Wien – Bariatrische Operationen haben mittlerweile sehr niedrige Komplikations- und Mortalitätsraten. Dies wurde auf dem Kongress der EASD (European Association for the Study of Diabetes) in Wien deutlich [1]. Noch lassen sich aber weder das individuelle Risiko noch der Erfolg einer Operation bei einem Patienten zuverlässig vorhersagen.
Mortalität ähnlich niedrig wie bei anderen elektiven Operationen
Prof. Dr. Carol le Roux, Imperial College London, bezifferte die 30-Tage-Mortalität nach Einsetzen eines adjustierbaren Magenbandes mit 0 und nach Magenbypass mit 0,2% [2]. „Das sind für einen elektiven Eingriff akzeptable Zahlen“, meinte er.
„Auch bei der Sleeve-Gastrektomie ist die Mortalität nahe null“, ergänzte Prof. Dr. Beat Müller, Leiter der Sektion Minimalinvasive und Adipositaschirurgie am Uniklinikum Heidelberg, gegenüber Medscape Deutschland. „Das bestätigt eine prospektive klinische Studie aus Michigan; hier betrugen 30-Tage-Sterberaten 0,04% für das Magenband vs 0,14% für den Bypass vs 0 für den Schlauchmagen.“ [3]
Abdominale Zweitoperationen müssen laut einer Studie des LABS-Konsortiums bei 0,8% der Patienten mit Magenband und 3,2% mit Magenbypass vorgenommen werden. Insgesamt erleiden nach dieser Studie etwa 1% der Patienten mit Banding und 4,8% mit Bypass im ersten Monat Komplikationen [2].
Adjustierbares Magenband out?
Trotz der auf den ersten Blick günstigen Sicherheitsdaten für das adjustierbare Magenband wies Müller darauf hin, dass es in seinem Institut kaum noch angewandt wird: „Die Langzeitwirkung lässt zu wünschen übrig, und die Sicherheit dieser Methode ist nur kurzfristig höher; langfristig häufen sich die Komplikationen“, stellte er klar. „Die Patienten benötigen häufig zusätzliche Behandlungen. So kann das Band in den Magen einwachsen, oder es kann zu Bandbrüchen und -leckagen kommen.“ Nach 5 Jahren seien bereits bei jedem vierten Patienten mit Magenband Probleme festzustellen, und ein Ende sei nicht abzusehen.
Müller wendet das Magenband nur noch auf besonderen Patientenwunsch oder bei Patienten mit schwersten kardialen oder psychiatrischen Begleiterkrankungen an. Für diese könne die wenig invasive und zudem reversible Methode in der Tat eine brauchbare Alternative sein. Ansonsten bevorzugt Müller die langfristig einfacher zu handhabende Sleeve-Gastrektomie oder den sehr effektiven Magenbypass.
Hohe Expertise in deutschen Zentren
„Insgesamt spielt es eine große Rolle, wo die Operation ausgeführt wird“, betonte der Heidelberger Experte: „Je mehr Erfahrung in einem Zentrum besteht, desto geringer sind in der Regel die Komplikationsraten.“ Das zeigen auch die Daten aus Michigan. Hier variieren die schweren unerwünschten Ereignisse zwischen den Kliniken von 1,6% bis zur mehr als doppelt so hohen Rate von 3,5% [3].
In Deutschland habe es „in den letzten fünf bis zehn Jahren eine steile Lernkurve gegeben“, betonte Müller. Heute seien schwere Nebenwirkungen der Operation in spezialisierten deutschen Zentren für bariatrische Chirurgie sehr selten.
Individuelles Nutzen-Risiko-Verhältnis der Bariatrie nur ansatzweise erforscht
„Eine Operation mit dem Ziel, einen bestehenden Diabetes zu behandeln, ist am aussichtsreichsten beim jüngeren, noch nicht so lange erkrankten, dabei aber schwergewichtigeren Patienten“, skizzierte Müller den idealen Kandidaten. „Man sollte diese Patienten frühzeitig operieren, solange sie noch eine gewisse Restfunktion des Pankreas haben.“
Die von le Roux vorgestellten aktuellen Daten der SOS-Studie zeigen des Weiteren, dass die bariatrische Chirurgie bei Patienten (Diabetiker und Nichtdiabetiker) mit unterschiedlichstem Body-Mass-Index (BMI) in ähnlichem Ausmaß kardiovaskuläre Ereignisse verhindert. Prädiktiv für die Verhinderung von Herzproblemen ist demnach nicht der präoperative BMI, sondern der Nüchterninsulinspiegel: Patienten in den obersten beiden Quintilen, ab 19,5 mU/l, profitierten am meisten [4].
Letztlich lässt sich aber bisher weder das individuelle Risiko noch der Erfolg der bariatrischen Eingriffe anhand klinischer oder genetischer Marker einigermaßen sicher vorhersagen, betonten Müller und le Roux auf Nachfrage von Medscape Deutschland unisono.
Einfluss der Depression hängt von ihrer Genese ab
Viel diskutiert wurde der Zusammenhang von bariatrischer Chirurgie und Depression. Le Roux zitierte eine Studie, aus der einerseits hervorgeht, dass etwa jeder dritte Operierte mit Depression diese in den ersten 3 Jahren nach dem Eingriff überwindet. Andererseits kommen fast im gleichen Ausmaß neue Depressionspatienten hinzu [5].
„Es spielt eine Rolle, woher die Depression kommt“, erklärte Müller: „Eine endogene Depression, die auf neuroendokrinen Veränderungen beruht, kann durch eine Magenoperation nicht kausal behandelt werden.“
Ist dagegen die Adipositas der wichtigste exogene Auslöser der Depression, kann die OP sehr wohl eine Besserung bringen. Umgekehrt kann es dann aber bei erneuter Gewichtszunahme oder Stoffwechselverschlechterung auch mit dem Affekt wieder bergab gehen.
„Wir müssen unsere Patienten vor und nach der Operation aktiv auf ihr Befinden ansprechen“, forderte Müller. „Das muss auf Dauer nicht immer in einer psychologischen Sprechstunde geschehen. Es genügt, wenn der Hausarzt, der Chirurg oder der Diabetologe den Patienten im Blick behält und ihm von Zeit zu Zeit einen einfachen, aber aussagekräftigen Fragebogen (PhQ-D) vorlegt und ihm Schlüsselfragen stellt, etwa nach Suizidgedanken oder nach der Aufgabe von geliebten Hobbys, um eine neue oder erneut aufkommende Depression zu erkennen.“ Ein Psychosomatiker solle dann bei entsprechendem Verdacht hinzugezogen werden.