Nahrungssupplemente: Oft gefährlicher für die Leber als Medikamente

Andrea Wille | 11. September 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Leberfunktionsstörungen durch pflanzliche Präparate und Nahrungsergänzungsmittel nehmen in den USA immer mehr zu. Die Supplemente werden bevorzugt von Frauen im mittleren Alter eingenommen, sie sind häufig für besonders schwerwiegende Leberschäden verantwortlich – und gefährlicher als z.B. Muskelaufbaupräparate oder Medikamente.

Dies ist das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie, die vom „Netzwerk für arzneimittelbedingte Leberschäden“ (Drug-Induced Liver Injury Network, DILIN) kürzlich in der Zeitschrift Hepatology veröffentlicht worden ist [1].

„Viele Amerikaner glauben, Nahrungsergänzungsmittel seien sicher. Doch für deren Vertrieb verlangen die staatlichen Vorschriften des Dietary Supplement Health and Education Act von 1994 weniger Sicherheitsnachweise, als für Medikamente vorgeschrieben sind“, erklärt Erstautor Dr. Victor Navarro, vom Einstein Medical Center in Philadelphia. „Aufgrund der laxen Reglementierung pflanzlicher Mittel und Nahrungsmittelergänzungsmittel sind mehr gesundheitsschädliche Konsequenzen zu befürchten, lebensbedrohliche Zustände miteingeschlossen.“


Dr. Andreas Benesic

Die Studienautoren kritisieren, dass pflanzliche Präparate und sonstige Nahrungsergänzungsmittel häufig unterschiedlichste Inhaltsstoffe und Zutaten enthalten, welche oft unklar gekennzeichnet werden, wodurch eine klare Zuordnung leberschädigender Effekte zu den enthaltenen Stoffen schwierig bis unmöglich wird. Bei pflanzlichen Präparaten wurde laut Autoren bereits häufiger berichtet, dass sie durch Mikroben, Mykotoxinen, pharmakologisch wirksame Stoffe oder Schwermetalle kontaminiert sind.

Dr. Andreas Benesic vom Leber Centrum München (LCM) an der Ludwig-Maximilians-Universität München macht gegenüber Medscape Deutschland darauf aufmerksam, dass unerwünschte Wirkungen durch Nahrungsergänzungsmittel auch den Deutschen meist weniger gut bekannt sind als etwa die von Medikamenten. Denn auch hierzulande seien die Zulassungsverfahren weniger aufwändig. „Wer sich gesund ernährt, braucht eigentlich keine Nahrungsergänzungsmittel. Wer sie dennoch nehmen möchte, sollte sie lieber über einen vertrauenswürdigen Händler beziehen und von undurchsichtigen Angeboten Abstand nehmen, um sicher sein zu können, was in den Präparaten wirklich enthalten ist“, rät er.

Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist besonders der Bezug über das Internet mit Risiken verbunden. So heißt es auf Nachfrage von Medscape Deutschland: „Die gesundheitlichen Risiken von Nahrungsergänzungsmitteln, welche unkritisch über das Internet bezogen werden, lassen sich oft nicht abschätzen. Derartige Präparate entsprechen mitunter nicht dem hiesigen Lebensmittelrecht. Auch ist es möglich, dass einzelne derartige Präparate in Deutschland als Arzneimittel einzustufen wären.“

„Wer sie (Nahrungssupplemente) dennoch nehmen möchte, sollte sie lieber über einen vertrauenswürdigen Händler beziehen und von undurchsichtigen Angeboten Abstand nehmen.“
Dr. Andreas Benesic

Kein Test für medikamentös induzierte Leberschäden

Die Forscher des DILIN untersuchten Hepatotoxizität durch konventionelle Medikamente ebenso wie durch die Einnahme von pflanzlichen Präparaten und Nahrungsergänzungsmitteln. Pflanzliche Präparate und Nahrungsergänzungsmittel wurden untergliedert in Supplemente für Bodybuilding und andere Nahrungsergänzungsmittel. An der Studie waren 8 US-amerikanische Zentren des DILIN beteiligt, sie deckte den Zeitraum von 2004 bis 2013 ab. Das DILI-Netzwerk ist ein aus 11 Zentren bestehendes Register, das vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases gegründet worden ist.

