Zöliakie und Weizensensitivität: Neues zu Gluten-Unverträglichkeiten

Gerda Kneifel | 9. Oktober 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Leipzig – Es gibt viele Irrtümer bezüglich der Zöliakie: Ist sie bei Übergewicht ausgeschlossen? Und leiden Zöliakie-Patienten stets unter chronischen Diarrhöen? Tatsächlich hat die Autoimmunerkrankung viele, wenig bekannte Symptome: „Auch Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Depressionen, Mangelerscheinungen, Kopfschmerzen, unklare leichte Leberwerterhöhungen oder Schilddrüsenfunktionsstörungen können ein Hinweis sein”, informierte Prof. Dr. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum Jena, auf dem Kongress Viszeralmedizin 2014 [1]. Laut einer neuen Studie in Pediatrics werden 2 Drittel aller Fälle übersehen – richtet man sich, wie von den internationalen Leitlinien empfohlen, nur nach den typischen Symptomen [2].

Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft (DZG) haben nun eine S2k-Leitlinie zu Zöliakie, Weizenallergie und Weizensensitivität herausgebracht, die die zahl

Es gibt unterschiedliche Formen der Zöliakie oder Sprue:

  • Die klassische Form, die sich durch Bilder von Kindern mit Blähbauch und dünnen Armen eingeprägt hat, ist lediglich die Spitze eines Eisbergs und tritt am seltensten auf.
  • Häufiger ist die atypische Zöliakie, die eine veränderte Morphologie im Dünndarm zeigt – eine mit Zottenverlust einhergehende Abflachung der Schleimhaut (villöse Atrophie).
  • Am häufigsten ist die latente beziehungsweise potenzielle Zöliakie mit normaler Morphologie der Darmschleimhaut, ohne Abflachung des Zottenreliefs.

Zu den Patienten mit latenter Zöliakie zählen diejenigen, bei denen die Krankheit bereits in der Kindheit diagnostiziert wurde und die durch glutenfreie Diät symptomfrei leben.

Patienten mit einer potenziellen Zöliakie zeigen zwar keine Veränderungen der Darmschleimhaut, aber sie weisen eine genetische Disposition (HLA-DQ2, DQ8) auf oder haben Verwandte 1. Grades mit Zöliakie. Oder es wurden zöliakiespezifische Antikörper nachgewiesen gegen Gewebstransglutaminasen (tTG- oder TG2-IgA), gegen Endomysium (EmA-IgA) oder gegen deamidierte Gliadin-Peptide (DGP-Antikörper).

Auch wenn zunächst keine Symptome auftreten, können sie bei der potenziellen Sprue später noch auftreten.

 

Die Prävalenz der Zöliakie insgesamt liegt bei 1:500. „Es ist keine Erkrankung der Kindheit, wie heute noch häufig geglaubt wird“, betont Dr. Jörg Felber, Klinik für Innere Medizin IV, Universitätsklinikum Jena. Die Krankheit tritt vielmehr in 2 Altersgipfeln auf, zwischen 9 Monaten und 3 Jahren sowie nach dem 4. Lebensjahrzehnt.

Wer sollte auf Zöliakie gescreent werden?

Die Zöliakie kann eine Vielzahl an Symptomen mit sich bringen: von Anämie und Angststörungen über Gelenkschmerzen und Nachtblindheit bis hin zu Dermatitis und Osteomalazie . „Nicht umsonst wird diese Erkrankung das Chamäleon der Inneren Medizin genannt“, erläutert Felber, der an der S2k-Leitlinie mitgewirkt hat. „Bezogen auf das Gewicht zeigte eine Untersuchung, dass von 371 Zöliakie-Patienten nur 5 Prozent untergewichtig waren. Das Gros war normalgewichtig, aber 39 Prozent waren übergewichtig oder gar adipös.“


„Zöliakie ist keine Erkrankung der Kindheit, wie
heute noch häufig geglaubt wird.“
Dr. Jörg Felber

Wen also sollte man auf die Erkrankung screenen? Die neue Leitlinie rät wie bisher, bei den typischen Symptomen zu screenen: also bei Bauchschmerzen, massigen Stühlen, geblähtem Bauch, Appetitlosigkeit, bei Jugendlichen bei Wachstumsstillstand und verzögerter Pubertät. Auch Menschen mit erhöhtem Risiko sollten einem Screening unterzogen werden, wozu erstgradig Verwandte von Zöliakie-Patienten zählen sowie Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1, Schilddrüsenerkrankungen, Down-Syndrom, Turner-Syndrom oder anderen stark mit Zöliakie assoziierten Erkrankungen.

