
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat das Portal „igel-aerger.de“ gestartet, auf dem Patienten ihren Ärger loswerden können. „Viele Patienten fühlen sich im Sprechzimmer unter Druck gesetzt und schlecht aufgeklärt“, begründen dies die Verbraucherschützer. Dies ärgert vor allem die Repräsentanten der Ärzteschaft. Sie sehen die Ärzte an den Pranger gestellt und kritisieren Meinungsmache.
„Das Portal ist ein Negativbeispiel für die Vorverurteilung einer gesamten Berufsgruppe“, sagt Dr. Dirk Heinrich, der Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes gegenüber Medscape Deutschland. Allein der Domain-Name „igel-aerger“ enthalte per se eine negative Beurteilung aller individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL). Dabei gebe es viele sinnvolle ärztliche Leistungen, die die gesetzliche Krankenversicherung nicht abdecke, zum Beispiel Vorsorgeuntersuchungen, Reiseschutzimpfungen oder kosmetische Behandlungen.
Das Portal unterstelle ferner, dass zu wenig Aufklärung über IGeL betrieben werden, was falsch sei. Bereits vor 3 Jahren hätten die ärztlichen Verbände Infobroschüren für Ärzte und Patienten veröffentlicht [1]. „Einen Ärztepranger braucht keiner“, meint Heinrich.
Verbraucherzentralen sind die falschen Adressaten für Fehlverhalten

Auch der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Roland Stahl, kritisiert, das neue Portal suggeriere, dass Patienten machtlos ihren Ärzten ausgeliefert seien: „Hier muss man die Kirche im Dorf lassen. Ärzte gehen in aller Regel verantwortungsbewusst mit IGeL um.“
Schließlich sei das Vertrauensverhältnis zu den Patienten für die Ärzteschaft enorm wichtig. „Wenn ich eine Krämerseele an den Tag lege und versuche, etwas zu verkaufen, dann verlieren die Patienten das Vertrauen und sie kommen nicht wieder“, sagt Stahl. IGeL-Leistungen würden zudem häufig von ökonomisch besser gestellten und gebildeteren Schichten in Anspruch genommen – in der Regel eine selbstbewusste Klientel, die kritisch nachfrage.

Dr. Angela Moewes, Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des Berufsverbandes der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), findet es in Teilen korrekt, wenn auch Verbraucherschützer Informationen geben. Nicht richtig findet sie, dass unseriöses Arztverhalten an die Verbraucherzentrale gemeldet werden soll. „Hier ist die Ärztekammer der richtige Adressat, an die sich Patienten wenden können“, so Moewes. Auch hätten die Verbraucherzentralen gar nicht die Kompetenz, einzelne Ärzte abzumahnen, so wie sie es ankündigt hätten.
Widersprüchliche Umfrageergebnisse von Verbraucherzentrale und KBV
Anlass zur Gründung des Portal sei eine Online-Umfrage von 15 Verbraucherzentralen unter 1.734 Teilnehmern aus dem Jahr 2012 gewesen, so die Projektleiterin Christiane Lange von der Verbraucherzentale NRW auf Anfrage von Medscape Deutschland [2]. Insbesondere bei der Frage, ob die Patienten ordentlich von Ärzten aufgeklärt wurden, seien Missstände zu Tage getreten, da oft nicht über Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen der privaten Leistungen aufgeklärt worden sei.

