Cave Säureblockade bei Kindern mit Reflux: Risiko für Lungeninfekte erhöht

Gerda Kneifel | 3. September 2014

Autoren und Interessenkonflikte

Die medikamentöse Therapie der gastroösophagealen Reflux-Erkrankung (GÖRK) beschränkt sich bei älteren Kindern und Jugendlichen weitgehend auf Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI). Eine unlängst online publizierte Studie in JAMA pediatrics belegt nun erstmals, dass sich unter langfristiger PPI-Therapie bestimmte Bakterien in Magen und Lunge vermehren und so das Risiko für Lungeninfektionen zunimmt [1].


PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury

„Das ist die erste longitudinale Studie überhaupt, die nachweist, dass Säuresuppression bei Kindern womöglich Lungenschäden hervorruft“, kommentiert PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury, Leiterin der Abteilung Kindergastroenterologie des St. Josef-Hospitals, Universitätsklinikum Bochum. „Zunächst müssen weitere Studien zum Mikrobiom erfolgen, aber es kann durchaus sein, dass wir bezüglich der Therapie umdenken müssen – vor allem vor dem Hintergrund des teilweise inflationären Gebrauchs von Protonenpumpen-Inhibitoren.“

Lungenschäden durch verändertes Mikrobiom

Bei Kindern tritt eine Refluxerkrankung in etwa so häufig auf wie bei Erwachsenen. „Gerade auch bei Jugendlichen, die unregelmäßig und auf Partys viel und ungesund essen und trinken“, berichtet Schmidt-Choudhury. „Sind Medikamente vonnöten, dann sind ab circa 14 Jahren Protonenpumpen-Inhibitoren das Mittel der Wahl. Hierzu ist nachgewiesen, dass sie zumindest bei älteren Kindern und Jugendlichen auch wirken.“

Das Team um Dr. Rachel Rosen, Gastroenterologe am Boston Children’s Hospital in Boston, Massachusetts, kommt nun jedoch zu dem Ergebnis, dass eine längerfristige Säureblockade das Mikrobiom der jungen Patienten verändern und somit zu Lungenerkrankungen führen kann. Es ist nach den Angaben in der Publikation die erste Studie, die die Mikroflora von Magen und Lunge sowie den Einfluss der GÖRK auf die Mikroflora der Lunge bei nicht kritisch erkrankten pädiatrischen Patienten mit und ohne Säureblockade bestimmt.

„Das ist die erste longitudinale Studie überhaupt, die nachweist, dass Säuresuppression bei Kindern womöglich Lungenschäden hervorruft.“
PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury

Die Autoren haben über 5 Jahre eine prospektive Kohortenstudie mit 99 nicht kritisch erkrankten Kindern und Jugendlichen im Alter von 1 bis 18 Jahren durchgeführt, die wegen chronischen Hustens eine Bronchoskopie und Endoskopie erhielten. Bei 48 von ihnen wurde die Magensäureproduktion gedrosselt. Darunter waren nur 3 mit Histamin-2-Rezeptor-Antagonsiten (H2RA), alle anderen bekamen PPI. 51 Patienten erhielten keine Säureblockade. Die Wissenschaftler verglichen die Prävalenz von Bakterien in Magen und Lunge in den Gruppen mit und ohne Säureblockade-Therapie.

Das Ergebnis: 46% der Patienten, die Säure blockierende Medikamente einnahmen, wiesen vermehrt Magenkeime  auf. Hingegen war das nur bei 18% der Patienten ohne Säureblockade der Fall. Sowohl Staphylococcus und Streptococcus als auch Veillonella, Dermabacter und Rothia-Arten traten bei medikamentöser Therapie in der Magenflüssigkeit häufiger und in höherer Konzentration auf. Da Staphylococcus und Streptococcus beispielsweise Pharyngitis, Erkrankungen der oberen Atemwege und Lungenentzündungen auslösen können, seien diese Befunde von direkter klinischer Relevanz, so die Autoren.

