Nachdem lange das Unternehmen des Augsburger Labormediziners Dr. Bernd Schottdorf im Mittelpunkt der Ermittlungen der bayerischen Justizbehörden stand, weitet sich nun der Verdacht auf Abrechnungsbetrug bei Laborleistungen auf weitere Labormediziner aus. Sie sollen ebenso wie Schottdorf mit niedergelassenen Ärzten illegale Abrechnungsgeschäfte getätigt haben.
So laufen aktuell in Bayern noch ähnliche Ermittlungsverfahren: Mindestens gegen 2 weitere Labore besteht laut Auskunft des Justizministeriums der Verdacht, am Abrechnungsbetrug der Einsendeärzte beteiligt gewesen zu sein und die Leistungen nicht selbst abgerechnet zu haben [1].

PD Dr. Matthias Orth
„Im Fall Schottdorf geht es vor allem um so genannte Speziallabor-Laborgemeinschaften und die Frage, wie kostenaufwändige Speziallaborleistungen erbracht werden können. Laborleistungen können in größeren Serien natürlich kostengünstiger erbracht werden. Rückvergütungen wie im Fall Schottdorf, so genannte kick-back Zahlungen, sind Zuweisungen gegen Entgelt und somit verboten“, kommentiert PD Dr. Matthias Orth, Chefarzt des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Marienhospital Stuttgart, gegenüber Medscape Deutschland die Betrugsaffäre.
Das führe zu einem Vertrauensverlust unter den Patienten und fördere über den Verdrängungswettbewerb die Zentralisierung der Laborleistungen, fürchtet der Labormediziner: „Dies schadet tatsächlich der notwendigen flächendeckenden labormedizinischen Versorgung, und unter diesem Schaden leiden besonders die Patienten außerhalb von Ballungsgebieten“, so Orth.
Für den Patienten resultiert zwar, so Orth, kein unmittelbarer körperlicher Schaden aus dieser Art von Abrechnungsbetrug. Es entstehe aber durch unnötige Untersuchungen im Blut ein wirtschaftlicher Schaden für die Patienten oder deren Versicherung. Und: „Überflüssige Blutabnahmen sind natürlich eine Körperverletzung.“
Der Fall Schottdorf – verschleppt und kein Einzelfall
Etliche Jahre schon ermittelt die Staatsanwaltschaft in Augsburg und München gegen Schottdorf. Aktuell wird ihm vorgeworfen zwischen 2004 und 2007 die Krankenkassen um etwa 79 Millionen Euro betrogen zu haben, indem er Ärzten Rabatte für seine Laborleistungen angeboten hat, um sich Aufträge zu sichern. Die Ärzte stellten wiederum ihren Privatpatienten die Speziallaboruntersuchungen mit vollem Gebührensatz als selbsterbrachte Leistung in Rechnung.

Dr. Bernd Halbe
„Bei dem Beispiel Schottdorf geht es um den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung. Der mutmaßliche Betrug besteht darin, dass der Arzt Leistungen abrechnet, obwohl er sie nicht persönlich erbracht hat. Wenn der Laborarzt dies weiß und unterstützt, handelt es sich aus strafrechtlicher Sicht um eine Mittäterschaft oder eine Beihilfe zum Betrug“, stellt Dr. Bernd Halbe, Fachanwalt für Medizinrecht und Lehrbeauftragter für Medizinrecht der Universität Köln, die mutmaßlichen Betrugsfälle gegenüber Medscape Deutschland klar.
Ungeachtet der so langen Ermittlungszeit wurde die Anklage gegen Schottdorf erst Anfang dieses Jahres zugelassen und der Prozess auf 2015 verschoben, aufgrund von Überlastung der Strafkammer, wie es heißt. Dadurch sind absehbar einige der angeklagten Strafpunkte zum Zeitpunkt des Prozesses verjährt. Darüber hinaus wurde ein Untersuchungsausschuss einberufen, der prüfen soll, ob eventuell sogar die bayerische Justiz- und Polizeibehörde oder die Politik die Ermittlungen behindert oder verzögert haben.
So wurde ein Teil des Ermittlungsverfahrens 2009 von der Staatsanwaltschaft Augsburg eingestellt, da kein „hinreichender Tatverdacht“ bestand. Das Landgericht München verurteilte jedoch 2010 einen Allgemeinmediziner wegen Abrechnungsbetrug. Dieser hatte die bei Schottdorf durchgeführten Laborleistungen als selbsterbrachte Leistungen abgerechnet. Der Bundesgerichtshof bestätigte 2012 das Urteil aus München. Damit entschied der Bundesgerichtshof, dass ein Arzt, der nicht persönlich erbrachte Leistungen im Bereich Speziallabor abrechnet, klar Abrechnungsbetrug begeht.
Recherchen der Grünen im Landtag Bayern zufolge ist Schottdorf kein Einzelfall. So entwickelte sich nun in einem der parallel laufenden Ermittlungsverfahren gegen 10 andere Laborärzte der Verdacht, dass bis zu 1.300 Ärzte im Zeitraum von 2007 bis 2013 Speziallaborleistungen selbst abgerechnet haben, obwohl die Leistungen von den verdächtigen Laboren durchgeführt wurden. Nach § 4 Abs. 2 GOÄ darf ein Arzt jedoch nur „eigene Leistungen“ abrechnen. Das sind solche Leistungen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung durchgeführt wurden.