„Generell aber empfiehlt die neue Leitlinie, eine niedrige Schwelle für die Diagnostik anzusetzen und kein Krankheitsbild als Ausschlusskriterium per se gelten zu lassen“, so Felber. „Zöliakie können also auch Adipöse oder Menschen mit Verstopfung haben.“

Diagnose durch Bestimmung der Antikörper

„Beim Screening sollten zuerst die Antikörper bestimmt werden, entweder die IgA-Klasse der Transglutaminase- oder der Endomysium-Antikörper. Wobei letztere Untersuchung die kompliziertere und teurere Variante ist. Sie sollten aber auch nicht vergessen, den Immunglobulin-A-Spiegel zu bestimmen, da die Patienten oft einen IgA-Mangel haben“, fasst Felber zusammen.

Liegt ein solcher Mangel vor, sollten IgG-Antikörper gegen deamidierte Gliadinpeptide bestimmt werden – „und zwar immer unter glutenhaltiger Ernährung, da die Antikörper schon binnen weniger Wochen negativ werden können“. Bei Nachweis dieser Antikörper sollte zeitnah eine Magenspiegelung folgen – inklusive der Entnahme von Biopsien des Zwölffingerdarms. „Es ist wichtig, dass man sich die Zeit nimmt, 6 Biopsien zu entnehmen, und zwar sowohl aus dem Bulbus als auch aus dem mittleren und distalen Duodenum.“

Damit unterscheiden sich die neuen Leitlinien von der gängigen Praxis, bei der 2, maximal 4 Biopsien gefordert sind, um eine eventuelle Abflachung der Zotten der Dünndarmschleimhaut nachzuweisen oder auszuschließen. Wichtig sind Biopsien auch im distalen Zwölffingerdarm, da sich bei der atypischen Zöliakie die abnorme Zottenarchitektur nicht immer flächenförmig ausbreitet. Über eine Endoskopie kann das Fehlen von Falten im Duodenum bereits einen Hinweis auf eine Zöliakie geben.

„Zöliakie können … auch Adipöse oder Menschen mit Verstopfung haben.“
Dr. Jörg Felber

Sichere Diagnose nur mit Biopsien

„Die Diagnose Zöliakie ist sicher bei positiver Serologie und bei positiver Histologie und bei Besserung der Symptome bei glutenfreier Diät“, betont Felber. „Die Diagnose ist ohne Biopsie nach den neuen Leitlinien nicht möglich. Lediglich bei Kindern mit klinischen Symptomen und Anzeichen einer Malabsorption kann darauf verzichtet werden, wenn der tTG-IgA-Antikörper-Titer den oberen Grenzwert um mehr als das Zehnfache überschreitet und gleichzeitig ein positiver EmA-IgA-Antikörper-Befund aus einer zweiten unabhängigen Blutprobe vorliegt, und wenn darüber hinaus ein Nachweis des Gens HLA-DQ2 oder -DQ8 vorliegt sowie nicht zuletzt die Symptome unter einer glutenfreien Diät verschwinden. Der Verzicht auf eine Biopsie sollte aber auf jeden Fall mit einem Kindergastroenterologen und den Eltern abgesprochen werden.“

Ein genetischer Test als Alternative zur Biopsie ist nicht möglich, so Felber. Zwar tragen 98% der Zöliakie-Patienten das Gen HLA-DQ2 und/oder DQ8 in sich. „Aber insgesamt besitzt ungefähr jeder dritte Mensch in Deutschland das Gen, und von ihnen erkranken nur 2 bis 5 Prozent.“

Eine Zöliakie erhöht das Risiko für ein Dünndarmkarzinom im Vergleich zur Gesamtbevölkerung um etwa das Zehnfache. Die Gefahr maligner Lymphome ist um etwa ein Dreifaches erhöht, Non-Hodgkin-Lymphome treten dreimal, Morbus Hodgkin fast doppelt so häufig auf. Gründe genug – neben der eingeschränkten Lebensqualität – die Diagnose mit der gebotenen Sorgfalt vorzunehmen.

„Die Diagnose Zöliakie ist sicher bei positiver Serologie und bei positiver Histologie und
bei Besserung
der Symptome bei glutenfreier Diät.“
Dr. Jörg Felber

Eine Diät gilt nach wie vor als die Therapie der Wahl. Mehr als 90% der Patienten sprechen auf eine glutenfreie Diät an, doch sie muss lebenslang streng durchgehalten werden. Denn bereits 0,1 g Gluten pro Tag führen zu Veränderungen der Dünndarmschleimhaut. Schon in einer Scheibe Brot sind 2,5 g Gluten enthalten.