Magenflora beeinflusst die Lunge

„Es kann durchaus sein, dass wir bezüglich der Therapie umdenken müssen – vor allem vor dem Hintergrund des teilweise inflationären Gebrauchs von Protonenpumpen-Inhibitoren.“
PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury

Doch noch eine andere Entdeckung machten sie. Es ist nicht nur so, dass die medikamentöse Säuresuppression zu übermäßigem Wachstum verschiedener Magenkeime führt. Diese können darüber hinaus auch die Mikroflora in den Lungen verändern. „Ein nicht-saurer Reflux, der über die gesamte Speiseröhre aufsteigt, ist assoziiert mit einer höheren Konzentration von Bakterien in der Lunge“, heißt es in der Arbeit.
Eine solche signifikante, positive Korrelation wurde bezüglich der Gattungen Bacillus, Dermabacter, Lactobacillus, Peptostreptococcus und Capnocytophagia gefunden. „Damit können wir unseres Wissens zum ersten Mal überhaupt einen plausiblen Erklärung für die erhöhte Rate klinischer Infektionen in Patienten mit Säureblockade-Therapie geben“, so Rosen und Kollegen. 

In der Praxis ist eine Zunahme der Lungeninfektionen bei PPI-Therapie nicht immer nachvollziehbar. „Ich behandele sehr viele Kinder gastroenterologisch und meiner Erfahrung nach profitieren insbesondere Patienten im Kleinkindalter mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung und nachgewiesenem sauren Reflux von einer Säureblockade“, berichtet Schmidt-Choudhury von ihren Erfahrungen.

Die Kindergastroenterologin erklärt weiter: „Eine Zunahme von Lungenentzündungen oder bronchialen Infekten bei Kindern und Jugendlichen ohne vorherige Lungenerkrankung, die bei nachgewiesener Refluxerkrankung eine Säureblockade erhalten, haben wir bisher nicht  beobachtet, wenngleich wir dieser Fragestellung bisher nicht systematisch nachgegangen sind. Wir wissen jedoch einfach noch viel zu wenig darüber, ob beziehungsweise inwiefern Langzeittherapien das Mikrobiom verändern. Das ist ein ganz neues Forschungsgebiet. Auf jeden Fall könnten einige der beschriebenen Keime insbesondere für immunsupprimierte und chronisch kranke Kinder gefährlich werden“, räumt Schmidt-Choudhury ein. 

„Die blinde PPI-Therapie
sollte demnach
bei Säuglingen und Kleinkindern nicht erfolgen.“
PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury

Was könnte man ändern?

Alternativen zu PPI gibt es jedoch nur wenige. Zu Histamin-2-Rezeptor-Antagonisten, die bei Erwachsenen alternativ verschrieben werden können, gibt es bezüglich Kindern und Jugendlichen keine validen Untersuchungen. Das ist das Fazit eines Reviews, das in derselben Ausgabe von JAMA pediatrics erschienen ist und die Fachliteratur hinsichtlich der Studien zu H2RA bei Kindern und Jugendlichen mit GÖRK gesichtet hat [2]. Die Autoren fanden gerade einmal 8 Studien, die den von ihnen aufgestellten Qualitätskriterien entsprachen.

Und auch deren Resultate sind ernüchternd: Die Studien mit insgesamt 276 Kindern im Alter von 0 bis 15 Jahren, die mit H2RA behandelt worden waren, lieferten keine ausreichenden Daten zur Sicherheit der Medikamente. Die Studiendesigns seien zu uneinheitlich, die Fallzahlen zu gering oder die Ergebnisse durch Bias verfälscht. „Schlüsse bezüglich der Effizienz und Sicherheit von H2RA können daher nur schwerlich gezogen werden“, konstatieren Dr. Rachel van der Pol vom Emma Children's Hospital am Academic Medical Center in Amsterdam und ihre Kollegen.

„Es ist bestürzend, dass es für eine so weit verbreitete Erkrankung wie die GÖRK in der Pädiatrie für die medikamentöse Therapie keine evidenzbasierten Daten zu Effizienz und Sicherheit gibt“, schreiben die Autoren. Ihr Rat: H2RA nur dann verschreiben, wenn die Diagnose GÖRK feststeht, auch dann nur als Mittel zweiter Wahl und mit großer Vorsicht.

