Asthma? COPD? Oder von beiden etwas? Neues zum Asthma-COPD-Overlap-Syndrom

Manuele Arand | 10. September 2014

Autoren und Interessenkonflikte

München – Die reine pneumologische Lehre sieht vor, dass bei jedem Patienten mit chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung eine saubere Differenzialdiagnose zwischen Asthma bronchiale und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) zu erfolgen hat. In der Praxis funktioniert das häufig nicht. Dem tragen die beiden internationalen Organisationen GINA und GOLD nun Rechnung: Sie haben erstmals gemeinsame Empfehlungen [1] veröffentlicht, wie mit Patienten umzugehen ist, die Zeichen beider Entitäten aufweisen.

Ein Beispiel macht klar, worum es geht: Ein Patient von 50 Jahren ist schon als Kind durch Giemen und anfallsweise Atemnot aufgefallen, hat in jungen Jahren trotzdem begonnen zu rauchen und kommt inzwischen auf 35 Packungsjahre. Wenn dieser Patient mit Atemnot, Husten und Auswurf die Praxis aufsucht, fällt die Differenzialdiagnose schwer, zumal das Kriterium der reversiblen (Asthma) bzw. irreversiblen (COPD) Atemwegsobstruktion zur Unterscheidung nur noch bedingt taugt, seit auch COPD-Patienten mit potenten Bronchodilatatoren einen FEV1-Zugewinn von 100 bis 200 ml und mehr erreichen.

Schlechtes Ansprechen auf inhalative Kortikosteroide
Aus dem Sammelsurium möglicher Bezeichnungen, die für solche Fälle kursieren – in Deutschland gerne verwendet: chronisch-asthmoide Emphysembronchitis –, haben sich die Global Initiative on Asthma (GINA) und die Global Initiative on Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) auf Asthma-COPD-Overlap-Syndrom (ACOS) geeinigt.


„Die Diagnostik
des ACOS folgt weitgehend der Devise: Pragmatismus statt Paralyse durch Analyse“
Prof. Dr. Eric D. Bateman

Schätzungen zufolge betrifft dies 10 bis 15 % der Patienten mit Atemwegsobstruktion, erläuterte Prof. Dr. Eric D. Bateman, Emeritus der Universität Kapstadt, beim Kongress der European Respiratory Society (ERS) [2]. Häufig handelt es sich um schwer behandelbare Patienten, die auf inhalative und orale Kortikosteroide nur unzureichend ansprechen und beschleunigt an Lungenfunktion verlieren. Außerdem weisen sie wie „echte“ COPD-Patienten gehäuft Begleiterkrankungen auf, welche die Behandlung komplizieren, vor allem Diabetes, kardiovaskuläre und chronische Gelenkerkrankungen.

Da es zu dieser Entität sehr wenig wissenschaftliche Evidenz gibt, basiert die GINA/GOLD-Empfehlung vor allem auf Expertenkonsens, räumte Bateman ein. Die Unsicherheiten beginnen bereits bei der Diagnosestellung, denn es gibt keine exakte Definition für ACOS. „ACOS wird identifiziert durch die Atemflusslimitation und durch Charakteristika, die es mit Asthma und COPD teilt“, heißt es relativ vage in der Empfehlung.

Pragmatismus statt Paralyse durch Analyse

„Die Diagnostik des ACOS folgt weitgehend der Devise: Pragmatismus statt Paralyse durch Analyse“, so Bateman. Für ein ACOS sprechen:

  • ein Alter über 40 Jahre, aber Symptome seit Kindheit oder frühem Erwachsenenalter
  • Symptome mit wechselnder Ausprägung, darunter auch belastungsinduzierte Dyspnoe
  • Atemflusseinschränkung nicht voll reversibel, aber variabel
  • anamnestisch oft Asthmadiagnose, Allergien oder familiäre Belastung, aber auch Exposition gegen Noxen (Rauchen)
  • Symptombesserung unter Therapie, doch Progression der Atemwegsobstruktion und hoher Medikationsbedarf
  • gehäuft Exazerbationen
  • Eosinophile und/oder Neutrophile im Sputum

Der spirometrisch bestimmte Quotient aus forcierter Sekundenkapazität und Vitalkapazität beträgt beim ACOS gewöhnlich unter 0,7, analog zur COPD, wobei ein höherer Wert das ACOS jedoch nicht ausschließt. Ähnlich sieht es bei der FEV1 nach Gabe eines Bronchodilatators aus: Meist findet sich beim ACOS ein Anstieg um mehr als 12%, aber unter 200 ml, doch auch eine Zunahme um 400 ml ist kein sicheres Ausschlusskriterium.

