Metformin: Studie mit 12.000 Teilnehmern soll Klarheit zu den „wahren Nutzen und Risiken“ bringen

Sonja Böhm | 25. September 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Wien – „Es ist unglaublich, aber fünf Dekaden nach der Einführung von Metformin wissen wir immer noch so vieles nicht über den wahren Nutzen und die Risiken dieses weltweit am häufigsten eingesetzten Diabetesmedikaments.“ Dieses Zitat, geäußert beim diesjährigen europäischen Diabeteskongress in Wien, stammt ausgerechnet von Prof. Dr. Rury Holman, Oxford University, einem der Studienleiter der UKPD-Studie, mit der vor 16 Jahren der Siegeszug des Biguanids in der Therapie des Typ-2-Diabetes begonnen hat.

Doch in der Michael-Berger-Debatte beim EASD-Kongress hatte Holman den Part mit dem Titel übernommen: „Die Evidenz für Metformin ist unklar“, während Prof. Dr. Harold E. Lebovitz, Abteilung für Endokrinologie und Metabolismus/Diabetes an der State University of New York, für eine „überwältigende Evidenz“ des Antidiabetikums plädierte [1].

Unklar sind vor allem der kardiovaskuläre und der Krebs-Schutz

Tatsächlich war es dann mit der Kontroverse aber doch nicht so weit her. In einigen Aspekten, so waren sich beide einig, fehlt es für das so häufig eingesetzte, in allen Leitlinien als Firstline-Therapie empfohlene Antidiabetikum an den soliden Studiendaten – und das betrifft, wie Holman ausführte, vor allem den kardiovaskulären Nutzen des Medikamentes sowie eine mögliche Krebsprävention, auf die es Hinweise aus epidemiologischen Studien gibt.

„Es ist unglaublich, aber fünf Dekaden nach der Einführung von Metformin wissen wir immer noch so vieles nicht über den wahren Nutzen und die Risiken dieses weltweit am häufigsten eingesetzten
Diabetes-
medikaments.“
Prof. Dr. Rury Holman

Keinen Zweifel gibt es an der effektiven, dosisabhängigen Blutzuckersenkung durch Metformin, betonten beide Referenten. Ebenso steht außer Zweifel, dass das Biguanid die Entstehung eines Typ-2-Diabetes verzögern kann, wie die DPP-Studie (Diabetes Prevention Program) [2] bestätigt hat. Vermittelt werde dies wahrscheinlich durch den günstigen Effekt des Medikamentes auf das Körpergewicht, meinte Lebovitz. Auch das niedrige Hypoglykämierisiko – und natürlich der günstige Preis – sprechen für Metformin als Firstline-Medikament, so der New Yorker Diabetologe.

Eines der Hauptargumente für das Biguanid war nach UKPDS 34 aber, dass – „vollkommen unerwartet“, wie Holman sich erinnert – es das einzige Antidiabetikum war, für das ein positiver Effekt auf makrovaskuläre Endpunkte nachgewiesen werden konnte: Um 39% wurde das Herzinfarktrisiko reduziert und das Sterberisiko insgesamt um 36% (beides p = 0,01) [3]. Doch hatten in der Studie nur insgesamt 342 übergewichtige Patienten Metformin erhalten, was immer wieder kritisiert worden war. Doch, so wandte Holman in Wien ein, sei die Ereignisrate recht hoch und ausreichend für eindeutige statistische Aussagen gewesen.

Kardiovaskuläre Protektion durch Metformin unabhängig von der Blutzuckersenkung?

Nach UKPDS gab es zum Metformin nur noch wenige gut kontrollierte Studien, räumt auch Lebovitz ein. Er betonte, dass es in UKPDS etwa 6 Jahre gedauert hatte, bis Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen zugunsten von Metformin zu sehen waren. Doch haben zahlreiche Beobachtungsstudien einen günstigen Effekt von Metformin auf makrovaskuläre Ereignisse bestätigt – und zwar sowohl im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen als auch zu Placebo. Metaanalysen, die keinen kardiovaskulären Schutz durch Metformin nachweisen konnten, haben nach Ansicht von Lebovitz in der Regel einfach zu viele Studien von zu kurzer Dauer eingeschlossen.  

Eine retrospektive – bislang unveröffentlichte – Auswertung von UKPDS-Daten lässt wie Holman berichtete, den Schluss zu, dass der kardiovaskuläre Benefit von Metformin nicht dosisabhängig ist. Laut Lebovitz lässt auch die lange Zeitspanne bis zu kardiovaskulären Prävention von 6 bis 9 Jahren auf eine von der Blutzuckersenkung unabhängige kardiovaskuläre Protektion durch das Biguanid schließen.

