Trends in der Urologie: Mehr ambulante OPs – und mehr Todesfälle nach stationären Eingriffen

Dr. Sabine Wimmer-Kleikamp | 26. August 2014

Autoren und Interessenkonflikte

In den USA zeichnet sich schon jetzt eine Entwicklung ab, die auch hierzulande droht: In der Urologie gibt es eine klare Tendenz weg von stationären Behandlungen hin zu ambulanten Eingriffen – mit unguten Konsequenzen. Denn gleichzeitig steigt die Zahl der Todesfälle durch Komplikationen, die eigentlich vermeidbar oder leicht zu detektieren sind. Diese Erkenntnis kommt von einer aktuellen Studie im British Journal of Urology International [1].


Dr. Ulrich Witzsch

„Die Studie zeigt, dass bei frühzeitiger Entlassung Komplikationen möglicherweise nicht rechtzeitig erkannt und therapiert werden. Diesen Trend werden wir in Deutschland in Zukunft sicher auch sehen", kommentiert Dr. Ulrich Witzsch, leitender Oberarzt der Urologie am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt gegenüber Medscape Deutschland.

Sicherheit und Qualität der US-amerikanischen Gesundheitsversorgung haben sich in den vergangenen 2 Jahrzehnten insgesamt deutlich verbessert [2]. Daraufhin ist die Zahl der Todesfälle gesunken, trotz Zunahme der stationären Krankenhausaufenthalte.

Das Autorenteam um Dr. Jesse Sammon vom Vattikuti Urology Institute am Henry Ford Krankenhaus in Detroit berichtet jedoch, dass dieser positive Trend nicht für urologische Patienten gilt. „Leider zeigen unsere Daten eine gegensätzliche Entwicklung in der Urologie“, erklärt Sammon [3].

Failure to Rescue Wahrscheinlichkeit steigt um jährlich 5 Prozent

„Die Studie
zeigt, dass bei frühzeitiger Entlassung Komplikationen möglicherweise
nicht rechtzeitig erkannt und therapiert
werden.“
Dr. Ulrich Witzsch

Von den etwa 7,7 Millionen Patienten, die sich zwischen 1998 und 2010 einer stationären urologischen Operation unterzogen, starben 0,71%. Die „failure to rescue” (FTR) Rate,  d.h. der Anteil der Todesfälle als Folge von erkennbaren und vermeidbaren Komplikationen, stieg in diesem Zeitraum um durchschnittlich 1,5% pro Jahr – von 41,1% im Jahr 1998 auf 59,5% in 2010, so die Studienergebnisse.

Vor allem die älteren und kränkeren Patienten, ethnische Minderheiten und Patienten ohne private Gesundheitsversorgung starben eher an potenziell vermeidbaren Komplikationen. Obwohl die Gesamtsterbewahrscheinlichkeit um 1% pro Jahr abnahm, stieg die Wahrscheinlichkeit, in Folge eines FTR-Ereignisses zu sterben, um 5% pro Jahr. Stationäre urologische Eingriffe nahmen demgegenüber um 0,63% jährlich ab, davon war vor allem die transurethrale Elektroresektion (TURP) stark rückläufig. Sie sank von zirka 120.000 Eingriffen im Jahr 1998 auf nur knapp 50.000 im Jahr 2010.

Die Wissenschaftler verwendeten für die retrospektive Kohortenstudie Entlassdaten von Patienten der Urologie und analysierten sie hinsichtlich Gesamtsterberate und Todesfällen in Folge von FTR-verursachten vermeidbaren Komplikationen.

Witzsch kritisiert die Methodik des Vorgehens: „Man hat methodisch Äpfel mit Birnen verglichen und verschiedene OPs in einen Topf geworfen, darunter onkologische Patienten mit Harnstauung zusammen mit urologischen Patienten, die an der Niere, Blase, Prostata erkrankt sind.“ Die Einteilung in Untergruppen sei hier methodisch unbedingt angeraten. Sinnvoll sei beispielsweise eine Differenzierung von kleineren Eingriffen; mittleren- und großen Eingriffe und Operationen, die primär keine urologische Ursache haben (z.B. Tumorerkrankungen). Ein zweites Defizit ist laut Witzsch die Verwendung von Abrechnungsdaten und nicht von primär medizinischen Daten.