Da es keinen spezifischen Test für medikamentös-induzierte Leberschaden gibt, nutzte die Studie ein Ausschlussverfahren, der Gebrauch von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln wurde erfragt. Untersucht wurden Patienten, die entweder einen Ikterus, eine Koagulopathie oder erhöhte Leberwerte (Alanin-Aminotransferase, Aspartat-Aminotransferase oder der alkalische Phosphatase) hatten. Bei 839 Patienten wurde so ein von Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln hervorgerufener Leberschaden als wahrscheinlich oder ziemlich sicher angenommen.  

„Das Grundproblem ist, dass die Diagnose eines medikamentösen oder durch Nahrungsergänzungsmittel bedingten Leberschadens nur durch ein aufwändiges Ausschlussverfahren zu stellen ist. Aber hundertprozentige Gewissheit über die verantwortliche Substanz ist damit immer noch nicht gegeben. Wir arbeiten gerade an einem Test, der mit Hilfe einer Blutprobe des Betroffenen ähnlich einem ‚Allergietest’ individuelle Reaktionen nachweisen soll“, erklärt Benesic.

„Derartige Präparate (Nahrungssupplemente aus dem Internet) entsprechen mitunter nicht dem hiesigen Lebensmittelrecht.“
Bundesinstitut für Risikobewertung

Ein weiteres Problem ist, dass individuelle Besonderheiten im Medikamentenstoffwechsel und Immunreaktionen bei Einzelnen zu Leberschäden durch Substanzen führen können, die vom Großteil der Bevölkerung problemlos vertragen werden. „Natürlich gibt es auch bekannte toxische Stoffe wie Pyrrolizidinalkaloide, welche in Kräutertees vorkommen können. Bekannt ist auch, dass es bei hohen Dosen Paracetamol zu Leberschädigungen kommen kann. Ein weiteres Beispiel sind fettlösliche Vitamine. So weiß man von Vitamin A, dass es bei der Einnahme in hohen Dosen zu leberschädigenden Akkumulation in der Leber kommen kann“, sagt Benesic.

Damit macht Benesic auf die Unterschiede zwischen idiosynkratischer und toxischer Leberschädigung aufmerksam. Idiosynkratische Effekte sind nicht vorhersehbar, unabhängig von der Dosis, haben mit einer gestörten Metabolisierung zu tun oder entstehen aufgrund individueller Sensibilitäten gegenüber spezifischen Substanzen. Lebertoxische Substanzen wirken hingegen dosisabhängig, die hepatozellulären Reaktionen sind zudem vorhersagbar und reproduzierbar.

Nahrungsergänzungsmittel schädigen die Leber mehr als Medikamente

„Mein Eindruck
ist, dass die Ergebnisse der amerikanischen Studie mit
den hiesigen Verhältnissen vergleichbar sind.“
Dr. Andreas Benesic

In der aktuellen DILIN-Studie konnten unter den 839 Patienten die Leberschäden bei 709 Patienten auf Medikamente zurückgeführt werden, bei 45 Patienten waren Muskelaufbaupräparate für Bodybuilding die Ursache und bei 85 Patienten andere Nahrungsergänzungsmittel. Pflanzliche Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel wurden bereits im ersten Bericht des DILIN nach Medikamenten als zweithäufigste Ursache für Leberschäden identifiziert [2].

Die registrierten Fälle von Leberschäden durch pflanzliche Mittel und Nahrungsergänzungspräparate waren während der Studie von 7% auf 20% gestiegen. Dies war auf Nahrungsergänzungsmittel für Bodybuilder (von 2% der Arzneimittel-bedingten Leberschäden in den Jahren 2004-2005 auf 8% in den Jahren 2010-2012; p = 0,007) und andere Nahrungsergänzungsmittel zurückzuführen (von 5% in den Jahren 2004-2005 auf 12% in den Jahren 2010-2012; p = 0,05).

Unterschiede fanden sich auch im Grad des Leberschadens. In der Gruppe, die Supplemente für Bodybuilder einnahm, gab es keine Todesfälle oder Funktionsausfälle, die eine Transplantation notwendig machten. Leberschäden durch Medikamente verliefen in 3% der Fälle tödlich oder erforderten eine Transplantation. Dagegen kam es bei Patienten mit Leberschäden in Folge von sonstigen Supplementen bei insgesamt 13% zur Lebertransplantation oder sogar zum Tod – es handelte sich immer um Frauen mittleren Alters.