Viele Patienten fühlten sich zudem gedrängt. Nur die Hälfte der Patienten gab an, dass sie ausreichend Bedenkzeit gehabt hätten. Eine KBV-Umfrage aus dem Jahr 2013 unter Patienten kam jedoch zu einem anderen Ergebnis: Die Befragung unter 6.093 Patienten ergab, dass nur 21% der Patienten IGeL-Leistungen durch Ärzte angeboten wurde. 90% gaben an, ausreichend Bedenkzeit gehabt zu haben [3].
Verbraucherzentrale: In drei Tagen über 200 Beschwerden
In den ersten 3 Tagen seit der Freischaltung von www.igel-aerger.de seien schon 200 Beschwerden eingegangen, sagt Verbraucherschützerin Lange. „Wir werden die Beschwerden systematisch auswerten und dazu beitragen, dass die Diskussion erweitert und versachlicht wird“, so die Juristin. Da die Beschwerden nicht öffentlich zugänglich gemacht würden, werde kein Arzt an den Pranger gestellt werden. „Uns geht es am Ende um das Wohl des Verbrauchers und um Verbesserungen am Markt.“
die Vorverurteilung einer gesamten Berufsgruppe.“
Schließlich hätte sich die Ärzteschaft selbst gute Regeln im Umgang mit IgeLn gesetzt. Doch diese werden laut Lange häufig nicht eingehalten. Dies seien keine Einzelfälle oder erdachte Geschichten, stellt sie klar. So wisse man von vielen Beschwerden, dass oftmals keine Rechnungen oder falsche Rechnungen gestellt würden. Patienten fühlten sich auch häufig anders vom Arzt behandelt, wenn sie zum Angebot von IGeL Nein sagen. „Sie ernten damit oft Kopfschütteln und fühlen sich wie Patienten zweiter Klasse behandelt“, meint Lange.
Finanziert wird „igel-aerger.de“ laut der Verbraucherzentrale NRW zu 100% in Höhe von 689.900 Euro auf einen Förderzeitraum von zweieinhalb Jahren mit Zuschüssen vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.
Die Verbraucherzentrale NRW wolle keine Meinungsmache gegen Ärzte betreiben, sondern zu einem besseren Verständnis zwischen Arzt und Patient beitragen, betont Lange. „Vielleicht bekommen die Ärzte, die sich auf igel-aerger.de informieren wollen, auch ein besseres Gefühl dafür, was Patienten umtreibt.“ Oftmals trauten sich Patienten nicht, ihren Ärger mit IGeL direkt beim Arzt anzusprechen. Der Name „igel-aerger“ fasse zusammen, um was es gehe, betont Lange. In keinem Satz werde jedoch behauptet, dass Ärzte Abzocker seien oder alle IGeL-Leistungen unnütz.
auf igel-aerger.de informieren wollen, auch ein besseres Gefühl dafür, was Patienten umtreibt.“
Zweifelhafte Extras oder sinnvolles Angebot?
Trotzdem schreibt die Verbraucherzentrale in ihrer Pressemitteilung, dass Mediziner im Sprechzimmer den Erfolg und Nutzen für medizinische Extras anpreisen, die therapeutisch häufig zweifelhaft seien [4]. „Sehr viele Menschen machen täglich gute Erfahrungen mit IGeL bei ihrem Arzt“, hält NAV-Virchow-Bundesvorsitzender Heinrich entgegen. Gleichwohl gingen bei einigen IGeL-Leistungen die Meinungen weit auseinander.
So bestehe zum Beispiel bei Früherkennungsuntersuchungen die Gefahr, dass ein Patient sich aufgrund einer Vorstufe oder Veranlagung für eine Krankheit mehr Sorgen mache, als es nötig sei. Und nicht immer könne eine Krankheit gut geheilt werden, weil sie früh erkannt wurde. Deshalb sei die Beratung mit dem Arzt vor einer Selbstzahlerleistung so wichtig. „Kein Arzt wird einem Patienten eine Leistung verkaufen, die ihm schadet“, betont Heinrich. Im Zweifelsfall sei es für den Patienten ratsam, eine zweite Meinung einzuholen.
einem Patienten eine Leistung verkaufen, die ihm schadet.“
„Es gibt im Katalog der GKV nur ein begrenztes Leistungsspektrum, das ausreichend, wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Es wird nicht alles bezahlt, was auch von den Patienten gewünscht wird“, betont Moewes. Der Gesundheitsmarkt wachse und viele Patienten fragten bei Ärzten nach, was sie darüber hinaus für sich tun könnten. Ärzte wollten häufig wegen der gestiegenen Nachfrage ihren Patienten auch etwas anbieten, um den Markt nicht Drittanbietern zu überlassen. „Die beste Qualität einer Leistung bekommt der Patient vom Arzt, der an strikte enge rechtliche Vorgaben gebunden ist.“
Was das ärztliche Gebaren anbelangt, sei es der Regelfall, dass korrekte Rechnungen gestellt und Behandlungsverträge geschlossen würden, betonte NAV-Virchow-Bundesvorsitzender Heinrich. Dass es wie überall auch bei Ärzten auch schwarze Schafe gebe, sei allerdings klar. „Hier sprechen wir allerdings von einer verschwindend kleinen Minderheit. Das bewusst und im großen Stil schwarz geigelt wird, wäre mir neu.“