„Auch in Deutschland wird der ältere Patient eher in der Klinik behandelt, der
jüngere immer
mehr ambulant.“
Dr. Ulrich Witzsch

Patientenpopulation wird älter und kränker

Die Daten verdeutlichen auch eine Veränderung der Patientenpopulation in der Urologie: Während sich noch vor wenigen Jahren relativ junge und gesunde Patienten einfachen Eingriffen mit geringem Risiko unterzogen, wandern inzwischen viele der „gesünderen, problemlosen" Patienten in die großen ambulanten Zentren ab, so dass die verbleibende Patientenpopulation immer älter und kränker wird. Ein vermehrtes Monitoring dieser Risikopatienten nach stationären urologischen Operationen ist daher laut Autoren eine Botschaft der Studie und unbedingt erforderlich um potentielle Komplikationen frühzeitig zu erkennen.

„Auch in Deutschland wird der ältere Patient eher in der Klinik behandelt, der jüngere immer mehr ambulant“, erklärt Witzsch. „Diese jüngeren Patienten sind oft beruflich engagiert und möchten schnell wieder am Arbeitsplatz sein. Das ist wahrscheinlich in den letzten Jahren vermehrt der Fall.“

Allerdings lässt sich das deutsche Gesundheitssystem nicht in jeder Hinsicht mit dem US-amerikanischen vergleichen, merkt Witzsch an: „Das amerikanische Gesundheitssystem ist anders aufgebaut – die Patienten werden relativ früh entlassen – das ist in Deutschland noch nicht so.“

„Wir können es
uns momentan
(in Deutschland)
noch leisten, ältere Patienten stationär zu versorgen und nicht in den ambulanten Bereich zu drängen.“
Dr. Ulrich Witzsch

Er betont weiter: „Hier haben wir auch keine großen ambulanten Zentren wie in Amerika. Wir können es uns momentan noch leisten, ältere Patienten stationär zu versorgen und nicht in den ambulanten Bereich zu drängen. Wenn dieser nächste Schritt gegangen wird, der in den USA schon vollzogen ist, wird das auch hier zu Problemen führen – Komplikationen, muss dann erstmal jemand erkennen.“

Jedoch gebe es bereits einen klaren Trend hin zu US-amerikanischen Verhältnissen: „Die Kassen versuchen sehr deutlich, eine Unterschreitung der unteren Grenzverweildauer zu erreichen, um Abschläge zu berechnen, das bedeutet: Patientenaufnahme am OP-Tag und dann auch zügige Entlassung“, erläutert der Urologe und Arzt für Qualitätsmanagement.

Bruch zwischen ambulant und stationär in Deutschland größer

Der Bruch zwischen ambulant und stationär ist laut Witzsch in Deutschland erstaunlicherweise größer als in den USA, wo die poststationäre ambulante Versorgung besser geregelt sei: „So etwas gibt es in Deutschland eigentlich nicht – eine Krankenschwester, die nach Hause kommt und noch mal nach dem Patienten schaut,“ sagt der Urologe, und weist auch auf den Mangel an personellen Ressourcen hin:

„Die Kassen versuchen sehr deutlich, eine Unterschreitung
der unteren Grenzverweildauer
zu erreichen.“
Dr. Ulrich Witzsch

„Im ambulanten Sektor fehlen Fachärzte oder erfahrene Hausärzte die eine poststationäre Versorgung übernehmen könnten. Dies ist insbesondere nicht rund um die Uhr gegeben.“ Im stationären Sektor sei, so Witzsch, die Taktung der Leistungsträger so eng, dass eventuell sub-akute Probleme nicht zeitnah gelöst und dann akut werden. Sein Wunsch für die Zukunft ist, dass Patient und Urologe individuell ohne Kostendruck entscheiden können, ob der Patient ambulant oder stationär behandelt wird.

Auch ist laut Witzsch eine bessere Verzahnung zwischen stationärer und poststationärer ambulanter Behandlung erforderlich: „Dies bedeutet eine bessere Versorgung zu Hause nach der Entlassung oder entsprechende Ausstattung der Krankenhäuser, um entlassene Patienten ambulant in größerer Zahl wieder betreuen zu können, bzw. eine fachärztliche Versorgung im ambulanten Bereich zu jeder Tageszeit. All dies ist im Moment in Deutschland nicht der Fall.“

Referenzen

Referenzen

  1. Sammon J, et al: BJU (online) 19. August 2014
    http://dx.doi.org/10.1111/bju.12833
  2. Semel ME, et al: Surgery 2012;151:171-182
    http://dx.doi.org/10.1016/j.surg.2011.07.021
  3. Pressemitteilung von Wiley,19. August 2014
    http://dmmsclick.wiley.com/view.asp?m=us4o8dm520kgpocvqoxr&u=22807289&f=h

Autoren und Interessenkonflikte

Dr. Sabine Wimmer-Kleikamp
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Witzsch U: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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