Barcelona – Wenn Statine allein nicht ausreichen oder nicht vertragen werden, sind derzeit sehr potente Alternativen in Entwicklung: Der Hemmstoff von Proprotein Convertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) Alirocumab etwa senkt die LDL-Spiegel in bislang unerreichtem Ausmaß um 50% und mehr. Beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona sind in den Hotline-Sessions 3 Studien mit dem von den Unternehmen Sanofi und Regeneron Pharmaceuticals entwickelten Cholesterinsenker vorgestellt worden.
Deren Fazit: Bei kardiovaskulären Hochrisiko-Patienten, die mit dem Statin allein das in den Leitlinien definierte LDL-Ziel (100 oder 70 mg/dl) nicht erreichen, lässt sich mit Alirocumab eine zusätzliche rund
50%ige LDL-Cholesterinsenkung erzielen – 30% mehr als wenn stattdessen zusätzlich Ezetimib verabreicht wird.
Auch bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie die Zielwerte erreicht
Mit dem neuen Wirkstoff gelingt es sogar bei bis zu 80% der schwierig zu behandelnden Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie das LDL-Cholesterin in den Zielbereich zu bringen. Und: Auch über längere Zeiträume von bis zu 2 Jahren bescheinigen die Studienautoren dem Antikörper, der von den Patienten selbst zuhause alle 2 Wochen injiziert wird, „ein ausbalanciertes Sicherheitsprofil“.
Beim ESC-Kongress stellte Prof. Dr. Jennifer G. Robinson, University of Iowa, USA, bereits eine Posthoc-Analyse vor, für die die Zahl kardiovaskulärer Ereignisse (kardialer Tod, Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall, instabile Angina pectoris) bei insgesamt 1.550 Alirocumab- und 788 Placebo-Studienpatienten, die alle zusätzlich ein Statin hatten, verglichen worden war.
Das Ergebnis: Diejenigen Patienten, bei denen das LDL-Cholesterin mit Alirocumab noch weiter gesenkt worden war, hatten ein um 54% geringeres Risiko für ein solches Ereignis (absolute Risikoreduktion von 3,0 auf 1,4 %). Die mediane Beobachtungszeit in dieser Analyse betrug 65 Wochen. „Natürlich benötigen wir zur Bestätigung Endpunkstudien“, räumte die Wissenschaftlerin ein. „Aber das ist ein schöner Hinweis, dass es in die richtige Richtung geht.“
Eine Endpunktstudie mit Alirocumab läuft bereits. ODYSSEY Outcome testet den LDL-Senker randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert bei Patienten, die erst kürzlich (vor einem Monat bis zu einem Jahr) ein akutes Koronarereignis hatten. 18.000 Teilnehmer sind geplant. Die Ergebnisse der Studie werden allerdings erst im Jahr 2018 erwartet.
Die Patienten spritzen Alirocumab alle zwei Wochen selbst
In Barcelona präsentierte Prof. Dr. Christopher Cannon, Harvard Clinical Research Institute, Boston, die ODYSSEY COMBO II Studie [1]. Teilnehmer waren 720 Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko. Zwei Drittel von ihnen erreichten trotz maximaler Dosis eines Statins ihre LDL-Cholesterin-Zielwerte nicht, ein Drittel tolerierten das Statin in der hohen Dosis nicht. 479 der Studienpatienten injizierten subkutan Alirocumab (75 mg alle 2 Wochen mit der Möglichkeit zur Auftitrierung bis 150 mg), die übrigen 241 nahmen täglich 10 mg Ezetimib.
In den Wochen 24 bzw. 52 betrug die mittlere LDL-Senkung unter dem neuen Antikörper rund 50%, unter Ezetimib nahm das LDL dagegen nur um 20 bzw. 18% ab. 77% der Alirocumab-Patienten erreichten das LDL-Ziel von unter 70 mg/dl – dreiviertel davon, ohne dass die Dosis auf 150 mg auftitriert werden musste. Unter Ezetimib waren dagegen nur 45,6% im LDL-Zielbereich. Die Abbruchraten wegen Nebenwirkungen betrugen 7,5 bzw. 5,4%, berichtete Cannon. Im Schnitt wurden bei den Teilnehmern unter Alirocumab LDL-Cholesterinwerte zwischen 50 und 55 mg/dl erreicht. Bedenken, diese Werte könnten „zu niedrig“ sein, teile er nicht, sagte Cannon auf Rückfrage bei einer Pressekonferenz [2].
