München – Altersbedingte Leistungsunterschiede im Denkvermögen und bei der Motorik können durch nicht-invasive Methoden der Hirnstimulation teilweise kompensiert werden. So lautet die Bilanz eines Symposiums auf der Neurowoche 2014, an der annähernd 7.000 Vertreter verschiedener neurologischer Fachdisziplinen teilnehmen [1].
(Sport) nutzen gar nichts, ein Jahr
sollte es schon sein.“
Gefragt wurde in dem Symposium „Cognition and ageing: from mechanisms to interventions“ zunächst, welchen Einfluss regelmäßige körperliche Aktivität auf kognitive Parameter im Alter hat. Prof. Dr. Michael Falkenstein, Leiter der Projektgruppe „Altern, Kognition und Arbeit" am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund, stellte dazu eigene Forschungsergebnisse vor. Er hat zusammen mit seinen Kollegen einer Gruppe von 20 Senioren, die früher sehr intensiv Basketball gespielt haben, 20 sportlich passive Kontrollpersonen gegenüber gestellt und einer Reihe von psychometrischen Tests unterzogen.
Lediglich bei 2 von 10 Tests fanden sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen: In dem Persönlichkeitstest NEO-FII war die Dimension „agreeableness“ – übersetzbar etwa mit „angenehmes Wesen“ oder „Freundlichkeit“ – bei den sportlichen Alten stärker ausgeprägt. Bei der Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnis, der Wortflüssigkeit und anderen Eigenschaften fanden sich keine signifikanten Differenzen zwischen den Gruppen. Lediglich beim Stroop-Test, der die Konfliktverarbeitung und die Resistenz gegen Ablenkungen misst, waren die Sportler eindeutig besser.
Hierbei werden die Worte „Gelb“, „Grün“, „Rot“ und „Blau“ in zufälliger Reihenfolge eingeblendet, teils in der korrespondierenden Farbe (kongruente Bedingung), dann wieder in einer anderen Farbe. Die Probanden müssen dann möglichst schnell die Farbe benennen und sollen sich nicht von dem Wort selbst ablenken lassen, das unter Umständen eine andere Farbe signalisiert (inkongruente Bedingung).
Nur viele Jahre Sport nützen dem Gehirn
Falkenstein und sein Team haben die Unterschiede zwischen Ex-Sportlern und passiven Alten nun mit Hilfe der Elektroenzephalographie (EEG) und der Messung ereigniskorrelierter Potentiale (EKP) näher untersucht. Demnach beruht das bessere Abschneiden der sportlichen Senioren im Stroop-Test nicht auf der Vorbereitungsphase, sondern auf einer kürzeren Latenz der P2 (Reizverarbeitung) sowie einer negativ fronto-zentralen Verschiebung (N2, N450 = Reaktionsauswahl) besonders bei inkongruenten Bedingungen.
Das heißt: Lebenslange sportliche Aktivität scheint demnach nicht die Interferenzverarbeitung per se zu verbessern, erläuterte Falkenstein. „Vielmehr deuten die Daten auf eine allgemeine Beschleunigung der Reizverarbeitung und eine Verstärkung der Reaktionswahl hin.“ Diese unspezifischen Veränderungen würden sich jedoch nur bei den schwierigen Bedingungen im Verhalten auswirken.
Derartige Effekte könnten wohl durch längerfristige sportliche Betätigung erzielt werden, glaubt Falkenstein. „Vier Wochen nutzen gar nichts, ein Jahr sollte es schon sein.“ Ob dabei verschiedene Sportarten unterschiedliche Effekte haben, ist eine der nächsten Fragen, die er mit seinem Team untersuchen will.
Kann elektrische Stimulation Hirnleistungen verbessern?
Außer Sport gibt es aber auch andere Methoden, um die geistige Leistungsfähigkeit zu beeinflussen, wie Prof. Dr. Michael Nitsche, Oberarzt an der Klinik für Klinische Neurophysiologie der Universitätsmedizin Göttingen erläuterte: „Die transkranielle Hirnstimulation ermöglicht es, die neuronale Plastizität gezielt zu stimulieren.“ Hier gibt es jedoch mehrere Caveats: Ob die unter verschiedenen Varianten der Methode erzielten funktionalen Effekte eine Bedeutung für das richtige Leben haben, ist noch unbewiesen.“
die neuronale Plastizität gezielt
zu stimulieren.“
Erschwert werde die Forschung auch dadurch, dass die Wirkungen nicht linear sind. So könne es durchaus sein, dass mit 13-minütiger Stimulation eines Areals die Plastizität zunehme, bei einer doppelt so langen Stimulation jedoch das Gegenteil passiert. Nicht einmal die Annahme, dass die Plastizität im höheren Alter vermindert ist, sei eindeutig belegt, berichtete Nitsche. Untersuchungen hierzu hätten teils „heterogene“ Ergebnisse erbracht.