Neues Phänomen: Weizensensitivität

Immer häufiger wird in letzter Zeit auch von einer Weizensensitivität berichtet. Hier verursachen Gluten oder Bestandteile des Weizens Magen-Darmbeschwerden, obwohl eine Zöliakie und Weizenallergie ausgeschlossen wurden. „Bislang sind keine Organschädigungen wie bei der Zöliakie oder bleibende Schäden bekannt“, berichtet Prof. Dr. Wolfgang Holtmeier, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie, Stoffwechselerkrankungen und Allgemeine Innere Medizin, Krankenhaus Porz am Rhein, Köln.

„Es fehlen außerdem spezifische Labor-Marker für die Diagnose dieser Erkrankung, die genau genommen ,Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität' heißt. Sie kann nur über eine Ausschlussdiagnose definiert werden.“ Eine Weizensensitivität unterscheidet sich von der Zöliakie im Zeitraum von der Glutenexposition bis zur Entwicklung von Symptomen. Bei der Zöliakie dauert es Wochen bis Jahre, bei der Weizensensitivität sind es Stunden bis Tage.

Unbekannt ist auch, wie häufig die Weizensensitivität auftritt: Schätzungen gehen von 1 bis 5% der Bevölkerung aus. Symptome können wie bei der Zöliakie auch außerhalb des Dünndarms auftreten, so zum Beispiel Kopfschmerzen und Müdigkeit. „Die Pathogenese ist ebenfalls unklar, es könnten auch andere Bestandteile des Weizens als das Gluten verantwortlich sein.“

Zur Diskussion stehen ATI-Proteine (Amylase-Tryptin-Inhibitoren), die in hochgezüchteten Getreidesorten vermehrt enthalten sind. Sie erhöhen die Resistenz gegen Schädlinge, aber auch das menschliche Immunsystem reagiert auf sie. „Es wird nicht nur darüber nachgedacht, ob sie die eigentlichen Auslöser der Weizensensitivität sind, sondern auch, ob sie eine Rolle bei der Zöliakie spielen“, berichtet Holtmeier.

Vermutlich verschiedene Auslöser

„Die ,Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität‘ … kann nur über eine Ausschlussdiagnose definiert werden.“
Prof. Dr. Wolfgang Holtmeier

„Hinter der Weizensensitivität verbergen sich aber vermutlich unterschiedliche Auslöser, wie das Gluten, ATIs oder auch FODMAPs“, vermutet der Kölner Gastroenterologe aufgrund aktueller Studien. „Insbesondere von FODMAPs werden Sie in Zukunft vermutlich noch häufiger hören.“ FODMAPs – also fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole – sind Kohlenhydrate und mehrwertige Alkohole, wie Fruktose, Laktose und Sorbitol. Im Jahr 2010 wurde erstmals darüber berichtet, dass sich eine FODMAP-arme Ernährung positiv auf funktionelle Darmerkrankungen auswirken kann [4].

„Nach einer gastroenterologischen Abklärung ist ein Therapieversuch durchaus gerechtfertigt“, so Holtmeiers Resümee. Die Versuche einer gluten- oder weizenfreien Diät sollten 2 bis 3 Wochen dauern. Aber Achtung: Glutenfrei bedeutet nicht immer FODMAP-arm! Stellt sich eine Besserung ein, sollten die Patienten erneut exponiert werden. Treten die Symptome wieder auf, hat man höchst wahrscheinlich einen weizensensitiven Patienten vor sich.

Referenzen

Referenzen

  1. Viszeralmedizin 2014 der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), 17. bis 20. September 2014, Leipzig
    Sitzung „Leitlinie Zöliakie“, 18. September 2014
    http://www.viszeralmedizin.com/indexL1.jsp
  2. Rosén A, et al: Pediatrics 2014; 133(2):211-218
    http://dx.doi.org/10.1542/peds.2012-3765
  3. DGVS und Deutsche Zöliakie-Gesellschaft (DZG): S2k-Leitlinie Zöliakie
    http://www.dgvs.de/fileadmin/user_upload/Leitlinien/Zoeliakie/021-021l_S2k_Zoeliakie_05_2014.pdf
  4. Gibson PR, et al: J Gastroenterol Hepatol. 2010; 25(2):252-258
    http://dx.doi.org/10.1111/j.1440-1746.2009.06149.x

Autoren und Interessenkonflikte

Gerda Kneifel
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Stallmach A, Felber J, Holtmeier W: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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