Da die Studie bisher nur an DILIN-Zentren durchgeführt wurde, macht Navarro darauf aufmerksam, dass erst weitere Studien zeigen können, wie repräsentativ die Ergebnisse für die USA sind. Benesic kann zur Situation in Deutschland nur Schätzungen abgeben: „Leberschäden, die eindeutig Nahrungsergänzungsmitteln oder pflanzlichen Mitteln zuzuschreiben sind, sehen wir in der Praxis selten. Ob die Leberschäden aufgrund von pflanzlichen und Nahrungsergänzungsmitteln schwerer sind, als bei Medikamenten, kann ich momentan noch nicht beurteilen. Wir führen gerade selbst eine prospektive Studie durch und sammeln noch Patientendaten. Mein Eindruck ist jedoch, dass die Ergebnisse der amerikanischen Studie mit den hiesigen Verhältnissen vergleichbar sind.“

Die meisten Patienten der DILIN-Studie nahmen mehrere Nahrungsergänzungsmittel ein, die ihrerseits zum Großteil mehrere Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralien und pflanzliche Extrakte enthielten. Trotz der Vielfalt der Mittel gab es ein typisches hepatozelluläres Schädigungsmuster, das einer akuten Hepatitis glich und vor allem bei Frauen auftrat. Diese Patienten-Gruppe zeigte auch die höchsten Werte an Alanin-Aminotransferase und Aspartat-Aminotransferase.

Etwa ein Drittel der Deutschen greift zu Nahrungsergänzungsmitteln

Laut Studie konsumieren etwa die Hälfte der erwachsenen US-Amerikaner Nahrungsergänzungsmittel. In Deutschland sind es mindestens 28%, die zu solchen Mitteln greifen. Dies hat die Nationalen Verzehrstudie II ergeben, bei der über 20.000 Personen zwischen 14 und 80 Jahren zwischen November 2005 und Januar 2007 in ganz Deutschland befragt wurden [3]. Es zeigte sich, dass gerade diejenigen, die ohnehin aufgrund ihrer Ernährung ausreichend Nährstoffe zu sich nahmen, besonders häufig nach Tabletten zur Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen griffen.

„Gefährlich kann es werden, wenn sich Patienten schämen, die Einnahme bestimmter Präparate zuzugeben und trotz Problemen zu spät zum Arzt gehen.“
Dr. Andreas Benesic

Laut Verzehrstudie steigt dadurch die jeweilige Nährstoffzufuhr erheblich und es kann leicht zu einer Überschreitung der von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) angegebenen Toleranzgrenzen für die Tageshöchstmenge kommen. Die meisten Supplemente wurden von 65 bis 80-jährigen eingenommen (Frauen: 46%; Männer: 30%). Beide Geschlechter griffen am häufigsten zu Vitamin C und E sowie zu den Mineralstoffen Magnesium und Calcium.

Die Therapie einer Arzneimittel-induzierten Leberschädigung besteht zunächst im Absetzen des verdächtigen Präparates. „Patienten mit erhöhten Leberwerten sollten natürlich nach der Einnahme von Medikamenten, pflanzlichen Mitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln gefragt werden. Aber es kann auch Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und pflanzlichen Mitteln geben. Viele denken beispielsweise, Johanniskraut ist pflanzlich, also ungefährlich. Aber es verändert den Stoffwechsel und so die Wirkung bestimmter Arzneimittel. Auch für pflanzliche Mittel gilt, wenn etwas eine Wirkung hat, kann es auch Nebenwirkungen haben“, erklärt Benesic.

Doch wie können Patienten geschützt werden? Die Notwendigkeit die Leberwerte von Patienten häufiger zu kontrollieren sieht Benesic nicht: „Am sinnvollsten ist es, die Patienten über die Risiken von bestimmten Mitteln und die typischen Symptome von Leberschäden – wie dunkler Urin, gelbe Augen, Oberbauchschmerzen – aufzuklären. Dies ist laut Expertenmeinung ebenso effektiv wie regelmäßige Blutkontrollen. Gefährlich kann es werden, wenn sich Patienten schämen, die Einnahme bestimmter Präparate zuzugeben und trotz Problemen zu spät zum Arzt gehen.“

Referenzen

Referenzen

  1. Navarro VJ, et al: Hepatology (online) 25. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1002/hep.27317
  2. Chalasani N, et al: Gastroenterology 2008; 135:1924-1934
    http://dx.doi.org/10.1053/j.gastro.2008.09.011
  3. Heuer T, et al: Nährstoffzufuhr über Supplemente – Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie II. In: Ernährungsbericht 2012 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE):86-97

Autoren und Interessenkonflikte

Andrea Wille
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Benesic A: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

Navarro VJ, Chalasni N, Heuer T: Erklärungen zu Interessenkonflikten finden sich in den Originalpublikationen.

Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.