Überhaupt ist jedoch zum Wirkmechanismus von Metformin ebenfalls bis heute erstaunlich wenig bekannt. „Zu Beginn glaubten wir, Metformin sei ein Insulinsensitizer“, sagte Holman. „Doch dafür gibt es sehr wenige Beweise.“ Die Hauptwirkung bestehe wohl in der Unterdrückung der hepatischen Glukoseproduktion mit einer Aktivierung der AMP-aktivierten Proteinkinase. Dies wird auch als möglicher Mechanismus für die vermutete krebspräventive Wirkung von Metformin diskutiert. Zusätzlich ist inzwischen aber auch nachgewiesen, dass Metformin die GLP-1-Freisetzung fördert.

„Zu Beginn glaubten wir, Metformin sei
ein Insulinsensitizer. Doch dafür gibt es sehr wenige Beweise.“
Prof. Dr. Rury Holman

Gerade was die Krebsprävention angeht, ist ebenfalls noch vieles unklar. Für Typ-2-Diabetiker, die etwa für Pankreas-, Leber- und Endometriumkarzinome ein doppelt so hohes Risiko haben wie Nicht-Diabetiker, und deren Risiko für andere Krebsarten wie kolorektale oder Mammakarzinome um immerhin 20 bis 50% erhöht ist, wäre ein solcher zusätzlicher Schutz sehr wünschenswert. Aus epidemiologischen Daten gibt es Hinweise, dass Metformin das Krebsrisiko senken könnte. Doch, so berichtete Holman, konnten Oxford-Wissenschaftler in einer Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien dies nicht bestätigen [4].

GLINT-Studie mit über 12.000 Teilnehmern soll mehr Klarheit bringen

Mehr Klarheit soll nun eine große randomisierte kontrollierte Studie mit Metformin bringen: GLINT (Glucose Lowering In Non-Diabetic Trial) wird unter Leitung von Holman und Prof. Dr. Nick Wareham von der Universität Cambridge stattfinden. Die multizentrische prospektive placebokontrollierte kardiovaskuläre Endpunktstudie wird in wenigen Wochen starten, informierte Holman. Mehr als 12.000 Teilnehmer – ohne Diabetes, aber mit bereits erhöhten HbA1c-Werten noch im Normbereich – und mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko sollen aufgenommen werden. „Eine Studie mit manifesten Typ-2-Diabetespatienten konnten wir aus ethischen Gründen nicht machen, denn diese müssen ja bereits mit Metformin behandelt werden“, sagte Holman.

Die Studienmedikation wird vom Unternehmen Merck zur Verfügung gestellt – aber die Studie unabhängig von den Universitäten Oxford und Cambridge durchgeführt. Der primäre Studienendpunkt wird die Kombination von kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall sein, sekundäre Endpunkte sind die Krebshäufigkeit und Neudiagnosen von Diabetes. Die Studie soll laut Holman mindestens 6 Jahre dauern. Erst im Jahr 2022 sei mit den Ergebnissen zu rechnen. Zu diesem Zeitpunkt ist Metformin bereits 65 Jahre als Antidiabetikum im Einsatz – und vielleicht wird dann endlich klar sein, inwieweit der weltweit am häufigsten eingesetzte Blutzucker senkende Wirkstoff auch vor kardiovaskulären Ereignissen und vor Krebs schützt.

Referenzen

Referenzen

  1. 50th Annual Meeting of the European Association for the Study of Diabetes (EASD), 15. bis 19. September 2014, Wien
    http://www.easdvirtualmeeting.org/contentsessions/1916
  2. Diabetes Prevention Program Research Group: NEJM 2002;346:393-403
    http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa012512
  3. UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group: Lancet 1998;352(9131):854–865
    http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(98)07037-8
  4. Stevens RJ, et al: Diabetologia 2012;55:2593-603
    http://dx.doi.org/10.1007/s00125-012-2653-7

Autoren und Interessenkonflikte

Sonja Böhm
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Holman R: Forschungsunterstützung von Bayer, BMS, MSD für (für Untersucher-geführte Studien),
Honorare von Amgen, Bayer, Elcelyx, Janssen, MSD, Novartis, Novo Nordisk

Lebovitz H: gibt an, keine Interessenkonflikte bei dem referierten Thema zu haben.

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