In einem amerikanischen-israelischen Meinungsartikel im Journal of the American Medical Association (JAMA) plädieren Prof. Dr. Mary-Claire King von der University of Washington und Kollegen für ein allgemeines Screening auf Mutationen in den „Brustkrebsgenen“ BRCA1 und BRCA2 bei allen Frauen ab einem Alter von etwa 30 Jahren. Ihre Argumentation: Bei dem derzeit empfohlenen Gen-Screening von Frauen mit familiärer Belastung würden nicht alle Mutationsträgerinnen rechtzeitig identifiziert. Die Möglichkeit eines präventiven Eingriffs bliebe diesen Frauen damit verwehrt.
Es ist ein Vorschlag, der grundsätzlich auch von Prof. Dr. Rita K. Schmutzler, Direktorin des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs am Universitätsklinikum Köln, unterstützt wird. Allein: „Die Zeit für ein allgemeines Screening ist noch nicht reif“, sagt sie im Gespräch mit Medscape Deutschland. Denn der alleinige Nachweis einer BRCA-Genveränderung sage noch nichts über das individuelle Krebsrisiko einer Mutationsträgerin aus. So führten modifizierende Faktoren – wie Allel-Variationen innerhalb der BRCA-Gene selbst, hormonelle Faktoren oder auch modifizierende Gene – zu einer individuellen lebenslangen Krebswahrscheinlichkeit für Mutationsträgerinnen, die zwischen 30% und 80% schwankt.
„Erst wenn es möglich ist, einen persönlichen Risikoalgorithmus zu erstellen, käme aus Sicht des Deutschen Konsortiums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs ein allgemeines prädiktives Screening in Frage“, sagt Schmutzler, selbst Koordinatorin des Konsortiums.
Mutationsträgerinnen werden häufig erst nach ihrer Krebsdiagnose diagnostiziert
Bislang werden von Fachgesellschaften wie der US Preventive Services Task Force oder dem Deutschen Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs Tests auf BRCA-Genveränderungen nur bei Anzeichen einer familiären Belastung empfohlen, also wenn in der Familie z.B. mehrere Frauen an Brustkrebs erkrankt sind, oder bei einer Frau Brust- und Eierstockkrebs festgestellt wurde.
King und Kollegen betonen, dass chirurgische Eingriffe das Risiko der Mutationsträgerinnen, an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken, deutlich reduzieren können. Besonders die Salpingo-Oophorektomie, also die Entfernung der Eierstöcke und Eileiter, sei geeignet.
Die Autoren sehen aber ein Problem: „Viele Frauen mit Genveränderungen werden erst nach ihrer Krebsdiagnose als Mutationsträgerin identifiziert, weil die Familienanamnesen nicht eindeutig genug waren, um einen Gentest zu rechtfertigen.“ Deshalb sollte allen Frauen ab einem Alter von ca. 30 Jahren ein solches Genscreening ermöglicht werden, so die Schlussfolgerung des Autorenteams.
Gleiches Krebsrisiko bei Frauen mit und ohne familiäre Belastung
King und Kollegen stützen ihre Forderung auf eine Studie mit ihrer Beteiligung, die jüngst in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) publiziert worden ist [2].
Die Probanden für die Untersuchung waren aschkenasische Juden, eine Bevölkerungsgruppe, bei der familiär gehäufte Mammakarzinome fast ausschließlich auf 3 Genmutationen zurückzuführen sind. Dies hat den Untersuchungsaufwand minimiert (bekannt sind bereits über 400 verschiedene Veränderungen einzelner Genbausteine).
Auf diese 3 Mutationen im BRCA1- und BRCA2-Gen wurden zunächst mehr als 8.000 männliche Aschkenasim untersucht, von denen letztlich 175 Personen die Veränderungen in den Genen BRCA1 und BRCA2 trugen. Den weiblichen Verwandten dieser Mutationsträger wurde daraufhin ebenfalls ein Gentest angeboten. Diese Vorgehensweise stellte sicher, dass nicht nur – wie bislang meist üblich – Frauen getestet wurden, die bereits erkrankte Verwandte haben.
Viele Frauen mit Genveränderungen werden erst nach ihrer Krebsdiagnose als Mutationsträgerin identifiziert, weil die Familienanamnesen nicht eindeutig genug waren, um einen Gentest zu rechtfertigen.
Die Frauen, die auf diese Weise als Mutationsträgerinnen identifiziert wurden, hatten wie erwartet ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko: Die Wahrscheinlichkeit, bis zum 60. Lebensjahr an Brust- bzw. Eierstockkrebs zu erkranken, lag bei ihnen bei 60% (BRCA1) bzw. 33% (BRCA2), bis zum 80. Lebensjahr bei 83% (BRCA1) bzw. 76% (BRCA2).
Bemerkenswert war jedoch, dass in jeder 2. Familie, in der die Mutationen gefunden wurden, bislang keine Krebsfälle dokumentiert worden waren. Das Krebsrisiko war für alle Trägerinnen von Genmutationen gleich – unabhängig davon, ob in ihrer Familie selten oder häufig Krebs vorkam. Familien ohne besondere Häufung der Krebserkrankungen waren allerdings vergleichsweise klein, also gab es in ihnen auch weniger Frauen, die BRCA1- oder BRCA2-Mutationen erben und Krebs entwickeln konnten.
Persönliches Risikoprofil als wertvolle Entscheidungshilfe
Ein Gentest könnte also – so die Überlegung – auch jene Frauen identifizieren, bei denen eine familiäre Belastung (noch) nicht zu Tage getreten ist. Schmutzler warnt jedoch, dass die betroffenen Frauen derzeit noch mit uninterpretierbaren Ergebnissen allein gelassen würden. Denn die Frauen stehen nach einem positiven Befund vor schwierigen Entscheidungen. Sollen sie sich sofort operieren lassen oder besser an einem intensiven Früherkennungsprogramm teilnehmen?
Das persönliche Risikoprofil, dessen Erstellung laut Schmutzler in ein paar Jahren möglich sein wird, könnte dann eine wertvolle Entscheidungshilfe werden.
REFERENZEN:
1. King MC, et al: JAMA 2014; 312(11):1091-1092: http://dx.doi.org/10.1001/jama.2014.12483
2. Gabai-Kapara E, et al: Proc Natl Acad Sci U S A. 2014; 111(39):14205-14210: http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1415979111
Diesen Artikel so zitieren: BRCA-Mutationen: Sollen sich alle Frauen auf ihr Brustkrebsrisiko testen lassen? - Medscape - 20. Okt 2014.
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