Die Aussage ist eindeutig: Unter der Therapie mit Digoxin ist das Mortalitätsrisiko von Patienten mit neu aufgetretenem, nicht-klappenbedingtem Vorhofflimmern höher als ohne eine solche Frequenzkontrolle. Das erhöhte Risiko besteht offenbar unabhängig von der Therapietreue, von der Nierenfunktion, kardiovaskulären Begleiterkrankungen und weiteren Begleitmedikationen wie Betablockern, Amiodaron oder Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin). Das ist das Ergebnis der TREAT-AF-Studie, einer retrospektiven Datenauswertung von mehr als 120.000 US-Veteranen, die kürzlich im Journal of the American College of Cardiology (JACC) publiziert worden ist [1].
Der Vorstandsvorsitzender des Kompetenznetzes Vorhofflimmern (AFNET), Prof. Dr. Günter Breithardt, geht davon aus, dass die Indikation zur Digoxintherapie nun noch vorsichtiger gestellt wird, vor allem, wenn weitere Studien diese Tendenz bestätigen sollten. Auf dem anstehenden Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona/Spanien Ende August wird es unter anderem einen Vortrag zur Thematik geben, in dem weitere Daten vorgestellt werden sollen [2].
ja immer noch die Ansicht vertreten, wenn eine Frequenz-
kontrolle mit einem Betablocker nicht ausreichend zu erreichen ist, zusätzlich Digitalis
zu geben.“
In Deutschland habe Digoxin zwar nicht mehr eine so große Bedeutung, sagt Breithardt. Allerdings gebe es doch noch einige Anhänger einer Digitalistherapie. „Ich selbst habe ja immer noch die Ansicht vertreten, wenn eine Frequenzkontrolle mit einem Betablocker nicht ausreichend zu erreichen ist, zusätzlich Digitalis zu geben. Wenn man im Editorial zur TREAT-AF-Studie von Reynolds die letzten Zeilen liest, sagt er im Grunde genommen genau das Gleiche: Wenn man klinisch nicht anders zurechtkommt, wird man sich dennoch dazu entschließen müssen, Digoxin einzusetzen“, sagt Breithardt im Gespräch mit Medscape Deutschland [3].
Die Ergebnisse aus der TREAT-AF-Studie verstärken allerdings die Bedenken gegenüber dem Glykosid, die spätestens seit der Publikation der DIG-Studie (Digitalis Investigation Group) im Zusammenhang mit dieser Therapie diskutiert werden [4]. „Durch die Daten der DIG-Studie, bei der ja bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine erhöhte Rate akuter Herztodesfälle, wenn auch auf der anderen Seite eine Reduktion der Herzinsuffizienzmortalität beobachtet wurde, waren wir schon vorsichtiger geworden“, berichtet der Münsteraner Kardiologe. Hinzu kam die Beobachtung, dass offenbar Frauen „ein ungünstigeres Outcome“ hatten, wenn die Blutserumspiegel des Herzglykosids erhöht waren.
Die Ergebnisse zu Digitalis bei Vorhofflimmern sind widersprüchlich
Für Breithardt ist die Datenlage ausgesprochen unbefriedigend. Denn die Erkenntnisse zur Digitalistherapie stammen nur aus Beobachtungsstudien oder aus Post-hoc-Analysen von randomisierten Studien. Zudem sind die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen zum Teil sogar gegensätzlich, obwohl die Auswertung mit demselben Datensatz vorgenommen worden sind. „Bei AFFIRM haben wir das Problem, dass zwei verschiedene Analysen kurz hintereinander einerseits von einem negativen Effekt durch Digoxin berichten, anderseits einen solchen Effekt nicht belegen konnten“, beschreibt Breithardt das Dilemma [5,6].
Dennoch geht er davon aus, dass aufgrund der neuen Erkenntnisse die europäischen Leitlinien zum Vorhofflimmern hinsichtlich der Digitalistherapie zukünftig deutlich zurückhaltender in ihren Empfehlungen ausfallen werden als bisher: „Ich bin ziemlich sicher, dass da eine Modifikation kommen wird.“ Die aktualisierten US-amerikanischen Leitlinien haben das bereits berücksichtigt: Digoxin erhält darin keine spezielle Empfehlung mehr [7].
Für die TREAT-AF-Studie haben die Forscher um Dr. Mintu P. Turakhia von der Devision of Cardiovascular Medicine der Stanford University in Kalifornien die Gesundheitsdaten von 122.465 US-amerikanischen Armeeveteranen (ca. 2.000 Frauen) mit mehr als 353.000 Personenjahren ausgewertet. 23,5% der Patienten (28.723) starben im Beobachtungszeitraum. Die Wissenschaftler werteten die Daten mit aufwändigen statistischen Werkzeugen aus, um andere Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen könnten, zu identifizieren und bei der Bewertung herausrechnen zu können.
Am Ende zeigte sich immer wieder dasselbe Bild und die Ergebnisse waren unter den unterschiedlichsten Bedingungen signifikant: Nahmen Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern Digoxin ein, hatten sie ein höheres Mortalitätsrisiko als jene Patienten, die ohne zusätzliche Digoxinmedikation behandelt wurden.
Ähnliche Studien wünscht sich Breithardt auch für Deutschland, sieht dafür jedoch kaum realistische Chancen. „Ich würde natürlich gerne, muss ich ehrlich sagen, solche Analysen auch in Deutschland sehen. TREAT-AF wäre ein triftiger Grund, sofort ein ähnliches Projekt anzusetzen. Das kriegen wir aber in einer vernünftigen Zeit nicht hin“, kritisiert er. Das Problem läge im langwierigen Bewilligungsprozess, bis die entsprechenden Krankenkassendaten benutzt werden dürften.