Ein Experiment zur Förderung des Lernen und der langfristigen Retention neu erworbener motorischer Fähigkeiten präsentierte Dr. Friedhelm Hummel vom Labor für funktionelle Bildgebung und Neurostimulation der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Er zeigte zunächst, dass die Fähigkeit, bestimmte sequentielle Fingerbewegungen auszuführen, von jungen Probanden nach 30-minütigem Training viel schneller erlernt wird, als bei alten. Führt man solch ein Training an 5 aufeinander folgenden Tagen durch, verbessern sich beide Populationen, der Unterschied in der Leistung aber bleibt annähernd gleich. Ähnliche Differenzen zeigen sich auch in anderen Domänen, etwa beim Vokabellernen, erläuterte Hummel.
Eine mögliche Ursache sieht der Forscher in der verringerten Integrität von grauer und weißer Substanz des Gehirns bei älteren im Vergleich zu jüngeren Personen. Angesichts der mindestens 8 Areale, die an der Motorik beteiligt sind, stellt sich die Frage, ob strukturelle Veränderungen in den Verbindungen zwischen diesen Arealen den Lernerfolg beeinflussen, so Hummel. Tatsächlich ist es Hummels Team erst kürzlich gelungen, eine Korrelation zwischen der Integrität dieses Netzwerks mit dem Lernerfolg bei gesunden Senioren zu zeigen [2].
Schwache Gleichströme gegen schwache Hirnleistung
Neben den strukturellen Voraussetzungen spielt auch die Biochemie eine wichtige Rolle beim Lernen. Insbesondere die Neurotransmission durch die Botenstoffe GABA und Dopamin sei im Alter beeinträchtigt. Das konnte unter anderem Hummels Kollegin Prof. Dr. Agnes Flöel, Leiterin der AG Kognitive Neurologie an der Klinik für Neurologie der Charité Berlin, schon vor vielen Jahren zeigen [3].
stellt eine vielversprechende Interventionsstrategie dar, um kognitive Beeinträchtigungen bei Alten zu lindern.“
Inzwischen interessieren sich Flöel, Nitsche und Hummel mehr für die Möglichkeiten der nicht-invasiven Hirnstimulation, insbesondere mit schwachen Gleichströmen (tDCS). Hummel fand dabei einen „überraschend großen Effekt“, als er die Fingerübungen seiner Probanden mit tDCS unterstützte. Nach 90 Minuten hatte sich bei einer Gruppe von 60 bis 90-Jährigen die Zahl der korrekten Sequenzen gegenüber einer scheinstimulierten Kontrollgruppe bereits um ein Drittel erhöht. 5 Trainingsblocks an aufeinander folgenden Tagen bewirkten annähernd eine Verdoppelung der Trefferquote, wobei der Unterschied zur Kontrollgruppe ab dem dritten Tag signifikant war.
Diese Wirkung hielt auch bei weiteren Tests nach 10 Tagen, 20 Tagen und sogar 60 Tagen an, wobei die Werte sich gegenüber dem Ende des Trainings nach 2 Monaten lediglich um etwa 25% reduziert hatten. „Also scheint es möglich zu sein, diese Fähigkeit bei Älteren zu verbessern“, folgerte Hummel. „Die nicht-invasive Hirnstimulation stellt eine vielversprechende Interventionsstrategie dar, um kognitive Beeinträchtigungen bei Alten zu lindern, oder sogar bei neurodegenerativen Erkrankungen wie MCI, Demenz und nach fokalen Läsionen des Gehirns.“
Als Nächstes möchten die Neurologen die Hirnstimulation zu den Betroffenen nach Hause bringen. Geforscht wird auch an einer weiteren Optimierung der Technik und an der Sicherheit der Methode. Man wisse noch nicht genug über die langfristigen Folgen und ob die Patienten für die Verbesserungen auch einen Preis zahlen müssten, bekannte Hummel. So wurden unter der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) vereinzelt epileptische Anfälle ausgelöst. Dies sei mit tDCS bisher aber noch nicht beobachtet worden, wie Flöel berichtete.