Therapieempfehlungen mit schwacher Evidenz

Der Abschnitt zur Therapie „ist der schwächste Teil des ganzen Dokuments“, konstatierte der südafrikanische Pneumologe. Denn wissenschaftliche Studien existieren praktisch gar nicht. Empfohlen wird, die Behandlung wie beim Asthma mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS) plus/minus lang wirksamer Bronchodilatator (Beta2-Agonist – LABA – oder Anticholinergikum oder beides) zu beginnen. Spricht der Patient darauf nicht befriedigend an, sollten Spezialuntersuchungen wie Messung der Diffusionskapazität, Bildgebung oder Messung von Biomarkern wie NO im Exhalat oder IgE sowie die Überweisung zum Spezialisten erwogen werden.


Prof. Dr. Felix Herth

Wirklich befriedigend ist die Empfehlung nicht, dafür weist sie noch zu viele Lücken auf, die jedoch ihrerseits zeigen, wo der größte Forschungsbedarf besteht: bei der Phänotypisierung der Patienten, bei der Klärung der pathophysiologischen Mechanismen und bei klinischen Studien zum therapeutischen Management.

Warnung vor diagnostischer Bequemlichkeit

Für Prof. Dr. Felix Herth ist die Empfehlung dennoch ein wichtiger erster Schritt: „Auch erfahrenen Klinikern fällt es schwer, bei 100 Patienten mit Atemwegsobstruktion 100mal eine saubere Diagnose zu fällen“, sagte der Chefarzt der Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg im Gespräch mit Medscape Deutschland. „Jetzt haben wir zumindest einen Begriff, auf den man sich einigen kann.“ Dies dürfe natürlich nicht zu diagnostischem Schlendrian verleiten – wenn künftig alle schwer einzuordnenden Patienten in die ACOS-Schublade gesteckt werden, wird das die Qualität der Therapie nicht verbessern. Zumal es Bestrebungen gibt, die Gabe von ICS bei COPD-Patienten auf jene zu beschränken, die wirklich davon profitieren (Lesen Sie dazu unseren aktuellen Bericht vom ERS).

„Auch erfahrenen Klinikern fällt
es schwer, bei
100 Patienten mit Atemwegsobstruktion 100mal eine saubere Diagnose zu fällen.“
Prof. Dr. Felix Herth

In den Augen von Herth könnte ACOS deshalb auch oft eine passagere Diagnose sein, mit der sich der behandelnde Arzt nicht zufrieden geben, sondern weiterhin Klärung anstreben sollte. Das kann auch in Form einer probatorischen Therapie erfolgen: Wenn ein ACOS-Patient auf ein ICS eingestellt wird und nach 6 bis 8 Wochen eine deutliche Besserung der Lungenfunktion eintritt, kann die Therapie analog zum Asthma weitergeführt werden. Bleibt die Besserung aus, dominiert offenbar die COPD-Komponente und die Behandlung sollte sich primär auf Bronchodilatatoren stützen.

Referenzen

Referenzen

  1. Global Initiative for Asthma: Asthma, COPD and Asthma-COPD Overlap Syndrome (ACOS)
    www.ginasthma.org/documents/14  
  2. Kongress der European Respiratory Society (ERS), 7. September 2014, München
    www.erscongress.org

Autoren und Interessenkonflikte

Manuele Arand
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Bateman ED hat Vortragshonorare, Drittmittel oder Honorare für die Teilnahme an Advisory Boards erhalten von Actelion, Alk Abello, Almirall, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Chiesi, Elevation Pharma, Forest, GSK, Hoffmann La Roche, Merck, Novartis, Nycomed, Takeda, Teva.

Herth F: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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