wir erst, wenn die Endpunktstudien vorliegen, die beweisen, dass
diese dramatischen LDL-Senkungen
auch Einfluss auf
die Arteriosklerose
haben und die Patienten wirksam
vor kardiovaskulären Ereignissen schützen.“
Schon im Frühjahr 2014 hatte die FDA jedoch Regeneron and Sanofi gebeten, in den klinischen Studien die neurokognitiven Nebenwirkungen zu monitoren. Laut Robinson waren diese aber bislang in den Behandlungsarmen „ausbalanciert”. Probleme in der Praxis, etwa bei der Compliance, könnten entstehen, so Lüscher, weil Alirocumab gespritzt werden muss. Bei etwa 6% der Patienten kam es zu Reaktionen an der Injektionsstelle, berichtete Robinson.
Warten auf Endpunktdaten
Als Diskutant während der Sitzung betonte Prof. Dr. Thomas Lüscher, Zürich, die klinische Notwendigkeit weiterer Strategien zur LDL-Senkung – auch über die Statintherapie hinaus, etwa für die familiäre Hypercholsterinämie, für Hochrisiko-Patienten und solche, die Statine nicht vertragen. Das neue therapeutische Konzept der PCSK9-Hemmung, durch das die Zahl der LDL-Rezeptoren auf der Oberfläche der Hepatozyten hochreguliert wird, sei daher sehr zu begrüßen, sagte er.
Außer Sanofi/Regeneron entwickeln noch weitere Firmen PCSK9-Hemmer. Amgen hat die Zulassung seines Wirkstoffes Evolozumab vergangene Woche bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) beantragt.
diese Patienten
(mit familiärer Hypercholesterinämie) bislang nicht allzu viele Alternativen.“
Als wirkliche Bereicherung empfinden viele Ärzte die neuen Wirkstoffe für Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie. „Wir haben für diese Patienten bislang nicht allzu viele Alternativen“, wird von heartwire der US-Kardiologe Dr. John Harold, Cedars-Sinai Medical Center, Los Angeles, zitiert, der an den ODYSSEY Studien nicht beteiligt war. Die beobachteten Reduktionen im LDL Cholesterin bezeichnet er als „dramatisch” und sieht in der Wirkstoffklasse der PCSK9-Inhibitoren „ein Potenzial, unser Lipid-Management zu verändern – auch wenn noch weitere Daten notwendig sind“.
Die randomisierte placebo-kontrollierte Doppelblind-Studie mit Alirocumab bei Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie stellte Prof. Dr. John J.P. Kastelein, Universität von Amsterdam, beim Kongress vor. Die Studienteilnehmer waren mit maximal möglicher Statindosis und anderen Lipidsenkern behandelt und erreichten die LDL-Zielwerte (in der Primärprävention 100 mg/dl, in der Sekundärprävention oder bei gleichzeitigem Diabetes 70 mg/dl) trotzdem nicht.
Mit Alirocumab wurden auch bei diesen Patienten innerhalb eines halben Jahres zusätzliche LDL-Senkungen um fast 50% erzielt – während in der Placebogruppe das LDL-Cholesterin sogar leicht anstieg. 72 bis 81% Patienten konnten unter Alirocumab ihr LDL-Therapieziel erreichen, berichtete Kastelein. Mit den bisherigen Mitteln, so der niederländische Lipidexperte, gelinge dies bei 70 bis 80% dieser Patienten nicht. „Es handelt sich um besonders schwierig zu behandelnde Patienten.“
„Großartige Neuigkeiten für Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie“, kommentierte auch Robert M. Califf, Durham, USA, bei der Hotline-Session die Ergebnisse. „Es sieht gut aus, doch wir sind erst im Halbfinale“, schränkte er ein. „Das Endspiel gewonnen haben wir erst, wenn die Endpunktstudien vorliegen, die beweisen, dass diese dramatischen LDL-Senkungen auch Einfluss auf die Arteriosklerose haben und die Patienten wirksam vor kardiovaskulären Ereignissen schützen.“