In einem begleitenden Editorial weisen Dr. Alexandra Menchise und Dr. Mitchell Cohen, Gastroenterologen am Cincinnati Children’s Hospital Medical Center in Cincinnati, Ohio, darauf hin, dass eine Befragung von 567 Pädiatern in den USA gezeigt hat, dass lediglich 1,8% von ihnen die Leitlinien bezüglich der GÖRK-Behandlung einhielten [3]. „Insgesamt verschrieben 82% der Pädiater zuviel PPI“, so das Resümee.

„Der mitunter inflationäre und
oft zu langfristige Verbrauch dieser Medikamente ist
das Problem. Es wird häufig schlichtweg vergessen, sie abzusetzen.“
PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury

Zwar sei erwiesen, das sowohl PPI – wie im Übrigen auch H2RA – die Säure im Magen reduzieren. Allerdings zu welchem Preis, fragen Menchise und Cohen: „Neben einer erhöhten Zahl von Atemwegsinfektionen sind PPIs mit gastrointestinalen Infektionen (z.B. Salmonella, Campylobacter und Clostridium difficile) assoziiert.“

PPI sind nicht immer nötig

In Deutschland wird zur Therapie der GÖRK Anfang September eine neue S2k-Leitlinie erscheinen, die auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (DGVS) veröffentlicht werden wird. Darin wird für die pädiatrischen, nicht schwer erkrankten Patienten eine klare Vorgehensweise bezüglich der Säureblockade empfohlen: „Die blinde PPI-Therapie sollte demnach bei Säuglingen und Kleinkindern nicht erfolgen“, berichtet Schmidt-Choudhury, die an den Leitlinien mitgearbeitet hat. „Bei den ganz Kleinen hilft durchaus auch das Andicken der Nahrung und linksseitige oder Hochlagerung.“

Zusätzlich sollte in dieser Altersgruppe zum Beispiel auch immer an eine nicht IgE-vermittelte Kuhmilchallergie gedacht werden, die sehr ähnliche Symptome wie die GÖRK verursachen könne. H2RA sollten nicht primär eingesetzt werden – was den Ergebnissen der Studie um Rosen entspricht.

„Die PPI per se sind aber nicht das Problem“, erläutert Schmidt-Choudhury, „sie sind für Kinder und Jugendliche mit schwerer Ösophagitis ein Segen. Auch eine Säureblockade von vier bis sechs Wochen zum Beispiel wegen Sodbrennens oder einer Gastritis ist sicher nicht bedenklich. Aber Ärzte sollten bei kleinen Kindern unter 12 Jahren generell keine blinde Therapie mit PPI über längere Zeit vornehmen. In der Praxis läuft das allerdings nicht selten anders.“

Sie mahnt außerdem: „Der mitunter inflationäre und oft zu langfristige Verbrauch dieser Medikamente ist das Problem. Es wird häufig schlichtweg vergessen, sie abzusetzen. Die aktuelle Studie zu eventuellen Lungenschädigungen ist daher besonders wichtig und stößt nun hoffentlich weitere Untersuchungen an.“ 

Auf jeden Fall sollten niedergelassene genauso wie Klinikärzte künftig stärker die zeitliche Beschränkung der PPI-Therapie im Blick haben – und auch das Absetzen nicht vergessen. 
„Wenn weitere Studien die Ergebnisse bestätigen, müssen wir uns womöglich aber auch auf neue Vorgehensweisen in der Therapie des GÖRK einstellen“, so Schmidt-Choudhury.

Referenzen

Referenzen

  1. Rosen R, et al: JAMA Pediatr. (online) 18. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1001/jamapediatrics.2014.696
  2. Van der Pol R, et al: JAMA Pediatr (online) 18. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1001/jamapediatrics.2014.1273 
  3. Menchise  A, et al: JAMA Pediatrics (online) 18. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1001/jamapediatrics.2014.1263 

Autoren und Interessenkonflikte

Gerda Kneifel
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Schmidt-Choudhury A: Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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