Motive des Abrechnungsbetrugs
Orth zufolge sollten jedoch auch die Beweggründe des mutmaßlichen Betrugs beleuchtet werden: „Rein rechtlich ist es Betrug, jedoch kann man die Ärzte nicht pauschal verurteilen.“ So komme es beispielsweise bei der Hausarztzentrierten Versorgung zu sogenannten „Flatrates“, da die Behandlung der Versicherten pauschaliert ist.
Hierbei müssten für einen festen Betrag so viele Leistungen wie erforderlich erbracht werden, Laborleistungen inbegriffen. „Damit wird es leicht schwierig für das Labor, die Leistungen kostendeckend zu erbringen und es gibt einen starken Anreiz, über komplexe Koppelgeschäfte die notwendige Wirtschaftlichkeit zu erreichen.“
Orth sieht vor allem die Gefahr des falschen Eindrucks, den der Fall Schottdorf weckt: Es wird vermittelt, dass Laborleistungen überbezahlt sind, da Rückvergütungen vorgenommen wurden: „Das ist ein falscher Schluss. Im europäischen Vergleich haben wir in Deutschland mit Abstand die niedrigsten Honorare für Laborleistungen. Durch diese niedrigen Honorare für die Einzelleistung besteht für die Laborärzte allerdings die Notwendigkeit, für eine wirtschaftliche Serienlänge viele Aufträge zu erhalten."
Mögliche Lösung: Laborleistungen nur per Überweisung
Das Missbrauchspotential von technischen ärztlichen Leistungen besteht Orth zufolge besonders dann, wenn die Indikation für die Untersuchung und die Durchführung der Untersuchung in einer Hand liegen: „Gelöst werden kann dies durch die Verpflichtung, diese Leistungen ausschließlich per Überweisung erbringen zu lassen“, schlägt er vor.
Viele Ärzte, die strafrechtlich gesehen Abrechnungsbetrug begehen, haben vermutlich kein echtes Unrechtsbewusstsein und handeln aus einem traditionellen Denken heraus.
Das gilt nicht für die Labormedizin, erläutert Orth: „Insbesondere bei technischen Leistungen wie Radiologie, Pathologie und Labormedizin empfiehlt sich daher eine grundsätzliche Trennung von der Beauftragung und der Erbringung der medizinischen Leistungen. Mit einem vernünftigen Regelungssystem muss der Anforderer mit in die Pflicht genommen werden, nur die medizinisch notwendigen Leistungen anzufordern.“
Zumindest bei den gesetzlichen Krankenversicherungen müssen seit der Laborreform 2008 in Laborgemeinschaften erbrachte Laborleistungen durch die Laborgemeinschaft selbst direkt mit der KV abgerechnet werden und nicht mehr vom behandelnden Arzt. „Es muss allerdings bedacht werden, dass in sehr großen Bereichen der Medizin mit dem EBM2000 keine Kostendeckung mehr erreicht werden kann, eine Quersubventionierung von den Privatpatienten beziehungsweise GOÄ-Patienten ist daher absolut notwendig, um die Praxen mit ihren Mitarbeitern erhalten zu können“, so Orth.
Orth verweist dabei auf den Umstand, dass in Bereichen wie der Urologie, ein großer Anteil des Honorars über Laboruntersuchungen generiert wird, so dass ihm zufolge die Frage entsteht, „ob die typischen urologischen Leistungen kostendeckend in den Gebührenordnungen abgebildet sind.“ Es sei allerdings fraglich, ob die Kostenkalkulationen, die der GOÄ vor 20 Jahren zugrunde lagen, noch sachgerecht seien und laut Orth daher zumindest verständlich, die vorhandenen Gebührenordnungen zu ‚maximieren’. „Ob diese Maximierung als systematischer Abrechnungsbetrug bezeichnet werden darf oder nicht, ist somit auch eine Frage des jeweiligen Standpunktes“, so Orth.
Der juristische Standpunkt ist jedoch Halbe zufolge klar: „Viele Ärzte, die strafrechtlich gesehen Abrechnungsbetrug begehen, haben vermutlich kein echtes Unrechtsbewusstsein und handeln aus einem traditionellen Denken heraus. An der Strafbarkeit des jeweiligen Verhaltens ändert dies aber nichts.“
Justizminister Winfried Bausback von der CDU hat Anfang Oktober Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in München, Nürnberg und Hof eingerichtet, um Abrechnungsbetrug besser aufzudecken. Halbe glaubt jedoch nicht, dass mehr Kontrolle wirklich nützt: „Ich denke, mehr Kontrolle wird echten Abrechnungsbetrug mit kriminellen Motiven auch kaum verhindern. Das tatsächliche Handeln wirklich krimineller Ärzte kann von der Verwaltung nur schwer kontrolliert werden“, so Halbe.
REFERENZEN:
Diesen Artikel so zitieren: Grauzone Labor: Wann ist die Abrechnung von Speziallaborleistungen Betrug? - Medscape - 29. Okt 2014.
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