Heißbegehrt und fehlverordnet: Jede dritte Antibiotika-Verordnung ist laut DAK-Studie fragwürdig

Petra Plaum

Interessenkonflikte

29. Oktober 2014

Noch immer ist jeder dritte Erwachsene in Deutschland offenbar der Meinung, dass Antibiotika gegen Husten, Schnupfen und andere virale Infekte helfen. 76% aller Teilnehmer einer großen repräsentativen Befragung durch die DAK-Gesundheit stimmten zudem der Aussage zu, ihr Arzt solle ihnen im Falle einer Erkältung Antibiotika verschreiben, wenn die Beschwerden nicht von selbst besser würden [1]. „Wir sehen da eine Wechselbeziehung zwischen fordernden Patienten, die das erwarten, und Ärzten, die das verordnen“, betont Frank Meiners aus der DAK-Unternehmenskommunikation auf Nachfrage von Medscape Deutschland.

Um Medizinern gute Argumente zu liefern, hat die DAK die Ergebnisse ihrer Untersuchungen publiziert und eine große Informationskampagne ausgerufen. Sie ist mit 6,2 Millionen Versicherten die drittgrößte gesetzliche Krankenkasse in Deutschland.

Die DAK zitiert Prof. Dr. Gerd Glaeske, einen der Leiter der Abteilung für Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung der Universität Bremen: „Erkältungen werden in 80 bis 90% aller Fälle von Viren verursacht, ohne dass es eine zusätzliche bakterielle Besiedelung gibt. Antibiotika schaden in diesen Fällen mehr, als sie nutzen. Sie können Nebenwirkungen verursachen und verschärfen das Risiko der Resistenzbildung.“

 
Wir sehen da eine Wechsel-beziehung zwischen fordernden Patienten, die das erwarten, und Ärzten, die das verordnen. Frank Meiners
 

Was viele Patienten nicht wissen: Im besten Fall haben sie keinen Schaden, der selbstlimitierte Infekt klingt nach einigen Tagen ab. Viele machen sich nicht bewusst, dass sie durch unnütze Verwendung von Antibiotika der Resistenzentwicklung Vorschub leisten. Die multiresistenten Erreger sind vor allem für Patienten in Kliniken gefährlich, auch das belegen die DAK-Krankenhausdaten. Von einer Million Versicherten, die im Jahr 2013 in Krankenhäusern behandelt wurden, trugen knapp 20.000 einen resistenten Keim in sich, 2010 waren es erst noch rund 15.000.

Ursachensuche: Halbwissen plus Druck von außen

Dessen ungeachtet erhielten 4 von 10 DAK-Versicherten im Jahr 2013 mindestens einmal Antibiotika verordnet. Amoxicillin (12%), Cefuroxim und Ciprofloxacin (je 11%) kamen am häufigsten zum Einsatz. Allein der Blick auf die Diagnosen, z. B. Erkältungen oder Bronchitis, ließ fast 30% dieser Verordnungen fragwürdig erscheinen [1].

Eine noch genauere Analyse ermöglicht die Studie zur repräsentativen Bevölkerungsbefragung, die das Meinungsforschungsinstitut FORSA Anfang 2014 im Auftrag der DAK vornahm und für die 3.100 Erwachsene rund um Antibiotika für sich selbst und ihre Kinder befragt wurden. Auffallend: Je 9 von 10 Befragten gaben an, um das Risiko der Resistenzbildung durch Antibiotika und um mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu wissen.

 
Es gibt die Tendenz, dass Patienten denken, es sich nicht leisten zu können, länger krank zu sein. Frank Meiners
 

Doch nahmen dies viele in Kauf, weil sie sich vielfältige Vorteile von der Einnahme versprachen. So erklärten 25% der Befragten, ihr Arzt sollte ihnen ein Antibiotikum verschreiben, wenn sie für den Beruf rascher wieder genesen müssten. Weitere 6% erhofften sich davon eine prophylaktische Wirkung, „damit meine Erkrankung erst gar nicht so schlimm wird.“

„Es gibt die Tendenz, dass Patienten denken, es sich nicht leisten zu können, länger krank zu sein“, bedauert Meiners. „Da tut dann Aufklärung Not. Ärzte sollten kommunizieren, warum eine Erkrankung ihre Zeit braucht, um abzuklingen.“ Was die DAK-Studie noch zeigt: Grundsätzlich haben Patienten großes Vertrauen in die Entscheidung ihrer Ärzte. 96% gaben an, vom Arzt verschriebene Antibiotika wie verordnet einzunehmen, 97% der befragten Eltern bejahten das in Bezug auf ihre Kinder.

Unter den Eltern zeigten sich viele als kritische Anwälte und vorsichtige Pfleger ihres Nachwuchses: 45% von ihnen betonten, Kindern mit Otitis media zunächst nur Schmerzmittel zu verabreichen. 87% der Eltern stimmten der Aussage zu, dass ihr Kind nur im absoluten Notfall Antibiotika bekomme.

 
Eine multidisziplinäre Leitlinie wäre …eine gute Grundlage für konkrete Empfehlungen gegenüber den Patienten. Prof. Dr. Gerd Glaeske
 

Gibt es bald eine Leitlinie?

Alarmierend bleiben die Aussagen von Subgruppen, die es künftig zu erreichen gilt. Zum Beispiel jene 11% der Erwachsenen, die in der Befragung angaben, eigenständig die Dosis zu reduzieren oder die Einnahme bleiben zu lassen, sobald es ihnen besser gehe. Oder die 2% der Eltern, die ihren Kindern grundsätzlich weniger Antibiotika als verordnet verabreichen.

Und schließlich jene 14% der Teilnehmer, die nicht verbrauchte Antibiotika aufheben, um sie später nutzen zu können – für sich selbst oder Verwandte. Offenbar ahnen sie nicht, dass an diesen Symptomen, so ähnlich sie sich äußern mögen, häufig andere Krankheitserreger schuld sind, gegen die eine andere Therapie wirkungsvoller wäre.

Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorsitzender des Vorstands der DAK Gesundheit, setzt nun auf die Macht der aktuellen Daten und der Medien und plant eine Informationskampagne: „Denn nur wenn ein Umdenken stattfindet, können wir auch in Zukunft auf die lebensrettenden Medikamente setzen.“

Auch eine Leitlinie für den Einsatz von Antibiotika im ambulanten Bereich möchte die DAK-Gesundheit auf den Weg bringen. Glaeske unterstützt das: „Eine multidisziplinäre Leitlinie wäre eine gute Möglichkeit, mehr Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken. Wenn sich die Arztgruppen, die häufig Antibiotika verschreiben, über Einsatzgebiete und Anwendung verständigen, wäre das eine gute Grundlage für konkrete Empfehlungen gegenüber den Patienten. Eine solche Leitlinie würde die Kommunikation erleichtern und die Verordnungsraten sicherlich senken.“

 

REFERENZEN:

  1. 1. DAK-Forschung (Hg.): Antibiotika-Report (online) 2014, 28.10.2014

 

Kommentar

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