Erfolgsmodell: Zehn Jahre Hausarztzentrierte Versorgung in Sachsen-Anhalt

Christian Beneker | 17. September 2014

Autoren und Interessenkonflikte

„Wange an Wange“ – solche harmonischen Bilder benutzt Mathias Tonnier von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA), wenn er die Kooperation zwischen Krankenkassen, Hausärzteverband und der KV im Lande charakterisieren soll. Anlass ist das 10-jährige Jubiläum der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) in Sachsen-Anhalt.

Die Versorgung der Patienten und das Einkommen der Hausärzte hätten sich verbessert, hieß es. Allerdings funktioniert die Kooperation nur, weil sich der Hausärzteverband des Landes vom Bundesverband und vor allem von der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft (HÄVG) distanziert und der KVSA angenähert hat.

Die KV, die AOK und der Hausärzteverband Sachsen-Anhalt e.V. sowie die IKK gesund plus schlossen am 1. Juli 2004 Hausarztverträge, an denen sich bis heute etwa 90% der Hausärzte in diesem Bundesland beteiligen. Eingeschrieben sind knapp 1.400 Ärztinnen und Ärzte sowie mehr als 400.000 Versicherte. Versicherte der AOK Sachsen-Anhalt sind zu 35 bis 58% in der HZV, die der IKK gesund plus zu 22 bis 42%.

„Die teilnehmenden Versicherten profitieren von kürzeren Wartezeiten, zusätzlichen Vorsorgeleistungen und einer organisierten medizinischen Betreuung.“
Prof. Dr. Thomas Lichte

Medizinische Versorgung verbessert

„Die teilnehmenden Versicherten profitieren von kürzeren Wartezeiten, zusätzlichen Vorsorgeleistungen und einer organisierten medizinischen Betreuung“, heißt es in einer Pressemitteilung der Vertragspartner [1]. Prof. Dr. Thomas Lichte, niedergelassener Allgemeinmediziner in Lauenbrück und Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg, hat die Verträge evaluiert [2].

Die Daten ergäben sich aus Routinedaten der Krankenkassen und der KVSA sowie aus Befragungen der teilnehmenden Versicherten und Hausärzte, so Lichte. Die Vorteile der HZV zeigten sich darin, dass bei eingeschriebenen Patienten „im Gegensatz zu nicht eingeschriebenen ein Viertel weniger stationäre Einweisungen aufgrund von Herzerkrankungen erfolgen“, erklärt Lichte. „Zusätzlich fällt weniger häufig der Weg zum Kardiologen an, ohne grundsätzlich auf eine gute Versorgung verzichten zu müssen.“

So konnten auch gefährlich Arzneimittelkombinationen um 14 bis 18% verringert werden. Zudem sind die Ärzte besser informiert über den Gesundheitszustand ihrer Patienten. Teilnehmende Praxen behandeln durchschnittlich 20% mehr Patienten als nicht teilnehmende Praxen. Das ist vor allem wegen der Entlastung durch Praxisassistentinnen möglich. Jede dritte Praxis verfügt über ausgebildete Praxisassistentinnen (Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis – VERAH).

Rund 67% der Patienten wurden zum Facharzt überwiesen; die Hausärzte sind also tatsächlich die Lotsen im System. Nicht eingeschriebene Patienten wurden nur zu 35% zum Facharzt überwiesen. Gleichzeitig sanken bei eingeschriebenen Patienten die Notaufnahmen ins Krankenhaus um 3,3%.

Erfolgsmodell HZV

Insgesamt laufen in Sachsen-Anhalt inzwischen 6 Hausarztverträge. Damit haben sich 500.000 der rund 2 Millionen Versicherten eingeschrieben, sagt Tonnier. Bis auf den Vertrag mit der Techniker Krankenkasse (TK) sind alle Vereinbarungen Add-on-Verträge. Das heißt, nur beim Vertrag mit der TK werden die hausärztlichen Honoraranteile durch Geld aus dem Vertrag ersetzt und eigens an die teilnehmenden Hausärzte ausgeschüttet. „Wir haben das Gesamthonorar um das Geld aus dem TK-Vertrag sozusagen selbst bereinigt und dann ausgezahlt“, sagt Tonnier.

Bei Add-on-Verträgen dagegen erhalten die teilnehmenden Ärzte das Geld zusätzlich zum Regelleistungsvolumen (RLV), also extrabudgetär. „Das Wichtigste ist, dass wir in allen Verträgen die administrierende Servicestelle sind“, sagt Tonnier zur Medscape Deutschland, „auch beim Vollvertrag mit der Techniker Krankenkasse.“ Will sagen: Die KVSA rechnet die Verträge ab, nicht die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG).

Das Modell funktioniert so gut, weil der Hausärzteverband Sachsen-Anhalt damit einen Sonderweg geht: Der Landesverband legt keinen Wert darauf, mit der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft zusammenzuarbeiten. Im Gegenteil. Er hat 2010 die HÄVG verlassen und auf die KV als Partnerin gesetzt.

„Wir haben in der KVSA eine starke Hausarztfraktion“, begründet Stefan Andrusch, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Sachsen-Anhalt, gegenüber Medscape Deutschland die Entscheidung seines Verbandes. „Die Vertreterversammlung ist pari-pari besetzt.“ So brauchen die Hausärzte im Land nicht zu befürchten, von den Fachärzten dominiert zu werden.

Hausärzte mit neuer Versorgungsform zufrieden

„Außerdem haben sich die Mitglieder des Landesverbandes seinerzeit gegen zusätzliche Abrechnungsstrukturen entschieden, die bei der Abrechnung über die HÄVG zwangsläufig in jeder Praxis hätten installiert werden müssen“, so Andrusch. „Unsere Entscheidung hat sich auf alle Fälle bewährt“, sagt der Hausärzte-Chef heute. „Über 80 Prozent der befragten Hausärzte gaben an, mit der neuen Versorgungsform sehr beziehungsweise zufrieden zu sein.“

Und die Honorare? Ob in Sachsen-Anhalt der Vollvertrag mit der TK oder ein Add-on-Vertrag lukrativer ist für die Hausärzte, wollte KV-Vertreter Tonnier nicht kommentieren. Klar ist: Die Gesamtsumme an Umsatz aller 6 Verträge betrage rund 20 Millionen Euro jährlich, bestätigt Tonnier. Das sind pro Praxis rund 14.300 Euro im Jahr.

Laut Andrusch ist die sachsen-anhaltische Konstruktion allerdings nichts für die Ewigkeit. Wenn sich die Gewichte in der KVSA zugunsten der Fachärzte verschieben „und wir mit der KVSA Probleme bekommen würden, dann würden wir vielleicht auch auf die HÄVG zurückgreifen“.

Referenzen

Referenzen

  1. Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt: Gemeinsame Pressemitteilung: 10 Jahre Hausarztzentrierte Versorgung in Sachsen-Anhalt, 12. September 2014
    http://www.kvsa.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen_detail/artikel/entscheidung-des-bundessozialgerichts-zur-vertragsaerztlichen-versorgung-in-sachsen-anhalt-versorgu.html
  2. Lichte T: Evaluation der Hausarztzentrierten Versorgung in Sachsen-Anhalt von, September 2014
    http://www.kvsa.de/fileadmin/user_upload/PDF/Presse/Pressemitteilungen/2014/Fakten_zur_Evaluation_10_Jahre_Hausarztzentrierte_Versorgung.pdf

Autoren und Interessenkonflikte

Christian Beneker
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Tonnier M, Lichte T, Andrusch S: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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