“

Dr. Heinz Jarmatz, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Niedersachsen, begrüßt dagegen den Plan, die VVen paritätisch abstimmen zu lassen. „Die Parität entspricht der Versorgungslage und ist deshalb ein Fortschritt“, so Jarmatz zu Medscape Deutschland. Von den nach Themen getrennten Abstimmungen durch Haus- und Fachärzte in den VVen hält Jarmatz indessen nichts.

Bei der letzten Vertreterversammlung im September hat das Gremium einen 15-köpfigen Ausschuss beschlossen, der die Themen im Zweifel verteilen soll. Stimmberechtigt sind 5 Haus- und 5 Fachärzte. Die Vorsitzenden der VV und der KBV-Vorstand gehören zum Ausschuss, aber sie haben kein Stimmrecht. Wie sich das Gremium bewährt, wird sich zeigen. Jarmatz fürchtet, dass die Hausärzte bei der Verteilung der Themen auf die eine oder andere Arztgruppe doch wieder von den Fachärzten dominiert werden.

 

REFERENZEN:

  1. 1. Hauptversammlung des Hartmannbundes vom 24. - 25. Oktober 2014, Berlin

 

Kommentar

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